Sepsis: Bosch und Randox wollen Erreger schneller erkennen
Um schneller zu medizinischen Diagnosen zu kommen, bündeln die beiden Unternehmen ihre Kräfte. Auf Basis sogenannter BioMems soll zunächst Sepsis mit kleinen Geräten erkannt werden.
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Medizinische Laboruntersuchungen in Speziallaboren benötigen Zeit – Stunden und Tage, die im Ernstfall zu irreparablen Schäden oder sogar dem Tod führen können.
Oft kommt es auf jede Minute an, wenn es darum geht, eine einfache Erkältung von einer Grippe oder gar einer lebensbedrohliche Hirnhautentzündung zu unterscheiden. Eine hoch automatisierte Molekulardiagnostik mit kompakten Geräten vor Ort könnte hier künftig helfen. Dazu hat das Technologieunternehmen Bosch nun eine strategische Partnerschaft mit dem Diagnostik- und Medizintechnikunternehmen Randox Laboratories geschlossen.
Beide Unternehmen gaben bekannt, rund 150 Mio. € in gemeinsame Forschungs-, Entwicklungs- und Vertriebsaktivitäten für neue Tests auf Basis der Vivalytic-Analyseplattform von Bosch Healthcare Solutions zu investieren. Mit der Plattform will Bosch schnelle und hochpräzise Diagnostik am Ort der Behandlung (Point-of-Care) zugänglich zu machen. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mit Molekulardiagnostik zu einem führenden Anbieter im Markt zu werden.
BioMems für die schnelle lokale Diagnose von Sepsis
Ein Ziel ist dabei die Entwicklung eines In-Vitro-Diagnostiktests für Sepsis. Also die Untersuchung von Proben außerhalb des Körpers auf Anzeichen für eine Blutvergiftung, die als eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland gilt. Erstmals sollen diese Tests auf Basis der neuartigen BioMems-Technologie umgesetzt werden. Das sind im Prinzip Mikrochips zur Untersuchung von biologischen Merkmalen. Synonym wird dafür manchmal auch der Ausdruck „Lab on a chip“ genutzt, der aber auch Mikroreaktoren umfasst. Expertinnen und Experten sprechen hier von einem Hochmultiplex-Test. Denn Sepsis kann bei verschiedensten Infektionskrankheiten entstehen. Wird sie in deren Folge nicht rechtzeitig erkannt, führt sie zu einem medizinischem Notfall mit Multiorganversagen, der umgehend ärztlich behandelt werden muss.
Bosch liefert Mems bereits für Autos und Smartphones
Die BioMems-Technologie haben Entwicklerteams aus der Bosch-Forschung in Renningen sowie von Bosch Healthcare Solutions in Waiblingen entwickelt. Denn Bosch entwickelt bereits länger solche Mikro-Elektronisch-Mechanische-Systeme (Mems), die bisher als Sensoren mit unterschiedlichen Funktionen in Autos und Smartphones zum Einsatz kommen. Marc Meier, Geschäftsführer der Bosch Healthcare Solutions GmbH, stellt den Bezug zur Analyseplattform her: „Wir verfolgen das ehrgeizige Ziel, unsere Testkartuschen für die Vivalytic-Plattform um die Funktionen eines mikrosystemtechnisch leistungsstarken Siliziumchips zu erweitern.“ Dabei kombiniere man das Know-how von Bosch in den Bereichen Mems-Chips, Molekulardiagnostik und Mikrofluidik.
Laut Peter Fitzgerald, Geschäftsführer von Randox Laboratories, sind die derzeitigen Methoden der Sepsisdiagnose nicht ausreichend und zeitaufwendig. Zur hochmultiplexen Analyse per BioMems-Technologie sagt er: „Ein solcher Test könnte die Sepsisdiagnose revolutionieren und letztlich zu besseren Behandlungsergebnissen und einer geringeren Sterblichkeitsrate bei dieser lebensbedrohlichen Erkrankung führen.“ Mit dem leistungsfähigen BioMems-Chip wird die Vivalytic-Testkartusche nach Aussage der Anbieter um ein weiteres Analyseverfahren ergänzt und ermöglicht das gleichzeitige und deutlich schnellere Testen auf eine große Zahl unterschiedlicher Krankheitserreger.
Von der Mikrofluidik zur Nanofluidik: Was BioMems ausmacht
In den BioMems werden mikroelektromechanische Systeme mit Mikrofluidik für Anwendungen im medizintechnischen Bereich zusammengeführt. In der Mikrofluidik werden sehr geringe Flüssigkeitsmengen im Mikroliterbereich auf kleinstem Raum prozessiert. Durch Miniaturisierung können in Echtzeit parallelisiert qualitative biochemische Polymerase-Kettenreaktionen (PCR) auf einem BioMems-Chip ablaufen. „Im Vergleich zu bisherigen PCR-Reaktionen werden die Volumina von Flüssigkeiten um den Faktor 1000 in den Nanoliterbereich reduziert. Die Analyse von Flüssigkeiten wird einem kleinen Mikrochip überlassen“, erklärt Meier die Funktionsweise. Er umschreibt die Testkartusche als ein hochkomplexes Labor in Smartphone-Größe. Mit der neuen BioMems-Technologie sei der Nachweis von bis zu 250 genetischen Merkmalen (z. B. Erreger) in einer Kartusche voll automatisiert in teils weniger als 15 min möglich.
