MEDIZIN 01. Mrz 2018 Bettina Reckter Lesezeit: ca. 4 Minuten

Die Zukunft der Krebsforschung

Bei jedem Patienten entwickelt sich ein Tumor ganz individuell. Das mache die Behandlung so schwierig, sagt Krebsforscher Michael Baumann.

Eine Wunderwaffe gegen Krebs wird es vorerst nicht geben. Aber mit der Immuntherapie, also der Impfung gegen bestimmte Krebsarten, macht die Medizin bereits gute Fortschritte.
Foto: panthermedia.net / vitanovski

VDI nachrichten: Herr Baumann, wird Krebs in zehn Jahren heilbar sein?

Michael Baumann: Wir erzielen heute wesentlich bessere Heilungsraten als noch vor 20 Jahren. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir in zehn Jahren jeden Krebs beherrschen werden. Aber auch in Fällen, in denen Heilung nicht gelingt, können wir die Nebenwirkungen lindern und die Lebensqualität der Patienten steigern.

Wie hoch sind denn derzeit die Heilungschancen?

Die liegen bei etwa 50 %. Es gibt viele Tumorarten, die gut behandelbar sind. Sehr aggressive Hirntumoren wie das Glioblastom aber können heute noch nicht geheilt werden.

Die Wunderwaffe gegen Krebs bleibt also ein Traum?

Ja. In den 1920er-Jahren hatte man noch geglaubt, dass einmal eine Magic Bullet erfunden wird – eine Tablette, die jeden Krebs bekämpfen kann. Ich will das nicht komplett ausschließen, persönlich halte ich das aber für unwahrscheinlich.

Woran liegt das?

Daran, dass im Prinzip jeder Krebs biologisch einzigartig ist und unterschiedlich auf verschiedene Therapieansätze anspricht. Das macht ihn so schwierig zu behandeln.

Dennoch werden wir viele kleine Fortschritte erzielen – in Diagnose, Therapie, Prävention und auch in der Impfung, also der Immuntherapie. Aber auch eine verbesserte Früherkennung ist entscheidend, denn generell gilt: Ein früh erkannter Krebs hat deutlich bessere Heilungschancen.

Bei der Früherkennung soll ein Bluttest jetzt acht verschiedene Krebsarten gleichzeitig nachweisen können. Ist das die Zukunft?

Das wird man sich ganz genau anschauen müssen. Molekularbiologisch können wir bereits Substanzen nachweisen, die ein Tumor produziert. Die Methoden sind aber definitiv noch nicht marktreif.

Was fehlt?

Wir müssen zum Beispiel verstehen, ob schon einzelne Tumorzellen Substanzen ins Blut abgeben und sich so bemerkbar machen – oder ob dies erst für weit fortgeschrittene Tumoren gilt.

Dann kann man durch Vergleich von Blutproben vieler Patienten festlegen, welcher Biomarker für die Früherkennung geeignet ist?

Ja. Das halte ich für einen sehr vielversprechenden Weg für die Krebsforschung. Das Gleiche gilt übrigens für radiologische Methoden. Wenn der Bluttest auf einen Tumor hinweist, dann muss mir die Bildgebung zeigen, wo er genau sitzt. Nur so kann ich ihn auch behandeln.

Radiologie kann aber doch noch viel mehr als nur Bildgebung.

Das stimmt. Wir setzen sie heute diagnostisch und zugleich therapeutisch ein. Neben der Bestrahlung zunehmend auch zur Behandlung von innen. Hier gibt es neue Ansätze, die zum Beispiel bei der Therapie von Prostatakrebs sehr vielversprechende Ergebnisse liefern.

Wie gehen Sie vor?

Auf der Oberfläche der Prostata findet sich das Protein PSMA – bei Krebs sogar massenweise. Eine Substanz, die nur an diesem Protein andockt, wird mit einem radioaktiven Stoff beladen. Es setzt seine strahlende Ladung gezielt am Tumor frei und zerstört diesen von innen – ohne den Körper stark zu belasten. Hier gibt es erste sehr gute Erfolge.

Sie gelten als Vater der Forschungsplattform OncoRay. Was verbirgt sich dahinter?

