„Einfach genial“
Auf der jüngsten Erfindermesse iENA in Nürnberg präsentierten schlaue Köpfe aus 30 Nationen rund 700 Neuentwicklungen. Das Spektrum reichte von Haushaltshelfern über Sportgeräte bis hin zu Produkten für den industriellen Einsatz. Viele Aussteller suchen Lizenznehmer, Hersteller oder Hilfe bei der Vermarktung.
„Knakke“: „Das Runde muss ins Eckige!“ Dieser Devise von Trainer-Legende Sepp Herberger folgt auch Mario Neugärtner aus Sömmerda in Thüringen. Der Softwareentwickler hat allerdings mit Fußball wenig am Hut. Er hat den Zollstock „Knakke“ erfunden. Damit lässt sich der Durchmesser von Rohren ermitteln – ganz ohne Pi und Taschenrechner. Das Prinzip ist simpel: „Alle Dreiecke haben einen Innenkreis“, weiß der 42-Jährige. „Deren Durchmesser haben wir einfach auf die Skala des Zollstocks übertragen. Wird der Zollstock nun im Dreieck um das runde Rohr gelegt, lässt sich der Durchmesser sofort ablesen.“
Vorgestellt hat Neugärtner seine Erfindung auf der diesjährigen Erfindermesse iENA in Nürnberg. Neben „Knakke“ wurden dort 700 weitere Produktneuheiten präsentiert – von Ausstellern aus 30 Ländern.
Auf die Idee zum innovativen Zollstock kam Neugärtner bei der Renovierung einer alten Mühle. Dort hat er sein Büro eingerichtet. „Auf der Baustelle waren jede Menge Handwerker unterwegs. Aber keiner hatte einen Messschieber dabei, mit dem ich die Maße eines Treppengeländers hätte erfassen können. Alle boten mir nur Zollstöcke an. Damit hätte ich den Durchmesser aber nur näherungsweise durch Anlegen bestimmen können.“
Traditionell stark vertreten auf der Erfindermesse iENA sind Erfinder aus Asien. Das größte Länderkollektiv stellte in diesem Jahr Taiwan. Ein Vertreter des Inselstaats: Prof. Shuh-Tai Lu von der Chien Hsin University. Der 55-Jährige hat einen Helm für Menschen entwickelt, die ihr Augenlicht verloren haben. Die Funktionsweise: Oben auf dem Prototypen ist ein Ultraschallsender angebracht. Trifft dessen Signal auf ein Hindernis, wird es reflektiert und anschließend von drei Empfängern an der Front bzw. an den Seiten des Helms empfangen. Die Position des Hindernisses wird in eine 3 x 3-Tonmatrix übertragen. Lauert ein Hindernis oben rechts, ertönt beispielsweise „do do“. Je näher das Objekt kommt, desto schneller ist die Tonfolge. Das Design des Prototypen ist noch optimierbar. Deshalb soll die Technologie bald in ein Brillengestell integriert werden.
Aus Malaysia nach Nürnberg reiste Prof. Srimala Sreekantan von der Universität in Penang. Die Materialforscherin hat die Glasbeschichtung „G-Coat“ entwickelt. Die „Nanotechnologie-Revolution“ besteht aus Silicondioxid und Titandioxid-Verbindungen. „Sie ist transparent und kann mittels elektrostatischen Spraygeräten auf bereits installierte Glasflächen aufgesprüht werden.“ Nach Trocknung biete die Beschichtung eine superhydrophobische Eigenschaft für mindestens 180 Tage. „Nano-Säulenfelder sorgen dafür, dass Wasser und Schmutz kaum anhaften können.“ Dank des fotokatalytischen Effektes würden alle organischen Materialien zersetzt. Die Multifunktionalität der Entwicklung schließe obendrein einen Schutz vor mechanischer Überbeanspruchung ein. „Kratzer werden viel seltener.“ Denkbar sei der Gebrauch auch für Smartphones.
„Knakke“ ist patentiert. Vermarkten will der Erfinder sein Produkt als Werbemittel. „95 % aller Zollstöcke werden verschenkt“, so Neugärtner. Sein ehrgeiziges Absatzziel: 5 Mio. Stück pro Jahr.
