Mathematiker erklärt Kontaktsperre
Was die Bundesregierung und die Bundesländer gestern mit einer Kontaktsperre beschlossen haben, läuft neudeutsch unter „Social Distancing“. Warum das wie wirkt, ist einfache Mathematik, darauf weist Martin Skutella, Einstein-Professor für Mathematik und Informatik an der TU Berlin hin.
Eindringlich haben Politiker und Politikerinnen – von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis hinunter zu Bürgermeistern vor Ort – gewarnt, die Gefahren durch das Coronavirus doch ernst zu nehmen und enthaltsam zu sein – was den direkten persönlichen Kontakt angeht. Auf das absolut nötige Minimum im Familienkreis sei das zu verringern. „Social Distancing“ heißt der Fachgebriff dazu. Der Effekt: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus verlangsamt sich, als Folge kann das Gesundheitssystem die zu erwartenden schwer Erkrankten besser behandeln und versorgen.
Nur: Das Konzept der Methode scheint einigen Zeitgenossen nicht ersichtlich. Martin Skutella, Einstein-Professor für Mathematik und Informatik an der TU Berlin, hat sich daher der Sache angenommen (s. Link unten). Denn „Social Distancing“, das verdeutlicht Skutella, der kombinatorische Optimierung und Graphenalgorithmen lehrt, ist im Wesentlichen nichts anderes als Mathematik.
„Viral gehen“ in sozialen Medien unterliegt den gleichen Gesetzen wie die Ausbreitung des Coronavirus
Skutellas Beispiel sind die sozialen Medien, in denen es auch den Begriff des „viral gehen“ gibt. Skutella hat ein Video dazu in seinem Homeoffice gedreht. Was „viral gehen“ heißt, funktioniere laut Skutella wie folgt: Er schickt das Video an zehn seiner Studierenden. Von diesen zehn liken vier das Video und diese vier schicken es jeweils wiederum weiter an zehn Studierende. Von jeder Zehner-Gruppe liken es wiederum vier, schicken es weiter an zehn und immer so weiter …
„Dann hätte das Video innerhalb von zehn Tagen über 1 Mio. Likes. In der Sprache der Social-Media-Community: Das Video geht viral“, so Martin Skutella. Mathematisch wird diese Entwicklung durch eine geometrische Summe beschrieben: Nach n Tagen hat das Video 1+q+q2+q3 + … +qn = (qn+1-1)/(q-1) Likes. Dabei bezeichnet q die Anzahl der Likes, die jeder Like am nächsten Tag nach sich zieht.
„Flatten the curve“ in der Sprache der Mathematik
Was würde aber passieren, wenn die Studierenden nicht ganz so mitteilungsfreudig wären und sie das Video jeweils nur an fünf anstatt an zehn Personen weiterleiten und von denen jeweils nur zwei anstatt vier es liken würden? Das nämlich ist derselbe Effekt, der auftritt, wenn, wie jetzt angeordnet, die Sozialkontakte auf ein notwendiges Minimum reduziert werden sollen, wenn die Studierenden also virtuelles „Social Distancing“ betreiben würden?
„In dem Fall gäbe es zwar immer noch ein sogenanntes exponentielles Wachstum. Aber die magische Grenze von 1 Mio. Likes würde eben erst nach 20 Tagen und nicht schon nach zehn erreicht“, erklärt der Wissenschaftler. „Genau das versuchen die Behörden aktuell durch den Aufruf zu erreichen, soziale Kontakte so weit wie möglich zu vermeiden. Das Virus wird sich weiterverbreiten, aber eben langsamer. Damit erhält unser Gesundheitssystem wertvolle Vorbereitungszeit.“
Jeder Angesteckte darf nur weniger als eine weiter Person anstecken
Wie sich die aktuell exponentielle Ausbreitung des Coronavirus stoppen lässt, steckt auch in der Gleichung. „Jeder Like darf nur weniger als einen weiteren Like nach sich ziehen“, erklärt der Mathematiker. Auf die Gleichung bezogen bedeutet das: q<1. „So kommt das Wachstum allmählich zum Erliegen.“
Das Video „Social Distancing aus mathematischer Perspektive“.
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