Fraunhofer-Studie verdeutlicht Nutzen von Normen und Standards
Nicht nur große Konzerne treiben inzwischen Standardisierungsprozesse voran, sondern auch kleinere Unternehmen. Sie haben den Nutzen erkennt, den das gesellschaftlich aber auch wirtschaftlich bringen kann. Eine Studie der Fraunhofer-Gesellschaft gibt nun Handlungsempfehlungen, wie Organisationen die Vorteile von Normen und Standards richtig nutzen können.
Mittelständisch geprägte Unternehmen wie Harting in Espelkamp oder Phoenix Contact in Blomberg machen es gerade vor. Sie prägen mit dem Single-Pair-Ethernet einen Standard, der die Verkabelung in der Industrie sowie der Gebäudetechnik deutlich vereinfachen soll. Statt mehrerer Kabelpaare ist für Kommunikationsverbindungen dann nur noch ein Kabelpaar nötig. Beide Unternehmen haben dafür bereits Partner gefunden, die ihre Initiativen zur Normung unterstützen. Ähnliche Initiativen zur Standardisierung gibt es auch in vielen Anwendungsbereichen von Industrie 4.0. Mal engagieren sich Unternehmen firmenübergreifend dafür, eine gemeinsame Sprache für Maschinen auf Basis von OPC UA zu definieren, mal geht es um Standards für digitale Zwillinge und mal darum, den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Industrie zu definieren. Gerade im Bereich der digital vernetzten Produktion sehen deutsche und europäische Unternehmen zunehmend die Notwendigkeit, eigene und wenn möglich sogar globale Standards zu setzen.
Hoher Nutzen durch Systemfähigkeit
Gerade für Anwender ist es wichtig, dass es Standards gibt. Damit können sie sicherstellen dass Produkte miteinander kompatibel sind. Das gibt ihnen zudem Investitionssicherheit. Standards stellen darüber hinaus die Systemfähigkeit sicher, was auch für Anbieter wichtig ist, die kompatible Produkte, Lösungen und Dienstleistungen für etwas anbieten wollen. Auch ihnen geben Standards und Normen Investitionssicherheit.
Trotz des hohen Nutzens sind viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen nach einer aktuellen Studie der Fraunhofer-Gesellschaft jedoch zurückhaltend, wenn es darum geht, sich selbst an Standardisierungs- und Normungsprozessen zu beteiligen und Personal für entsprechende Gremien zu entsenden. Die Studie „Relevanz der Normung und Standardisierung für Wissens- und Technologietransfer“ beschäftigt sich mit den Gründen dafür und zeigt auf, wie dies geändert werden kann. Durchgeführt wurde sie vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI aus Karlsruhe, gemeinsam mit dem Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW aus Leipzig. Grundlage dafür bilden Erkenntnisse aus umfangreichen Recherchen sowie Interviews mit Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Verbänden und Normungsorganisationen.
Für Ralf Wehrspohn, Vorstand Technologiemarketing und Geschäftsmodelle der Fraunhofer-Gesellschaft, geht es bei Standardisierungsprozessen immer auch um die systematische Weiterentwicklung des Technologietransfers. „Standards und Normen sind ein Katalysator bei der Umsetzung von Technologien und Forschungsergebnissen in nützliche Produkte und gewinnen auch international immer mehr an Bedeutung“, sagt er. „Hier liegt ein enormes Potenzial für viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen“, ist er überzeugt.
Gründe für die Zurückhaltung
Im Wesentlichen identifiziert die Studie drei Hauptgründe für die Zurückhaltung: „Eine Hauptursache ist fehlendes Normungs- und Standardisierungswissen in den Organisationen. Sowohl Unternehmen als auch Forschungseinrichtungen sind sich gar nicht bewusst, welchen enormen Mehrwert eine Beteiligung bietet“, erklärt Knut Blind, Professor am Fraunhofer ISI und einer der beiden Projektleiter der Studie. Hinzu komme, dass dieser Mehrwert häufig immateriell und schwer zu quantifizieren ist, obwohl er zum Erfolg des Unternehmens bzw. der Forschungsorganisation beiträgt. Viele befürchten laut Blind auch, dass die eigene Beteiligung am Gemeinschaftsbeitrag für Außenstehende schwer erkennbar ist.
Ganz anders sieht das Bild jedoch bei befragten Unternehmen aus, die bereits aktiv an Standardisierungsprozessen oder in Normungsgremien mitwirken. Sie berichten von positiven Erfahrungen. „Für die Fachleute aus Wirtschaft und Wissenschaft ist die Zusammenarbeit mit Experten aus anderen Organisationen extrem spannend. Unternehmen beispielsweise bekommen hier Kontakt zu künftigen Geschäftspartnern oder Kunden“, berichtet Philipp Herrmann vom Fraunhofer IMW, der zweite Studienleiter. Unternehmen hätten durch die Mitarbeit in einer entsprechenden Arbeitsgruppe Unternehmen zudem eine Wissensvorsprung vor anderen. Denn sie könnten die Spezifikationen des jeweiligen Standards bereits frühzeitig in ihren Geschäftsinteressen und die bereits im Unternehmen vorhandenen Technologien einbringen. Für Forschungsorganisationen ist der Einsatz in die Standardisierung aus einem anderen Grund interessant. „Wir Forscherinnen und Forscher erleben immer wieder, dass unsere Erkenntnisse erst dann als Produkt realisiert werden, wenn es gelungen ist, diese als Standard zu definieren“, verdeutlicht Blind vom Fraunhofer ISI.
Auch das zeigt die Studie: Das Engagement für Normen und Standards verspricht keine schnellen Gewinne. Es ist dagegen eher strategisch angelegt. Denn am Normungsprozess sind Interessierte aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft beteiligt, die in einem Gremium eine konsensfähige Lösung zum Nutzen der Allgemeinheit erarbeiten.
Neben dem Wert für die Unternehmen sieht Wehrspohn auch positive Effekte für die Gesellschaft: „In Zeiten des Klimawandels, der Corona-Pandemie und der Debatte um Fake News sind wir mehr denn je auf die Erkenntnisse der Wissenschaft angewiesen. Durch die Etablierung von Standards und Normen entstehen funktionierende Produkte, die gesellschaftlich akzeptiert sind.“ Nichts belege die Seriosität der Forschung besser als funktionierende Produkte mit gesellschaftlicher Akzeptanz.
Handlungsempfehlungen
Die Fraunhofer Studie empfiehlt zunächst, eine grundlegende Strategie für Normung und Standardisierung zu entwickeln. Darüber hinaus sei es wichtig, Mitarbeitende und Forschende für die Bedeutung von Normung und Standardisierung zu sensibilisieren und zu qualifizieren. Zudem wird empfohlen, Prozesse zur regelmäßigen Prüfung der hauseigenen Technologien auf ihre Eignung als Standard zu etablieren und die Verantwortlichkeiten klar zu definieren. Darüber hinaus seien Kooperationen mit anderen Unternehmen oder Forschergruppen in Betracht zu ziehen.