Spiegel statt Linse: Neuartiges Objektiv für Mikroskope nach dem Vorbild der Natur
Die Augen von Jakobsmuscheln dienten als Inspiration für Forschende der Universität Zürich bei der Entwicklung neuartiger Objektive für die Lichtmikroskopie. Damit gelingen hochauflösende Bilder von Geweben und Organen.
Es klingt komisch, aber einige Muschelarten können sehen. So besitzt die Jakobsmuschel bis zu 200 Augen, mit der sie Fressfeinde wie herannahende Seesterne erkennen kann. Im Gegensatz zum Menschen fokussiert die Muschel das Licht allerdings nicht mithilfe von Linsen in einem kompliziert aufgebauten Auge, sondern mit halbkugelförmigen „Spiegeln“.
Auch bei astronomischen Teleskopen werden Bilder mit Spiegeln statt mit Linsen erzeugt. Damit versuchen Forschende, so viel Licht wie möglich von Planeten, Sternen und Galaxien einzufangen. So besteht etwa das von Bernhard Schmidt in den 1930er-Jahren entwickelte „Schmidt-Teleskop“ aus einem mit einer dünnen Korrekturlinse kombinierten großen Kugelspiegel. Bis heute wird diese Technologie in vielen Sternwarten eingesetzt.
Herkömmliche Objektive für die Mikroskopie nutzen jeweils ein spezielles Immersionsmedium
In der Mikroskopie aber setzt man Spiegelobjektive eher selten ein. Die meisten Objektive sind so kompakt, dass sie problemlos aus vielen Linsen zusammengesetzt werden können. Für höchste Bildqualität braucht es dann allerdings bis zu 15 Linsen aus verschiedenen Glassorten, die zudem präzise poliert und exakt zueinander ausgerichtet sein müssen. Das kann schon einmal Kosten in der Größenordnung eines Mittelklassewagens verursachen – allein für die Objektive.
Außerdem sind viele Objektive meist nur für ein bestimmtes Immersionsmedium wie Luft, Wasser oder Öl ausgelegt. Dieses Medium wird genau zwischen Objektiv und Probe gebracht, nur so lässt sich dann ein klares Bild erzeugen. Für Proben in unterschiedlichen Immersionsmedien muss also jeweils ein neues Objektiv erworben werden. Hinzu kommt, dass sich biologische Proben nur in hauchfeinen Scheiben mikroskopieren lassen.
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Eine Art Miniaturteleskop als Mikroskop, das unter Wasser scharfe Bilder erzeugt
Der Neurowissenschaftler und Hobby-Astronom Fabian Voigt von der Universität Zürich hat sich nun von den Augen der Jakobsmuscheln inspirieren lassen. Er erkannte, dass man ein Schmidt-Teleskop mit einem flüssigen Immersionsmedium füllen und auf die Größe eines Mikroskops schrumpfen kann. Das so entstandene „Schmidt-Objektiv“ ist eine Art Miniaturteleskop, das unter Wasser gesetzt trotzdem ein scharfes Bild liefert.
„Es ist möglich, ein Schmidt-Objektiv so auszulegen, dass es in jeder homogenen Flüssigkeit und auch in Luft exzellente Bildqualität liefert“, sagt Voigt. „Damit ist ein einziges Schmidt-Objektiv mit vielen verschiedenen Clearingtechniken kompatibel.“ Bei einem solchen Clearing können Gewebe auch als Ganzes transparent gemacht werden – allerdings häufig mit Immersionsmedien, die mit herkömmlichen Objektiven nicht kompatibel sind. Der Grund für diese ungewöhnliche Eigenschaft ist, dass ein Spiegel anstelle von Linsen verwendet wird und die Korrekturlinse speziell angepasst ist. Der Kugelspiegel fokussiert das Licht an derselben Stelle, egal ob in Flüssigkeit getaucht oder in der Luft.
Vielseitige Anwendungsmöglichkeiten auch in der medizinischen Diagnostik
Mit dem Schmidt-Objektiv haben die Züricher Forschenden um Fabian Voigt und Fritjof Helmchen bereits Mäusegehirne, Kaulquappen und Hühnerembryos untersucht, um dessen Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Gemeinsam mit einem Team der Universität Maastricht konnten sie auch geclearte menschliche Hirnproben analysieren oder die neuronale Aktivität im Gehirn von jungen lebenden Zebrafischlarven untersuchen.
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„In allen Fällen war die Bildqualität gleichwertig oder sogar besser als mit herkömmlichen Objektiven – und das, obwohl das Schmidt-Objektiv lediglich aus zwei optischen Elementen besteht“, fasst Helmchen zusammen. „Im Vergleich zu klassischen Objektiven, die rund ein Dutzend mehr Linsen aufweisen, kann ein Schmidt-Objektiv daher wesentlich kostengünstiger hergestellt werden.“ Künftige Anwendungsmöglichkeiten sehen die Forschenden auch in der Untersuchung von Tumorgewebe oder in der Erkennung von neurologischen Erkrankungen.