KONSUMELEKTRONIK 27. Jun 2019 Stefan Schridde Lesezeit: ca. 4 Minuten

„Geplante Obsoleszenz ist ein Fehler“

Die IFA ist zu einer Messe der Kurzlebigkeit geworden. Hier werden immer mehr Produkte gezeigt, die den Anforderungen an Ressourceneffizienz widersprechen, sagt Stefan Schridde von „Murks? Nein Danke! e. V.“ und fordert von Ingenieuren und Designern ein Umdenken.

Elektrolytkondensatoren (blaugrün) sind in vielen Konsumelektronikprodukten in der Nähe von Hitze falsch platziert oder zu schwach ausgelegt.
Foto: Schridde

Die IFA führt uns erneut die Innovationskraft der Konsumgüterbranche vor die Augen. Doch viele Neuerungen gehen an den Anforderungen der werdenden Kreislaufgesellschaft vorbei, deren größten Herausforderungen der Klimawandel und die Ressourcenwende sind.

Stefan Schridde


Foto: privat

ist der Initiator und Vorstand von „Murks? Nein Danke!“, einer bürgerschaftlichen Verbraucherschutzorganisation für nachhaltige Produktqualität und gegen geplante Obsoleszenz.

studierte Betriebswirtschaftslehre in Würzburg.

übernimmt seit mehr als 25 Jahren Führungs- und Projektverantwortung in Konzernen, KMU, Krankenhäusern und Kommunen.

arbeitet seit 2004 freiberuflich als Dozent und Berater.

ist Geschäftsführender Gesellschafter der Arge Regio Stadt- und Regionalentwicklung GmbH in Berlin. rb

Wir erleben stattdessen ein von ökonomischen Interessen getriebenes Produktmarketing, das die nachhaltigen Potenziale ingenieursmäßiger Entwicklungskompetenz unbeachtet lässt.

Wer kennt das nicht? Da landen Konsumgüter im Regal, die sich in ihrer Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Nutzbarkeit weit von dem entfernt haben, was Ingenieure mit Produzentenstolz erfüllen könnte.

Obsoleszenz in der Diskussion

Die Fraktionen Die Linke und die Grünen haben bereits konkrete Anträge im Bundestag gegen geplante Obsoleszenz gestellt. Sie wollen insbesondere Hersteller von Elektrogeräten auf eine längere Lebensdauer ihrer Produkte, für bessere Reparierbarkeit und Ersatzteilverfügbarkeit verpflichten. Für Mobiltelefone wollen die Linken z. B. eine Mindestnutzungszeit von drei Jahren festschreiben, fest verbaute Akkus sollen verboten werden.

Auch die SPD bezieht über ihr Themenforum Verbraucherpolitik eine klare Position für Maßnahmen gegen geplante Obsoleszenz.

Die VDI Gesellschaft Produktion und Logistik beschäftigt sich mit Obsoleszenzmanagement. Im Entwurf der Richtlinie VDI 2882 heißt es u. a.: „Obsoleszenzfälle treten durch die rapide steigende Anzahl von Innovationen sowie die ‚Elektronifizierung‘ in allen Branchen der Investitionsgüterindustrie (Anlagegüter, Infrastruktur, langlebige Gebrauchsgüter, Verbrauchsmaterial und Softwareprodukte) auf. Ziel der Richtlinie ist die Beschreibung von Konzepten zur Sicherstellung der Nutzung von Systemen bzw. Komponenten, die älter als 10 oder 20 oder auch 30 Jahre sind …“. rb

Der kaufende Bürger wundert sich über das trügerische Angebot, das sich hinter Marken und Styling versteckt und nur zeitlich begrenzt Nutzen bieten will, wo das Eigentum daran eigentlich lange Freude bieten soll. Die IFA ist zu einer Messe dieser Kurzlebigkeit geworden.

Konsumgüter werden oft nur für eine Dauer von zwei Jahren (z. B. Smartphones, Haushaltskleingeräte, Schuhe, Mode) bis fünf Jahren (z. B. TV-Geräte, Laptops) ausgelegt. Langlebigkeit ist für viele Hersteller schon mit sieben Jahren erreicht (z. B. Kfz, Haushaltsgroßgeräte).

Geplante Obsoleszenz wird diese ökonomisch gewollte Kurzlebigkeit von Fachleuten genannt. Der ruinöse globale Wettbewerb hat die Vielfalt der Ausprägungen erheblich gesteigert. Innovationen werden von Gewinnsteigerung statt von Nutzenmehrung getrieben.