„Flexospann“: Interessant für Handwerker ist auch die Erfindung von Phillip Zemke und Timo Inzenhofer. Die beiden Auszubildenden, 17 bzw. 16 Jahre jung, haben „Flexospann“ entwickelt. „Das System erlaubt es, runde Werkstücke sicher in einen Schraubstock einzuspannen“, so Zemke. Möglich machen das zwei Spannbacken mit Öldruckkammern. In beide Kammern sind je zwölf Stahlstößel eingelassen, die sich dem jeweiligen Werkstück anpassen. Da alle Stößel in der gleichen Druckkammer fußen, üben alle den gleichen Druck auf das Werkstück aus – unabhängig davon, wie weit sie aus der Spannbacke herausragen. „Die größte Herausforderung waren die Dichtungen“, erinnert sich Zemke. Wie er sie gelöst hat, verrät er nicht.
Die Idee zu Flexospann kam den angehenden Konstruktionsmechanikern, als sie Zeuge eines Arbeitsunfalls in ihrem Betrieb wurden. Ein Kranhaken war während der Bearbeitung aus einem Schraubstock gesprungen und hatte einen Kollegen schwer verletzt.
„Blizzard“: Unfallvermeidung ist auch das Thema von Simon Zigala aus Tirol. Der 20-Jährige hat sich der Schnee- und Eisbefreiung von Lkw-Dächern verschrieben. Seine Erfindung „Blizzard“ besteht aus zwei autonomen Systemen. System 1 nennt sich „Check Your Trailer“ (CYT). Es dient der optischen Überprüfung des Anhängers. „Jeder Fahrer ist verpflichtet, sein Fahrzeugdach frei von unbefestigten Massen zu halten. Gleichzeitig verbietet es das Arbeitnehmerschutzgesetz, auf den Anhänger zu klettern“, erklärt der Österreicher. „Meine Lösung ist eine stationäre WLAN-Kamera, in die sich jeder Fahrer mit seinem Smartphone einwählen kann. Sie erlaubt ihm – quasi im Vorbeifahren – einen Blick von oben auf sein Gespann.“
Wenn der Fahrer Eis und Schnee entdeckt, kommt System 2 („Blow off Your Trailer“, BYT) zum Einsatz. „Es funktioniert auf Basis des aerodynamischen Paradoxons“, so der angehende Ingenieur. Seine Erklärung: „Wir blasen große Luftmengen durch ein gelöchertes Rohr frontal über die Plane. Sie wird dadurch zunächst von Schnee befreit. Zugleich wird sie aufgrund des entstehenden Unterdrucks angehoben. Dabei zerbrechen aufliegende Eisplatten und fallen zu Boden.“ Entscheidend für den Effekt seien die Luftmenge und Windstärke. „Als besonders effektiv haben sich 110 l Luft pro Sekunde und eine Geschwindigkeit von rund 100 km/h erwiesen.“ Das Rohr hat dabei einen Durchmesser von knapp 10 cm. Lkw, die in Schrittgeschwindigkeit die rund 4 m breite Anlage passieren, könnten damit energiesparend und schnell von ihrer gefährlichen Zusatzbeladung entledigt werden.
„Hand Assisted Bike“: Zum Entledigen von Ballast eignet sich auch die Erfindung von Markus Bauer. Der Flugzeugmechaniker hat dabei aber nicht gefrorenes Wasser im Visier. Er zielt ab auf lästiges Hüftgold. Sein selbst konstruiertes Zweirad überträgt das Crosstrainer-Konzept aus dem Fitnessstudio auf die Straße. Das aus Edelstahl und Konstruktionsaluminium zusammengesetzte Gefährt wird also nicht nur von den Beinen, sondern auch von den Armen angetrieben. Möglich macht das eine ausgefeilte Mechanik. Immer dann, wenn die Fußpedale am Totpunkt sind, erreicht die Kraftübertragung aus der Ruderbewegung der Arme ihr Maximum – eine Art von Vier-Takt-Fahrrad also. Zum Lenken muss lediglich das Handgelenk leicht eingedreht werden.
Zwei Jahre lang hat der Münchener in seiner Freizeit an dem „Hand Assisted Bike“ gearbeitet. Das Ergebnis entschädigt ihn für alle Mühen. „Die Bedienung ist kinderleicht und macht großen Spaß.“ Vor allem am Berg sei der Zusatzantrieb spürbar. „Mit einem normalen Rennrad bringe ich etwa 450 W auf die Straße. Mit meiner Erfindung schaffe ich locker 600 W.“ Geschwindigkeitsrekorde hat der 48-Jährige dabei aber nicht im Sinn. „Das verbietet sich schon durch die aufrechte Körperhaltung. Außerdem ist das Rad natürlich schwerer als ein normaler Drahtesel.“ Der Prototyp bringe noch 18 kg auf die Waage. Durch den Einsatz von Carbon könne das Gesamtgewicht aber auf unter 10 kg gedrückt werden, schätzt der Bastler.
