Physik und Kultur 09. Apr 2024 Von Stefan Asche Lesezeit: ca. 3 Minuten

Gute Musik mit Röntgenlicht retten

Schweizer Forschende entwickeln eine Methode, um mit dem Röntgenlicht der „Synchrotron Lichtquelle Schweiz“ (SLS) Aufnahmen auf hochwertigen historischen Tonbändern zerstörungsfrei zu digitalisieren.

Physiker Sebastian Gliga entwickelt eine Methode, um mithilfe von Röntgenstrahlen, wie sie von der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) erzeugt werden, historische Musikaufnahmen auf zerfallenden Magnetbändern zerstörungsfrei und hochauflösend zu digitalisieren.
Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic

Magnettonbänder sind mittlerweile fast gänzlich aus unserem Leben verschwunden und genießen nur noch ein nostalgisches Nischendasein. In den Archiven der Tonstudios, von Radio- und TV-Sendern, in Museen und privaten Kollektionen weltweit lagern jedoch noch immer große Mengen solcher analoger Datenträger. Die Digitalisierung dieser Bestände ist eine ständige Herausforderung sowie auch ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die Tonbänder zerfallen und sind irgendwann nicht mehr abspielbar.

Sebastian Gliga, Physiker am Paul Scherrer Institut (PSI) und Spezialist für Nanomagnetismus, entwickelt mit seinem Team eine Methode, mit der sich historische und beschädigte Tonbänder mithilfe von Röntgenlicht zerstörungsfrei und in höchster Qualität digitalisieren lassen.

Sebastian Gliga beim Aufspulen eines Tonbands an einer Studer A80: Die Bandmaschine ist eine Leihgabe des Studios Idee und Klang des Basler Toningenieurs und Komponisten Daniel Dettwiler. Das analoge Gerät, das in den 1970er-Jahren in Regensdorf fabriziert wurde, dient zum Erstellen von Referenzaufnahmen, welche sich direkt mit den Ergebnissen der Synchrotronmessungen vergleichen lassen. Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic

Musikaufzeichnung: So funktionieren Magnettonbänder

Magnettonbänder speichern Information in einer Schicht winziger magnetischer Teilchen – ähnlich kleiner Kompassnadeln, die entweder gen Norden oder Süden zeigen. Wird das Band bespielt, so verändert sich deren magnetische Ausrichtung – das Band wird magnetisiert und die Audio-Information ist nun im Ausrichtungsmuster physisch gespeichert. Um dieses Muster wieder abzuspielen, bewegt man es an einem Lesekopf vorbei. Da sich das Magnetfeld durch die Ausrichtung der Kompassnadeln ständig ändert, wird im Lesekopf eine Spannung induziert und es entsteht ein elektrisches Signal. Dieses wird wiederum verstärkt und in ein akustisches Signal umgewandelt.

Magnettonbänder bestehen aus einer Schicht winziger magnetischer Teilchen – ähnlich wie Kompassnadeln, deren Ausrichtung zur Speicherung von analoger oder binärer Information verwendet wird. Um etwa Musikaufnahmen, die auf defekten und unlesbaren historischen Bändern gespeichert sind, wieder hörbar zu machen, nutzen Sebastian Gliga und sein Team Synchrotronlicht, wie es von der SLS erzeugt wird. Foto: Paul Scherrer Institut/Dominik Blatter

Mit seiner Röntgenmethode setzt Gliga nicht auf das Magnetfeld, sondern auf die einzelnen Kompassnadeln, die dieses Feld erzeugen. „Die Magnetisierungszustände dieser winzigen Teilchen, deren Größenordnung weniger als ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares beträgt, lassen sich mit Röntgenlicht der SLS fast individuell auslesen und in ein hochwertiges Audiosignal umwandeln.“ Eine Berührung der Bänder sei dafür nicht nötig.

Synchrotronlicht erlaubt hohe Abtastraten

„Digitalisierung ist ein kontinuierlicher Prozess“, erklärt der Physiker. Wichtig dabei ist die sogenannte Abtastrate. Sie beschreibt die Frequenz, mit der ein analoges Signal zur Umwandlung in ein digitales Signal abgetastet wird. Die kontinuierliche Schallwelle wird in Segmente mit einem bestimmten Zeitintervall unterteilt und digital gespeichert. Eine höhere Abtastrate bedeutet eine höhere Auflösung in der Digitalisierung des ursprünglichen Signals.

Lesetipp: Besser leben mit Hörgerät

Da sich mit dem Synchrotronlicht fast jede einzelne magnetische Kompassnadel auf dem Tonband messen lässt, kann man damit eine nie da gewesene Auflösung erzielen. „Wir erreichen damit so etwas wie die bestmögliche Kopie“, so Gliga.

So wird Synchrotronlicht erzeugt

Synchrotronstrahlung entsteht immer dann, wenn elektrisch geladenen Teilchen in einem Magnetfeld stark beschleunigt und dann abgelenkt werden. Sie entsteht auch dann, wenn die Teilchen auf ihrer Bahn abgebremst werden. Fachleute sprechen von „Bremsstrahlung“.

Musikaufnahme von B. B. King wird reanimiert

Eine Magnettonband-Aufnahme der Musik von B. B. King, entstanden auf dem Montreux Jazz Festival 1980. Das Band befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfalls, sodass es mit herkömmlichen Methoden nicht mehr direkt abgespielt werden kann. Die PSI-Forschenden verwenden Synchrotronlicht, um das Audiosignal wiederherzustellen. Foto: EPFL/Alain Dufaux

Auf Gligas Labortisch liegt momentan ein einmaliger Konzertmitschnitt des legendären Bluesgitarristen B. B. King. 1980 spielte der „King of the Blues“ sein zweites Konzert am Montreux Jazz Festival – ein 48-minütiges Spektakel, das vom Schweizer Toningenieur Philippe Zumbrunn auf Band festgehalten wurde. Heute lassen sich jedoch nur gerade mal 10 s dieses einmaligen Zeitzeugnisses abspielen. Die chemische Zusammensetzung des Tonbandes ist bereits so weit zerfallen, dass jede Wiedergabe in einem herkömmlichen Abspielgerät das Band nur noch weiter zerstört.

Die Besonderheiten des Montreux Jazz Festivals

1967 rief Claude Nobs das Montreux Jazz Festival ins Leben und verschaffte dem kleinen Städtchen am Genfersee ein Stück Musikgeschichte. Das Festival konnte seither einigen der bedeutendsten Künstlerinnen und Künstlern unserer Zeit eine Bühne bieten und über 5000 Konzerte veranstalten – große Namen wie B. B. King, Aretha Franklin, Deep Purple und Prince sind auf der prominenten Liste vertreten. Die Vision von Claude Nobs bestand darin, jedes Konzert in der bestmöglichen Qualität aufzuzeichnen, um das Festival weltweit zu übertragen. Daraus entstand ein umfassendes Archiv, das 2013 von der Unesco in das sogenannte „Memory of the World Register“ aufgenommen wurde.

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