Hörprobleme durch Noice-Cancelling-Kopfhörer
Noice-Cancelling-Kopfhörer und -Headsets sind praktisch. Sie unterdrücken Umgebungsgeräusche und ermöglichen so entspannteres Hören. Doch offenbar können sie das Hörvermögen beeinträchtigen. Audiologen schlagen Alarm.

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Audiologen befürchten, dass sich die übermäßige Nutzung von Noice-Cancelling-Kopfhörern negativ auf das Hörvermögen auswirkt. Sie vermuten, dass das ständige Herausfiltern von Hintergrundgeräuschen unbeabsichtigte Folgen haben. So berichtet Renee Almeida, leitende Audiologin für Erwachsene am Imperial College Healthcare NHS Trust, in „The Guardian“, dass immer mehr Erwachsene mit Hörproblemen in ihre Klinik kommen, nur um dann zu erfahren, dass ihre Hörfähigkeit in Ordnung ist. Das Problem wird nicht durch die Ohren verursacht, sondern liegt im Gehirn. Die Expertin mutmaßt, dass die Betroffenen nicht orten können, woher ein Geräusch kommt, oder Schwierigkeiten haben, einem Gespräch im Zug, in einer Bar oder in einem Restaurant zu folgen.
Was die Spezialistin beschreibt, nennt sich auditive Verarbeitungsstörung (AVS). Diese Erkrankung tritt meist bei Kindern auf. Bei den Betroffenen ist das Gehör intakt, das Gehörte wird aber vom Gehirn nicht korrekt weiterverarbeitet. Schätzungen zufolge leiden 2 % bis 3 % der Kinder an AVS, oft infolge einer Infektion. Häufig wird zusammen mit der Erkrankung eine Sprachentwicklungs- oder Konzentrationsstörung diagnostiziert.
Träges Gehirn wegen Noise-Cancelling-Kopfhörern?
Bei Erwachsenen ist AVS bislang jedoch äußerst selten. Die Audiologin vermutet, dass die weit verbreitete Nutzung von Kopfhörern mit Geräuschunterdrückung der Grund dafür sein könnte, dass immer mehr Erwachsene darunter leiden. Das Gehirn sei es gewohnt, mit Tausenden von verschiedenen Geräuschen gleichzeitig umzugehen, und es sei schon immer in der Lage gewesen herauszufinden, was wert sei, gehört zu werden, und was nicht. Mit der Geräuschunterdrückung hingegen gebe man dem Gehirn nur eine einzige Klangquelle, zum Beispiel einen Podcast oder Musik.
Während die übermäßige Nutzung von geräuschunterdrückenden Kopfhörern bei Kindern den Entwicklungsprozess beeinträchtigt, durch den sie lernen, sich auf Geräusche zu konzentrieren, scheint das Gehirn von Erwachsenen davon träge zu werden. Durch mangelndes Training verliere sich die Fähigkeit der Geräuschtrennung – ähnlich wie bei nicht trainierten Muskeln. Die Menschen hätten dann Schwierigkeiten, Sprache aus den Umgebungsgeräuschen zu extrahieren. Almeida warnt eindringlich vor der Gefahr und empfiehlt die Durchführung von Studien, um belastbare Daten zu erhalten.
Für Harvey Dillon, Professor für Hörwissenschaften an der Universität Manchester, steht fest, dass das Hörerlebnis die menschliche Fähigkeit beeinflusst, „gewünschte Sprache“ von Hintergrundgeräuschen zu trennen. Er berichtet, dass Kinder im Alter von fünf bis 14 Jahren erlernen, räumliche Hinweise zu nutzen, um Schallquellen zu lokalisieren, und darin immer besser werden. Wenn ein Kind vor dem fünften Lebensjahr wiederholt an Ohrenentzündungen leide, könne es später schwierig sein, sich auf Geräusche aus einer Richtung zu konzentrieren und Geräusche aus einer anderen zu unterdrücken. Diese Kinder holen den Rückstand dem Experten zufolge nicht auf, wenn sie ihre Infektionen hinter sich haben. Stattdessen müssten sie diese Fähigkeit durch intensives Training mit speziellen Apps erlernen.
Zuhören kann man üben
Bei Erwachsenen ist das anders. Wenn eine Person eine Woche lang einen einzelnen Ohrstöpsel trägt, lernt sie allmählich wieder, Geräusche zu orten. Wenn der Ohrstöpsel entfernt wird, lässt die Fähigkeit wieder nach, erreicht aber schnell wieder das vorherige Niveau.
Obwohl das Phänomen bislang nicht wissenschaftlich erforscht wurde, empfiehlt die Audiologin Almeida Knochenleitungskopfhörer und Hörtraining. Hilfreich sei es zum Beispiel, Radiodebatten anzuhören und sich die Texte von Rap-Songs zu notieren, wenn sie gespielt werden. Also einfach genau und ohne Noice-Cancelling zuzuhören.