Chemie-Nobelpreis: Molekülfabrik nach dem Lego-Prinzip
Moleküle zu produzieren, erledigt die Natur nebenbei. Im Labor aber ist das kompliziert – es sei denn, man bedient sich einer Methode, bei der die Bausteine quasi zusammengesteckt werden. Deren „Erfinder“ Morten Meldal, Barry Sharpless und Carolyn Bertozzi erhielten jetzt den Nobelpreis für Chemie.
Von Bettina Reckter
Eine Art Click-Chemie nach dem Lego-Prinzip, um selbst komplexe Moleküle schnell und effizient aus einfachen Bausteinen zu entwickeln – der US-Amerikaner Barry Sharpless (81) und der Däne Morten Meldal (68) haben dafür die Grundlagen entwickelt. Die Methode für Anwendungen in der Medizin fit gemacht hat wiederum die US-Amerikanerin Carolyn Bertozzi (56). Alle drei zusammen wurden jetzt für ihre Arbeiten mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt.
Für Sharpless ist es nach 2001 bereits der zweite Nobelpreis: Damals bereits befasste er sich damit, wie komplexe Moleküle aus kleineren und vor allem reaktionsfreudigen Einheiten wie Legosteine zusammengebaut werden könnten. Schnell war dafür die Bezeichnung „Click-Chemie“ gefunden. „Click-Chemie ist durch eine Auswahl einiger weniger nahezu idealer Reaktionen charakterisiert“, heißt es dazu etwa im Fachblatt „Angewandte Chemie“.
Zugabe von Kupferionen formt Moleküle mit ringförmiger Struktur
Es dauerte nicht lange, bis der Däne Meldal die erste klassische Click-Reaktion entdeckte. Und zwar verbindet sich demnach ein Alkin, früher auch als Acetylen bezeichnet, mit einem Azid, also einer Verbindung der Stickstoffwasserstoffsäure, unter Zugabe von Kupferionen zu einer ringförmigen Struktur. Solche Strukturen, auch Triazole genannt, sind chemisch sehr stabil. Sie werden zum Beispiel in Pharmazeutika und Pflanzenschutzmitteln eingesetzt.
Lesetipp: Chemienobelpreis für die Väter der Lithium-Ionen-Batterie
Auch Sharpless experimentiert mit solchen durch Kupfer katalysierten Ringstrukturen. Für ihn ist es die ideale Click-Reaktion, mit der sich Funktionsmaterialien herstellen lassen. Diese können Elektrizität leiten, Sonnenstrahlung einfangen, UV-Strahlung abhalten oder Bakterien abtöten.
Chemische Erkenntnisse mit biologischen Systemen verknüpft
Die US-Forscherin Bertozzi wiederum arbeitet seit den 1990er-Jahren mit Viren. Wenn Viren in lebende Zellen eindringen, sind meist auch Glykane, also bestimmte Vielfachzucker, beteiligt. Bertozzi suchte nun einen Weg, lebende Zellen zu markieren, ohne die Zellen zu schädigen. Wissend, dass Kupferionen zellschädigend sind, experimentierte sie mit Ringstrukturen auf Basis von Alkynen.
Lesen Sie hier, wie die EU Krebstherapien europaweit koordinieren will
„Was die Arbeit von Bertozzi auszeichnet, ist, dass nur die gewünschte chemische Verknüpfung entsteht und das biologische System nicht in unkontrollierter Weise beeinflusst wird“, erklärt Constanze Neumann vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. „Damit stehen weitreichende Anwendungsmöglichkeiten in der medizinischen Forschung und der Entwicklung neuer Therapien offen.“
Fortschritte für Krebsmedizin und Therapie von Autoimmunerkrankungen
Von Bertozzis Entdeckung könnte die Krebsmedizin profitieren. Denn wenn das Immunsystem von Glykanen auf der Oberfläche von Krebszellen daran gehindert wird, den Tumor anzugreifen, könnte man umgekehrt Antikörper entwickeln, die an diese Stoffe binden. Bestückt man nun aber diese Antikörper mit Enzymen, die die Glykane entfernen, würde das Immunsystem die Tumorzellen eliminieren können.
Tatsächlich befinden sich solche komplexen Gebilde bereits in klinischen Studien, sagte dazu das Nobel-Komitee. Und Aubry Miller vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKF) ergänzt: „Die Forschung von Bertozzi, Meldal und Sharpless spielt bereits eine große Rolle in der Medizin. Das hat viel ermöglicht, nicht nur in der Krebs-, sondern in der Wirkstoffforschung allgemein.“
Mit Material von dpa