Expertenkommission: Deutschland fällt bei Schlüsseltechnologien international weiter zurück
Wie stark ist Deutschlands Innovationskraft im internationalen Vergleich? Können die Deutschen ihre Digitalisierungsmüdigkeit endlich abschütteln? Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), ist skeptisch, weil ein echtes Digitalministerium fehlt.
VDI nachrichten: Herr Professor Cantner, heute haben Sie Bundeskanzler Olaf Scholz das Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation überreicht. Was steht drin?
Uwe Cantner: Das Gutachten ist eine Bestandsaufnahme der Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung im ersten Jahr dieser Legislatur. Man ist im Koalitionsvertrag mit großen Ambitionen gestartet – doch ein Jahr später ist man schon ein bisschen ernüchtert.
Woran liegt das?
Abgesehen von Einschränkungen, etwa Altlasten der Vorgängerregierungen wie die Digitalisierungsmüdigkeit Deutschlands, oder den Krisen durch Corona und den Ukrainekrieg, die jeweils große Kapazität binden und von den Langfristzielen ablenken, sind andere Länder besser auf Kurs als Deutschland. Die USA, Japan, Korea und auch China sind stark beim Thema Schlüsseltechnologien. Hier sehen wir bei Deutschland seit längerem ein Defizit, das möglichst schnell angegangen werden muss, nicht zuletzt aus Gründen der technologischen Souveränität.
Was konkret rät die Kommission, um das zu beheben?
Das Wichtigste ist, dass die Bundesregierung Strategie, Governance-Strukturen und Operationalisierung ihrer Forschungs- und Innovationspolitik ändert. Wir empfehlen die Bildung eines Zukunftsausschusses für Innovation und Transformation, in dem die für Innovation und technologischen Wandel wichtigen Ministerien – BMBF, BMWK, Digitalministerium, BMU, BMJV – sitzen. Ein solcher Ausschuss, angesiedelt beim Bundeskanzleramt, muss ressortübergreifend eingerichtet werden.
Hier müssen die großen F&I-Strategien zu Klima, Nachhaltigkeit und Digitalisierung missionsorientiert aufgelegt werden. Und hier werden die verschiedenen Strategien aufeinander abgestimmt. Um ein hohes Maß an Verbindlichkeit sicherzustellen, ist der Zukunftsausschuss dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Schauen Sie ins Ausland: In Korea, Japan, ja selbst in Frankreich findet man Regierungsausschüsse, die die großen strategischen Entscheidungen treffen und dann auch umsetzen. Deutschland ist da extrem schwerfällig, obwohl wir seit Jahren ressortübergreifendes Arbeiten predigen.
Haben Sie weitere Beispiele für neue Governance-Strukturen?
Nehmen wir die Agentur für Sprunginnovation (Sprind): Die braucht endlich Handlungsspielräume, um radikale Innovationen auch wirklich zünden zu können. Bei einem Zukunftsprojekt ist eben noch ungewiss, was hinten rauskommt. Da sollten andere rechtliche Rahmenbedingungen gelten. Oder die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI): Die wurde groß angekündigt, ist aber im ersten Anlauf gescheitert. Das muss jetzt zügig neu aufgesetzt werden, denn der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die ökonomische Anwendung ist immer noch ein großes Problem in Deutschland. Da muss einfach mehr geschehen! Wir können es uns nicht erlauben, Initiativen irgendwo verenden zu lassen.
Experten fordern eine Reform der Projektträgerschaft für die Forschungsförderung
Und dann braucht es noch eine Reform der Projektträgerschaft bei den Fördermaßnahmen. Es kann nicht sein, dass für ein Thema wie Wasserstoff drei oder vier Projektträger irgendwelche Programme fahren und sich nicht austauschen. Das muss künftig bei einem einzigen Projektträger liegen. Wichtig ist auch, dass Forscherinnen und Forscher ein Globalbudget bekommen. Damit könnte viel Verwaltungsaufwand während der Projektzeit durch ein einfaches Outcome-Controlling ersetzt werden.
Wo liegen aktuell die großen forschungspolitischen Herausforderungen?
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