Merck will in Darmstadt mRNA in großem Maßstab herstellen
Der Pharma- und Chemiekonzern Merck investiert mehr als 300 Millionen Euro in ein neues Forschungszentrum an seinem Hauptsitz in Darmstadt.
Bei der Grundsteinlegung am 25. April 2024 sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, das Forschungszentrum sei ein „Bekenntnis zu Deutschland als starkem Pharma-, Industrie- und Forschungsstandort“. Die Eröffnung des Zentrums (550 Arbeitsplätze) ist für 2027 geplant.
Merck will in Darmstadt mRNA-Technologie entlang der gesamten Wertschöpfungskette anbieten. Die Vorteile für die Kunden ordnet Matthias Bucerius, Leiter des Bereichs Synthese und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, ein.
VDI nachrichten: In Zeiten der Coronakrise hatten mRNA-Therapeutika einen regelrechten Höhenflug. Aktuell verringert sich das Tempo der Marktzulassungen deutlich. Ist der Zeitpunkt nicht ungünstig, gerade jetzt eine neue Produktionsstätte für mRNA-Wirkstoffe zu eröffnen?
Matthias Bucerius: Wir können die gesamte Pipeline von der Forschung über die klinischen Studien bis hin zur kommerziellen Herstellung abdecken. Wir begleiten also unsere Kunden, die an mRNA-Molekülen forschen, durch alle Phasen. Allerdings bleiben sie, ob großes Pharmaunternehmen oder kleines Start-up aus der Biotech-Szene, die eigentlichen Erfinder des jeweiligen Moleküls. Wenn sie sich entscheiden, die Herstellung der Substanz und die Prozessentwicklung nicht selbst durchführen zu wollen, kommen wir erneut als Dienstleister ins Spiel.
Wo sieht Merck seine Vorteile in diesem Technologiefeld?
Wir sehen die Vorteile der mRNA-Technologie klar in der schnellen Entwicklungsmöglichkeit und der Flexibilität, noch nie da gewesene Therapieoptionen zu ermöglichen.
Merck will für mRNA-Wirkstoffe künftig die gesamte Lieferkette anbieten. Was davon wird am Standort Darmstadt stattfinden?
Zunächst einmal: Es ist eine sehr komplexe Wertschöpfungskette für mRNA-Wirkstoffe. Im Gegensatz zu Standardarzneimitteln braucht es wesentlich mehr unterschiedliche Komponenten. Die mRNA selbst stellen wir hier in Darmstadt und auch in Hamburg her. Die mRNA besteht aus sehr fragilen Wirkstoffmolekülen, die in Lipide eingepackt werden müssen. Diese Lipide produzieren wir in Schaffhausen in der Schweiz. Das Verpacken der mRNA in diese Lipide zum finalen Lipid-Nano-Partikel (LNP) wiederum erfolgt mit einer sehr speziellen Technologie. Darauf hat sich unser Team am Standort in Indianapolis, Indiana, spezialisiert. Dort erfolgt dann auch die Abfüllung in Ampullen.
Vorerst erzeugen Sie nur relativ geringe Mengen an mRNA-Wirkstoff. Wo liegen die Herausforderungen beim Scale-up?
In Hamburg beginnen wir zunächst im sehr kleinen Maßstab. In Darmstadt können wir mittels unserer PCR-Technologie (Polymerase Chain Reaction, Anm. d. Red.) mRNA im Großmaßstab herstellen. Für die Herstellung von mRNA in großen Mengen gibt es Stand heute noch keine Blaupause, hier steckt das Feld tatsächlich noch in den Kinderschuhen. Aber vergleichen wir das mit monoklonalen Antikörpern (zur Diagnostik und Behandlung z. B. bei Krebs, Anm. d. Red): Da war es vor 20 Jahren durchaus ähnlich. Heute hingegen erzeugen die meisten Pharmafirmen diese Wirkstoffe bereits in einem stark standardisierten Prozess. Für mRNA aber gibt es noch keine Standardisierung. Daran arbeiten wir momentan …
… um die eigene Technologie als Standard auf dem Markt platzieren?
Nun, wir wollen die zukünftige Technologie maßgeblich mitgestalten. Zugute kommt uns sicherlich, dass wir einerseits Dienstleister sind und andererseits ein sehr umfangreiches Produktangebot haben. Aber sowohl die mRNA-Synthese als auch die LNP-Formulierung ist hochkomplex.
Angenommen, die nächste Pandemie würde anrollen: Wie weit kämen wir mit mRNA-Wirkstoffen made by Merck?
Liefern könnten wir mit den Kapazitäten in Darmstadt und Hamburg etwa 300 Mio. Impfstoffdosen pro Jahr. Allerdings nur, wenn rund um die Uhr produziert würde. Aber eine solche 24/7-Produktion ist momentan gar nicht angestrebt ist.
Welche Rolle spielt die Investition in die neue Produktionsstätte in Darmstadt mit Blick auf internationale Kunden?
Europa – und hier speziell Deutschland – hat im Bereich mRNA-Technologie durchaus eine führende Rolle inne. Deshalb macht es für uns auch Sinn, hier stärker zu investieren. Die technischen Möglichkeiten sind in Darmstadt gegeben, obwohl es ja eine globale Pipeline ist. Aber unsere Kunden schauen schon sehr genau hin, wo die technische Expertise sitzt – auch hier kann Darmstadt mit mehr als 350 Jahren Historie klar punkten.