Mehr als die Hälfte aller Patienten bekommen eine Bestrahlung, die oft neben dem Tumor auch andere Gewebe erfasst. Das muss nicht sein. OncoRay hat das Ziel, die strahlentherapeutische Forschung voranzubringen – durch die Kombination von Hochpräzisionsbestrahlungsverfahren mit biologischen Methoden.

Wir wissen, dass Tumorgewebe je nach genetischer Prädisposition unterschiedlich strahlenempfindlich ist. Wenn man das mit aufnimmt, kann man Patienten optimiert behandeln und Nebenwirkungen reduzieren. Solche Ansätze werden in der Zusammenarbeit zwischen Dresden und Heidelberg überörtlich weiterentwickelt.

Das klingt nach personalisierter Krebsmedizin. Ist das Zukunftsmusik oder ist sie schon im klinischen Alltag angekommen?

Solange Ärzte Krebskranke behandeln, war das eigentlich immer schon personalisierte Medizin. Denn jeder Patient hat ja seine eigene Krankengeschichte, auf die der Arzt individuell eingeht. Personalisierte Onkologie meint aber auch, dass künftig mehr genetische Daten integriert werden. Zur Analyse dieser „Big Data“ braucht es hohe Kapazitäten in der Bioinformatik und bei Rechenprogrammen. Auf Basis des so generierten Wissens können dann Patienten in kleinere Gruppen zusammengefasst werden, die wirklich einen sehr ähnlichen Tumor und Krankheitsverlauf aufweisen.

Und die können dann individualisiert behandelt werden.

Genau. Manchmal bedeutet personalisiert, die Wirkung eines einzelnes Gens über Proteine auszuschalten. Das geht heute schon medikamentös. Und manchmal gilt es, die Abfolge der einzelnen Behandlungsschritte und Dosierungen so festzulegen, dass sie, basierend auf den biologischen Daten, die besten Erfolgsaussichten versprechen.

Dafür wäre ein Krebsregister hilfreich.

Da legen Sie den Finger in eine Wunde. Deutschland ist leider nicht besonders stark in der Registertätigkeit – mit regionalen Unterschieden. In der ehemaligen DDR haben wir bessere Krebsregister als anderswo. Der nationale Krebsplan will dies gesetzlich unterfüttern und eine einheitliche Struktur schaffen. Für die Zukunft erwarten wir hier eine wesentliche Verbesserung.

Und wie kommen Sie bis dahin an vernünftige Daten?

Wir arbeiten zum Beispiel häufig mit Daten aus skandinavischen Ländern. Dort trägt man schon seit Jahrzehnten flächendeckend alle Informationen zu Menschen mit Krebs zusammen. Und diese werden kombiniert mit Fakten zu weiteren Erkrankungen, die sie vielleicht fünf oder zehn Jahre später bekommen haben. Das ist eine große Ressource für Epidemiologen auf der ganzen Welt.

Sie erwähnten außerdem die Prävention. Was kann diese bewirken?

Ganz einfach: Gut 40 % aller Krebsfälle wären vermeidbar, wenn man alle Faktoren umgehen würde, die zu Krebs führen können.

Welche Faktoren sind das?

Ganz vorne steht das Rauchen, dann folgen Übergewicht und Alkohol sowie Infektionen. Gebärmutterhalskrebs wird zum Beispiel durch HPV-Viren ausgelöst. Mittlerweile sind weltweit rund 200 Mio. Mädchen gegen HPV geimpft. Das ist schon ganz beachtlich, aber noch nicht genug.

Wie geht es weiter mit der Krebsforschung?

Es braucht die technologische Weiterentwicklung der Methoden und translationale Netzwerke, in denen Forscher ganz eng mit Ärzten zusammenarbeiten. Vielleicht erkennen wir dann schon bald weitere Faktoren, die Krebs auslösen. Wenn wir die biologischen Charakteristika von Krebs kennen, können auch die Therapieansätze besser werden. Die Impfung gehört ganz sicher dazu.

Fakten zum Krebs

Bei Männern ist Lungenkrebs die häufigste zum Tode führende Krebskrankheit, bei Frauen ist es Brustkrebs. Die zweithäufigste Krebstodesursache ist bei beiden Geschlechtern Darmkrebs.

Etwa 234 000 Todesfälle pro Jahr sind in Deutschland auf Krebs zurückzuführen.ber

Michael Baumann ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg.

Er ist Professor für Radioonkologie und Direktor am Universitätsklinikum Dresden, Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Dresden

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