Durch BioMems werde es zukünftig einfacher, neue Tests schnell anzupassen, respektive bestehender Tests auf dem Chip. So können z. B. bestehende Tests einfach um weitere Merkmale erweitert werden.
„Die BioMems-Technologie ebnet uns den Weg in die Nanofluidik. Ein Erreger wird dabei in einem Reaktionsgefäß mit der Dicke eines Haares untersucht“, sagt Meier. Hierfür will Bosch auf einem Mems-Chip noch mehr Kapazitäten schaffen und diesen um sogenannte Nanokavitäten erweitern. Nanokavitäten sind sehr kleine Hohlräume auf einem Chip, wodurch noch mehr biochemische Prozesse parallel ablaufen können. Mit zunehmender Miniaturisierung hat die Technologie langfristig das Potenzial, auch in der Onkologie eingesetzt zu werden. Die BioMems-Chips sollen im Bosch-Halbleiterwerk in Reutlingen gefertigt werden, wobei die Bio-Integration und der Kartuschenaufbau in Waiblingen bei Bosch Healthcare Solutions erfolgen wird.
Hintergrund der Aktivitäten von Bosch in der Medizintechnik
Bosch hat die Medizintechnik als ein strategisches Wachstumsfeld definiert. Die Point-of-Care-Molekulardiagnostik wird als zukünftiger Milliardenmarkt eingeschätzt. Bosch strebt hier mit seiner Vivalytic-Analyseplattform eine führende Marktposition an. „Mit Spitzentechnologie aus unseren eigenen Laboren und unserer eigenen Fertigung wollen wir langfristig gemeinsam mit Partnern im Bereich Präzisionsdiagnostik wachsen“, sagt Stefan Hartung, Vorsitzender der Geschäftsführung von Bosch. „Die Medizintechnik profitiert dabei ganz besonders von unserer diversen Aufstellung, den Kompetenzen und Vorleistungen aus Automatisierung, Miniaturisierung, Molekulardiagnostik sowie von unseren Erfahrungen der Mikrochipentwicklung und -fertigung“, ergänzt er.
Gemeinsam mit Randox strebt Bosch Healthcare Solutions eine schnellere Entwicklung und Markteinführung neuer Tests für die Vivalytic-Plattform an. Zugleich sollen die Vertriebswege ausgebaut werden. Die Partnerschaft ist laut Bosch auf mehr als zehn Jahre ausgerichtet. Bis 2030 setzen sich beide Unternehmen Umsätze mit Vivalytic im mittleren dreistelligen Millionenbereich als Ziel. „Der globale Trend im Gesundheitswesen geht hin zu dezentraler und personalisierter Diagnostik, die schnelle Interventionen und individuelle Behandlungspläne ermöglicht“, zeigt sich der Geschäftsführer von Bosch Healthcare Solutions Marc Meier überzeugt.
Bosch und Randox entwickelten bereits automatisierte PCR-Tests
Beide Partner ergänzen sich nach eigenen Aussagen gut: Bosch bringt seine bereichsübergreifende Technologie- und Fertigungskompetenz in der Molekulardiagnostik, Mikrochipentwicklung und -fertigung sowie in der Miniaturisierung ein. Die universelle Vivalytic-Plattform für Molekulardiagnostik wurde in über zehn Jahren in der Bosch-Forschung entwickelt und von Bosch Healthcare Solutions zur Marktreife gebracht. Randox verfügt über 40 Jahre Erfahrung im Design und in der Entwicklung von hochsensitiven In-Vitro-Tests, die auf einer Vielzahl von Technologien, einschließlich mikrofluidischer Plattformen, durchgeführt werden. In Verbindung mit der umfassenden Marktkenntnis, dem weltweiten Verkauf und dem Vertriebsnetz ergeben sich erhebliche Wachstumschancen.
Bosch Healthcare Solutions und Randox haben bereits während der Coronapandemie zusammengearbeitet. Im Frühjahr 2020 hatte Bosch einen der weltweit ersten voll automatisierten PCR-Tests für das Coronavirus Sars-CoV-2 auf den Markt gebracht. Der Schnelltest zur Anwendung in Arztpraxen, Altersheimen, Teststationen und Krankenhäuser wurde innerhalb weniger Wochen zusammen mit Randox für das Analysegerät Vivalytic umgesetzt.