„Kurvenlicht fürs Fahrrad“: Was dem „Hand Assisted Bike“ aktuell noch fehlt, ist eine angemessen innovative Beleuchtung. Die könnte der junge Maschinenbau-Student Leonhard John aus Karlsruhe zuliefern. Sein Trekking-Rad hat das, was bisher eher hochpreisigen Autos vorbehalten war: ein Kurvenfahrlicht. Der Clou: Der Scheinwerfer reagiert nicht auf den Lenkereinschlag, sondern auf die Blickrichtung des Fahrers. „Meist schaut man doch schon in eine Querstraße, bevor man in ihre Richtung abbiegt“, so der 19-Jährige. „Mit normaler Beleuchtung bleibt es dort jedoch zunächst dunkel. Der Fahrer hat also nur wenig Zeit, um auf etwaige Hindernisse zu reagieren.“
Dieses Problem hat der ehemalige Schüler des Schubart-Gymnasiums in Aalen gelöst, in dem er eine kleine LED an seinen Helm montiert hat. Ihr Lichtstrahl fällt auf eine Platinenkamera am Lenkrad. Diese überträgt alle Kopfbewegungen als Steuerungsbefehl an einen Stellmotor am Scheinwerfer. „Die benötigte Software gibt es kostenlos in einschlägigen Bibliotheken im Internet“, verrät John. Ausreichend Energie für das 5-V-System liefert ein Nabendynamo, der ein Ladegerät für Handys speist. Überschüssige Energie wird in einem Pufferspeicher aufgefangen.
Noch wirkt das Kurvenlicht insgesamt etwas klobig. Kamera und Rechner sind bisher in einem Kasten untergebracht, der am 3-D-Drucker entstanden ist. Auch der Motor ist nicht eben filigran. Doch der Erfinder weiß schon, wie er die optischen Mängel lösen will. „Künftig werden Rechner und Kamera von einem Smartphone ersetzt. Dann ist das System auch schneller demontierbar. Und der Servo wird nicht mehr den ganzen Scheinwerfer, sondern nur noch die interne LED bewegen – und entsprechend klein sein.“
Auch wenn John erst seit drei Wochen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) studiert – eines hat er schon mit vielen großen deutschen Ingenieuren gemein. Befragt nach seiner Vermarktungsstrategie, antwortet er ausweichend: „Da muss ich mal schauen…“
„Multi-Funktionsboard“: Ganz anders agiert Serienerfinder Horst Veith. Seine Herangehensweise ist immer die gleiche: „Ich warte nicht auf Geistesblitze, ich führe am Anfang immer Marktuntersuchungen durch. Meine Produkte müssen also keinen Markt schaffen, sie bedienen eine vorhandene Nachfrage.“ Der Erfolg gibt ihm recht. In der schier endlosen Liste seiner Innovationen finden sich u. a. der knickbare Strohhalm („weltweit in aller Munde“), der Klipp-Bilderrahmen, Moonboots oder die chemiefreie Matratzenreinigung. Jüngstes Glied in dieser Kette: das Multi-Funktionsboard, entwickelt in Kooperation mit Hausfrauenverbänden. „Es ersetzt vorhandene Regalböden in Kühlschränken“, so der Südbayer. „Integriert ist ein Drehteller. Dadurch sind alle Produkte stets erreichbar. Außerdem lässt sich der Teller kinderleicht entnehmen – etwa zum Frühstück.“ Bestückt ist das Board außerdem mit einer Patrone, die lebensmittelechtes Neutralisierungsgas verströmt. „Dadurch halten sich die Lebensmittel rund viermal länger als in einem normalen Kühlschrank.“ Schimmel, Bakterien, Keime und Gerüche hätten keine Chance. Weitere Features sind ein Thermometer und ein Hygrometer. „Eine Fotozelle registriert außerdem, wenn der Kühlschrank zu lange offen steht. Gegebenenfalls ertönt ein akustisches Signal.“
Veith will pro Jahr 2 Mio. Boards in der EU verkaufen. Rund 50 € soll jedes kosten. „Marketingpläne sind natürlich schon vorhanden.“ Der Erfinder räumt ein, dass sein jüngstes Baby kein Hightech-Produkt ist. Statt dessen sei es „einfach genial“.