Eine Art chemisches ChatGPT für die Wirkstoffsuche
Welche chemische Substanz eignet sich als medizinischer Wirkstoff, welche nicht? Diese Frage wollen Forschende der Universität Bonn jetzt mit einer Art ChatGPT für Moleküle beantworten.
ChatGPT ist für das Bearbeiten von Texten mittlerweile ein beliebtes Tool. Damit lassen sich Synonyme finden, Worte sortieren und zu sinnvollen Sätzen oder gar ganzen Texten zusammenstellen. Nun haben Forschende der Universität Bonn eine Art ChatGPT für chemische Moleküle so trainiert, dass sich damit sogar potenzielle Wirkstoffe mit besonderen Eigenschaften vorhersagen lassen. Dabei erzeugt die künstliche Intelligenz (KI) die chemischen Strukturformeln von Verbindungen, die später einmal besonders wirksame Medikamente werden könnten. Das Besondere an den Substanzen: Sie können sich an zwei unterschiedliche Zielproteine binden. Das versetzt sie in die Lage, im Körper zum Beispiel zwei Enzyme gleichzeitig zu hemmen. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie im Fachblatt Cell Reports Physical Science veröffentlicht.
Wirkstoffe mit zwei Bindungsstellen sind in der Krebstherapie besonders begehrt
„In der Pharmaforschung sind derartige Wirkstoffe aufgrund ihrer Polypharmakologie sehr begehrt“, erläutert Chemieinformatiker Jürgen Bajorath. Da sie mehrere Prozesse im Körper zugleich beeinflussen, sind sie oft besonders wirksam – etwa im Kampf gegen Krebs.“
Den gleichen Effekt könnte man zwar auch mit zwei unterschiedlichen Präparaten erzielen, dann aber müsste man auch das Risiko von Wechselwirkungen zwischen den beiden Medikamenten bzw. sich eventuell potenzierende Nebenwirkungen eingehen. Darüber hinaus ist nicht gewährleistet, dass beide Verbindungen gleich lange im Körper verfügbar und wirksam sind. Bei unterschiedlichen Abbaugeschwindigkeiten könnte der gewünschte Effekt also ungenutzt verpuffen.
KI lernt chemische Zusammenhänge
Wie aber gingen die Bonner Forscher vor? Chemische Sprachmodelle funktionieren ähnlich wie ChatGPT, sie nutzen zum Beispiel sogenannte SMILES-Strings, die organische Moleküle und deren Struktur als eine Sequenz von Buchstaben und Symbolen darstellen. „Wir haben unser chemisches Sprachmodell nun mit Paaren von Strings trainiert“, sagt Sanjana Srinivasan aus Bajoraths Arbeitsgruppe. „Einer davon beschrieb jeweils ein Molekül, von dem wir wissen, dass es nur gegen ein Zielprotein wirkt. Der zweite stand dagegen für eine Verbindung, die neben diesem Protein zusätzlich noch ein zweites Zielprotein beeinflusst.“
Mehr als 70.000 dieser Paare hatten die Bonner in ihrem Modell hinterlegt. „Wenn wir es danach mit einer Verbindung gegen ein Zielprotein fütterten, schlug es auf dieser Basis Moleküle vor, die nicht nur gegen dieses Protein, sondern auch noch gegen ein weiteres wirken sollten“, erklärt Bajorath.
KI entwickelt originelle Lösungen für die Pharmaforschung
Das Besondere: Die chemischen Wirkstoffe, die das System zunächst vorschlug, ähneln sich oft. Im Körper übernehmen sie dementsprechend häufig eine ähnliche Funktion. Deshalb brachten die Forschenden dem Suchalgorithmus zusätzlich bei, gegen welche Proteinklassen genau sich die vorgeschlagenen Verbindungen richten sollten.
Tatsächlich spuckte das Modell nach dem Feintuning Moleküle aus, bei denen bereits nachgewiesen wurde, dass sie gegen die gewünschten Kombinationen von Zielproteinen wirken. „Das zeigt, dass das Verfahren funktioniert“, sagt Bajorath. Die Stärke des Ansatzes ist seiner Meinung nach aber nicht, dass sich damit auf Anhieb neue Verbindungen finden lassen, die die verfügbaren Pharmaka in ihrer Wirkung übertreffen. „Interessanter ist aus meiner Sicht, dass die KI oft chemische Strukturen vorschlägt, an die die meisten Chemiker auf Anhieb gar nicht denken würden“, erklärt er. „Sie generiert gewissermaßen Out-of-the-box-Ideen und kommt so auf originelle Lösungen, die die Pharmaforschung zu neuen Ansätzen inspirieren können.“