Wie KI die Materialforschung beschleunigt
Mit KI lassen sich neue Materialien mit bestimmten Eigenschaften schneller finden. Ein Team des FZ Jülich hat das jetzt für Perowskit-Solarzellen gezeigt.
Was die künstliche Intelligenz (KI) nicht alles „revolutioniert“. Das Wort wird gern benutzt, wenn es um KI geht – schlicht, weil Dinge, die vorher sehr mühsam waren, plötzlich sehr viel schneller passieren. Das ermöglicht denjenigen, die damit zu tun haben, oft ganz neue Möglichkeiten. In der Materialforschung, also der Suche nach Stoffen, die ganz bestimmte Eigenschaften haben oder die auch ganz neue Eigenschaften mitbringen, passiert dank KI genau solch eine „Revolution“: Neue Werkstoffe lassen sich schneller und gezielter entdecken, entwerfen, designen. Ein Team am Forschungszentrum (FZ) Jülich hat jetzt KI dazu genutzt, Materialien für die Photovoltaik der nächsten Generation, die sogenannten Perowskite, sehr viel schneller als bisher und mit überraschenden Ergebnissen zu finden. Das Simulieren, Bewerten und Testen geht mit KI einfach schneller.
Vor allem im Bereich Medizin und Pharmazie werden KI-Tools eingesetzt, auch kommerziell. Besonders spannend sind aber eben auch Fortschritte in der Energiespeicherung, der Katalyse oder eben bei Materialien für neue Solarzellentechnologien. Neben der KI erhoffen sich Materialforschung und Chemie einen Tempobooster durch Quantencomputer, weil auf diesen Rechenmaschinen entsprechende Simulationen sehr viel schneller ablaufen können.
Wie verbessert KI die Materialforschung bei der Entwicklung von Perowskit-Solarzellen?
Perowskit-Solarzellen gelten als vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Silizium-Solarzellen. Sie sind flexibler, günstiger herzustellen und effizient. Das Team des FZ Jülich rund um Tenure-Track-Professor Pascal Friederich vom Institut für Nanotechnologie des KIT und Christoph Brabec vom Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (HI ERN) hat jetzt KI-gestützt neue Moleküle gefunden. Diese steigerten den Wirkungsgrad einer Referenzsolarzelle um 2 % – von 24,2 % auf 26,2 %. KI kam dabei mehrfach zum Einsatz, die Wissenschaftler kombinierten dabei den Einsatz von KI mit vollautomatischer Hochdurchsatzsynthese.
Zuerst analysierte das Team 1 Mio. potenzielle Moleküle aus einer Datenbank. Mithilfe von KI selektierten sie 13.000 Kandidaten. „Mit nur 150 gezielten Experimenten konnte ein Durchbruch erzielt werden, der sonst Hunderttausende von Tests erfordert hätte. Der entwickelte Workflow eröffnet neue Möglichkeiten für die schnelle und kosteneffiziente Entdeckung leistungsstarker Materialien in einer Vielzahl von Anwendungsfeldern“, so Brabec.
Daraus berechneten die Forschenden am KIT mit etablierten quantenmechanischen Methoden Energieniveaus, Polarität, Geometrie und andere Merkmale. 101 Moleküle davon wurden schließlich ausgewählt, im Labor hergestellt und getestet. Mit diesen Ergebnissen wiederum trainierten die Forscher ein KI-Modell, das weitere Moleküle mit hohem Potenzial vorschlug. Mit diesem Ansatz wurden innerhalb weniger Wochen Fortschritte erzielt, die sonst jahrelange Arbeit erfordert hätten.
Welche Materialien konnten KI-gestützte Ansätze bereits hervorbringen?
Die Anwendung der KI im Bereich der Materialforschung heute als „Revolution“ zu bezeichnen, ignoriert die Tatsache, dass die Methode schon viele Jahre im Einsatz ist. So berichtete die Universität Basel bereits im September 2016, dass mit Methoden der künstlichen Intelligenz Chemiker die Eigenschaften von rund 2 Mio. Kristallen berechnet hätten, die aus vier verschiedenen chemischen Elementen zusammengesetzt sind. „Dabei konnten die Forscher 90 bisher unbekannte Kristalle identifizieren, die thermodynamisch stabil sind und als neuartige Werkstoffe in Betracht kommen“, meldete die Universität damals.
In der Chemie werden diese Tools inzwischen längst eingesetzt. Bereits 2017 suchten die Spezialisten von Creative Quantum, ein Unternehmen, das Auftragsforschung auf molekularer Ebene anbietet, mithilfe von KI Daten nach leistungsfähigeren Katalysatoren. Dass noch viel ungenutztes Potenzial in der Kombination KI und Materialforschung steckt, zeigt auch eine Kooperation des Bigtech-Konzerns Microsoft mit dem staatlichen Pacific Northwest National Laboratory. Ziel: die Suche nach Materialien für langlebigere und effizientere Batterien.
Was macht KI in der Materialforschung so effizient?
Statt jedes mögliche Molekül im Labor zu testen, bewertet KI potenzielle Kandidaten in Simulationen. Dabei kombiniert sie quantenmechanische Berechnungen mit Mustern, die aus experimentellen Daten gelernt wurden. So können auch überraschende Ergebnisse erzielt werden: Moleküle, deren Potenzial vorher nicht erkennbar war, werden durch KI-Analysen entdeckt.
Ein Beispiel aus der Forschung an Perowskit-Solarzellen zeigt dies deutlich: Das Modell schlug weitere 48 Moleküle zur Synthese vor, basierend auf zwei Kriterien: ein erwartender hoher Wirkungsgrad und unvorhersehbare Eigenschaften. „Wenn sich das Machine-Learning-Modell bei der Prognose des Wirkungsgrades unsicher ist, lohnt es sich, das Molekül herzustellen, um es näher zu untersuchen“, erklärt Friederich das zweite Kriterium. „Es könnte mit einem hohen Wirkungsgrad überraschen.“ Tatsächlich ließen sich mit den von der KI vorgeschlagenen Molekülen überdurchschnittlich effiziente Solarzellen bauen, darunter auch solche, die modernste andere Materialien übertreffen.
Die Forschenden können die Molekülvorschläge der KI in gewissem Ausmaß nachvollziehen, da die verwendete KI angibt, welche Merkmale der virtuellen Moleküle für ihre Vorschläge ausschlaggebend waren. Es zeigte sich, dass sich die KI-Vorschläge teilweise auch auf Merkmale stützten, die Chemiker bisher weniger beachtet hatten, zum Beispiel das Vorhandensein bestimmter chemischer Gruppen wie Amine.
Welche Chancen bietet KI für eine nachhaltige Zukunft?
Die Materialforschung hilft auch im Bereich Umwelt. Die Kooperation von Microsoft und PNNL erstreckt sich auch darauf, Lösungen zur Beseitigung giftiger Chemikalien zu finden oder nachhaltigerer Werkstoffe. Mit KI lassen sich also auch globale Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit adressieren.
Einige der mit KI gefundenen Materialien besitzen Eigenschaften, die in der Natur nicht vorkommen – beispielsweise exotische Kristallstrukturen oder neuartige chemische Bindungen. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten für die Technik der Zukunft.