Gesättigte Märkte, unternehmerische Einfallslosigkeit, gewollte Unterlassungen und Ignoranz gegenüber Forderungen der Gesellschaft sind die häufigsten Gründe. Auch im gewerblichen Bereich werden die Fälle häufiger. „Murks? Nein Danke! e. V.“ hat unterschiedliche Produktbeispiele prüfen lassen und eine Vielzahl von Fällen ausgemacht, die für Ausprägungen der geplanten Obsoleszenz stehen.

Hier ein paar typische Fälle:

Zahnräder mit geringer Robustheit, die nicht austauschbar sind, gibt es auch in wertigen Markenprodukten. Foto: Schridde

 

Kabelbruch tritt vor allem dort auf, wo es abrupte Übergänge beim Kabelanschluss von hartem auf weichen Kunststoff gibt. Foto: Schridde

Diese betriebliche Ausprägung der vom Menschen verursachten Obsoleszenz („anthropogene Obsoleszenz“) ist Ursache von erheblichen Schadfolgen für Gesellschaft und Umwelt. Anthropogene Obsoleszenz unterscheidet sich von natürlicher Obsoleszenz (Entropie, Wechselwirkung) und untergliedert sich in die geplante, die exogene (von außen einwirkend, z. B. Gesetze) und human-ethologische Obsoleszenz (menschliches Verhalten).

Geplante Obsoleszenz umfasst Strategien und Methoden von Herstellern, Einzelhandel und Dienstleistern, die eine ökonomisch begründete Obsoleszenz von Ressourcen, Produktsystemen und Dienstleistungen anstreben. Auch ökonomisch definierte Laufzeitbegrenzungen von Arbeitsverhältnissen, Projekten und Unternehmen sind Ausprägungen der geplanten Obsoleszenz.

Soweit in betrieblichen Zusammenhängen Eigenschaften wie Material, Robustheit, Abrieb, Tribologie, Bruchfestigkeit, Erosion und Ähnliches erforscht und für die ökonomisch gewollte Gebrauchsdauer berücksichtigt werden, ist von geplanter Obsoleszenz auf stofflicher Ebene zu sprechen. Produktverschleiß ist daher in nahezu allen Erscheinungsformen keine natürliche Obsoleszenz.

Auf europäischer Ebene ist das Problem dieser ruinösen Ressourcenverschwendung und der erkannte Handlungsdruck durch eine Vielzahl von Aktivitäten dokumentiert. Eine breite gesellschaftliche Debatte, Fachveröffentlichungen und politische Forderungen verdeutlichen den Handlungswillen.

Die EU-Kommission und der Rat der Europäischen Union fordern Maßnahmen gegen geplante Obsoleszenz auf nationaler Ebene. Frankreich führte bereits Gesetze gegen geplante Obsoleszenz ein. Die deutsche Verbraucherministerkonferenz fordert entsprechende Maßnahmen auf Bundesebene. Das aktualisierte Ressourceneffizienzprogramm der Bundesregierung setzt erste Zeichen.

Eine überzeugende Gemeinschaft von Verbraucherschutzorganisationen, Hochschulen, Forschungsorganisationen, Gewerkschaften, Natur- und Umweltschutzverbänden und Nichtregierungsorganisationen macht sich stark für eine rasche Umsetzung von zielführenden Programmen und Maßnahmepaketen für mehr Haltbarkeit und Kreislaufführung. Ingenieure in Produktion, Produkt- und Prozessgestaltung sehen sich ebenso gefordert. Gemeinsam mit engagierten Ingenieurinnen und Ingenieuren vom VDI und VDE haben wir in Berlin den „AK Obsoleszenz“ gestartet. Unsere Arbeit soll mit bundesweiten Treffen ausgeweitet werden. Interessenten sind willkommen.

Gewerkschaften und Mittelstand haben die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt und setzen auf den notwendigen betrieblichen Wandel.

Geplante Obsoleszenz ist ein Fehler. Um diesen Fehler auf betrieblicher Ebene zu beheben, sind wohlgesetzte politische Rahmenbedingungen hilfreich. Eine erhebliche Steigerung von Haltbarkeit und Nutzungsdauern von Konsumgütern ist unter sonst gleichen Kosten und Handlungsoptionen möglich. Wenn die Dinge länger halten, wird erhebliches Kapital für neue Märkte und eine Ressourcenwende freigesetzt.

Für diese Aufgabe ist eine stärkere Beachtung ingenieursmäßiger Kompetenz in den Betrieben sachlich und persönlich geboten. Im Management müssen hierfür jetzt die Weichen gestellt werden.

Die Organisationen der Ingenieure und Designer sind gefordert, sich der gesellschaftlichen Anstrengung zur Beendigung der geplanten Obsoleszenz konstruktiv und mit beispielgebender Gestaltungskompetenz anzuschließen. Die nächste IFA sollte Lösungen vorstellen.

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