Handys und Satelliten lassen Astronomie erblinden
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit kämpft die Wissenschaft gegen die Kommerzialisierung aller Arten von Funkfrequenzen. Aus gutem Grund, denn Handys, Satelliten und Co. drohen die Basis der Forschung zu untergraben.
Nur mal so angenommen: In einer mehr oder weniger fernen Zukunft leben wir Menschen auf dem Mond. Wir fahren nach getaner Arbeit mit unserem Mondrover nach Hause, nehmen die Fernbedienung – ein Knips – und öffnen unsere Mondgarage. Mondrover rein. Garage zu. Feierabend.
Den Knips mit der Garagenfernbedienung auf dem Mond. Den könnten wir sehen. Heute schon. Von der Erde aus. Mit unseren Radioteleskopen.
Das Gedankenspiel mit der Garagenfernbedienung haben sich Radioastronomen des US-Teleskops Green Bank ausgedacht, des größten frei beweglichen Radioteleskops der Welt. Um Laien anschaulich zu machen, wie empfindsam sie messen können. Die Kollegen von der Nummer zwei in der Rangliste, dem Radioteleskop Effelsberg in der Eifel, nehmen als Vergleichsobjekt lieber die Funkstärke eines alten GSM-Handys.
Unternehmen investieren Milliarden in jede neue Technikgeneration von Handys
Eins wird an beiden Beispielen deutlich: Radioteleskope sind sehr, sehr leistungsfähig – und damit fängt das Problem an. Wenn es nämlich so weitergeht, werden diese wissenschaftlichen Großinstrumente bald erblindet sein. Ausgeknockt vom zunehmenden Radiowellen-Dauerfeuer. Schuld daran sind Fernbedienungen aller Art, vor allem aber der Mobilfunk, der immer neue Technologiegenerationen hervorbringt. In letzter Zeit kommen dazu noch wachsende Megakonstellationen von Kommunikationssatelliten.
Frequenzbänder sind sehr wertvoll – aufgrund des kommerziellen Interesses, wie die letzten Versteigerungen für die 5G-Mobilfunkbänder gezeigt haben. Allein in Deutschland waren es 2019 rund 6,6 Mrd. €, die da erlöst wurden, in den USA 2021 fast 81 Mrd. $. Die Folge: ein ungleicher Kampf, der zum Ende der Wissenschaft führen könnte, wie wir sie heute kennen. Zumindest der Wissenschaft mit Radioteleskopen auf der Erde. Und die Radioastronomie ist nicht allein mit diesem Schicksal.
Die Geschichte des Weltalls bekommt immer neue Lücken, mit jeder Funkfrequenz, die wir technisch nutzen
„Natürlich hat die Radioastronomie bestimmte geschützte Bänder, aber das ist nur ein Bruchteil der Frequenzen, die wir eigentlich benutzen könnten oder wollten. Geschuldet ist das dem Umstand, dass früher die Empfänger in der Radioastronomie vergleichsweise schmalbandig waren. Das entspricht nicht mehr der heutigen Technologie“, erklärt Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, kurz MPIfR. Hinzu kommt, dass die Astronomen heute viel mehr Spektrallinien von Objekten und Prozessen erfassen können als früher.
Dadurch kommen viel mehr Frequenzen für ihre Forschung infrage.
„Wir haben heute schon Schwierigkeiten den Bestand an für die Radioastronomie nutzbaren Frequenzen zu halten, geschweige denn, neue Frequenzbänder zu erkunden, weil wir einfach die kommerzielle Kaufkraft dazu nicht haben“, erklärt Kramer.
Der Radioastronomie läuft zudem ihr Forschungsobjekt davon, aus den ursprünglich mal geschützten Frequenzbereichen heraus dorthin, wo kein Schutz mehr vorhanden ist. Das Phänomen nennt sich Rotverschiebung. Unter „rot“ verstehen die Astronomen den Bereich größerer Wellenlängen – ganz unabhängig davon, ob die beobachtete Strahlung nun sichtbares Licht ist oder Radiowellen. Je weiter entfernt ein Objekt liegt, desto mehr ins Rote verschoben kommt sein Signal bei uns an.
Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Wasserstofflinie“ bei ca. 1420 MHz. Für die Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler: der Hyperfeinstrukturübergang im Grundzustand des neutralen Wasserstoffs im Vakuum. Nicht-Fachleute müssen nur eines wissen: Mit dieser „Linie“, wie es im Fachjargon heißt, kann die Astronomie die Geschichte des Universums verstehen. Dazu muss sie das Radiospektrum komplett von 1420 MHz bis hinab zu 10 MHz abbilden. „Und wenn wir bei einer Frequenz nicht messen können, dann fehlt uns ein Zeitraum in der Geschichte des Universums“, so MPIfR-Direktor Kramer.
Astronomie und Amateurfunk sind Pioniere der Funktechnik, die Profiteure sind Handynutzer und Satellitendienste
Die Pionierfunktion wird der Radioforschung zum Verhängnis: Kommerzielle Nutzungen der Frequenzen sahnen bei den Pionieren der Radioantennen- und Radiofunktechnik – und dazu gehören die Radioastronomen – ab, was gut ist. „Die Problematik liegt auch für die Radioastronomie darin, dass alles, was sie als gut erachtet, irgendwann mal in den Kommerz geht und dann natürlich der Wissenschaft nicht mehr in der Breite zur Verfügung steht. Das ist die Grundproblematik, die ich da sehe“, sagt Ralph Wystup, Professor und Studiengangsleiter für Elektrotechnik an der IU Internationalen Hochschule (IU) in Erfurt.
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Denn Wystup frönt dem Amateurfunk, und der hat ähnliche Probleme: „Es gab früher eine große Bandbreite von Frequenzen, die der nicht kommerzielle Funk, wozu auch der Amateurfunk gehört, nutzen durfte, auch im Satellitenbereich, zum Beispiel bei 2,4 GHz. Wir hätten heute nicht die Kurzwellen- und UKW-Verbindungen, die wir kennen, wenn es die Funkamateure nicht gegeben hätte.“ Die Amateurfunkgemeinde war wegweisend, „und das war das Problem“, erklärt Wystup.
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