Roboter und Laser beseitigen Spinalkanalstenose
Ist der Wirbelkanal verengt, muss häufig gefräst werden – nahe des Rückenmarks. Fraunhofer-Forschende bieten nun eine weniger riskante Alternative an.
Eine Spinalkanalstenose – eine knöcherne Verengung des Wirbelkanals – kann für Betroffene zur Qual werden. Drückt sie auf das Rückenmark, drohen ihnen chronische Schmerzen und Lähmungserscheinungen. Häufig hilft dann nur ein chirurgischer Eingriff: Allein in Deutschland sind es 111.000 Operationen pro Jahr. Doch die Nähe zum Rückenmark macht die „Dekompression“, bei der die Engstellen mit Hochgeschwindigkeitsfräsen beseitigt werden, zum riskanten Eingriff. Ein am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT in Aachen entwickeltes roboterassistiertes, optisch überwachtes Laserverfahren könnte in Zukunft helfen, das Risiko solcher Eingriffe zu minimieren.
Gut jede 100. Operation geht bisher schief
Bisherige Eingriffe sind für die Operierenden herausfordernd. Denn während das Fräsen hohen Anpressdruck und damit Krafteinsatz erfordert, setzt die unmittelbare Nähe zum Rückenmark und zur Nervenwurzel ihr Fingerspitzengefühl voraus. Bei 1,5 % der Operationen kommt es trotz aller Vorsicht zum Kontakt des hochtourig drehenden Fräskopfes mit den Nervenbahnen. Betroffenen droht dann eine Blasen-Mastdarm-Inkontinenz oder Querschnittslähmung. Neben persönlichem Leid und massiven Einschränkungen der Lebensqualität für die Behandelten gehen solche katastrophalen OP-Verläufe mit psychischen Belastungen der Ärzteteams und mit erheblichen Folgekosten für das Gesundheitssystem einher.
Ein Kurzpulslaser ersetzt die Fräse
Um die Risiken von Operationen in der Nähe von kritischen neuronalen Strukturen zu minimieren, treibt ein Forschungsteam um Achim Lenenbach, Leiter der Abteilung Lasermedizintechnik und Biophotonik am Fraunhofer ILT, die Entwicklung robotisch assistierter Laseroperationssysteme voran. Eine Lösung zur schonenden Schädelöffnung für neurochirurgische Eingriffe ist bereits weit fortgeschritten. Ein Kurzpulslaser ersetzt darin die Fräse. Außerdem wird die Schnitttiefe kontinuierlich mithilfe der optischen Kohärenztomographie (OCT) gemessen. „Diesen Ansatz möchten wir künftig auch für chirurgische Eingriffe an der Wirbelsäule nutzbar machen“, erklärt er. Die Idee eines robotisch assistierten Laseroperationssystems zum präzisen und sicheren Schneiden von Knochen sei bereits zum Patent angemeldet.
Das Prinzip solcher Laseroperationssysteme basiert darauf, dass das Knochengewebe mit Nanosekunden-Laserpulsen abgetragen wird. Die kurze Pulsdauer hat nicht nur den Vorteil minimaler thermischer Wechselwirkung mit dem umliegenden Material, was eine Karbonisation der Schnittränder vermeidet und den Heilungsprozess begünstigt, sondern sie sorgt auch für eine hohe mikrochirurgische Präzision. Denn nur dort, wo die infraroten Laserpulse das Hartgewebe treffen, tritt ein lokaler thermomechanischer Effekt ein: Das im Knochen eingelagerte Wasser verdampft explosionsartig und erzeugt Mikrokrater im Knochen.
OCT-Messungen sorgen für präzise Schnitte
Um die im OP-Betrieb erforderlichen Abtragsraten in einem schonenden Schneidprozess zu erreichen, befeuchtet ein Sprühnebelsystem die Oberfläche des Knochens, während ein Galvoscanner den Laserfokus an der vorgesehenen Schnittlinie entlangführt. Auch das mindert die thermische Belastung des umliegenden Gewebes. Für den Einsatz bei Spinalkanaloperationen ist es zudem zwingend erforderlich, den Schneidprozess zu überwachen.
Dafür wird der Schneidlaserstrahl mit einem OCT-Messstrahl überlagert, den der Scanner ebenfalls über die Knochenoberfläche führt. Das Messsystem erfasst den Schnittbereich dreidimensional: Der Strahl dringt in das Knochengewebe ein und kann ab ca. 400 µm Restdicke die Stärke der verbleibenden Knochenlamelle am Boden der Schnittfuge bestimmen. Die synchron zum Schneidprozess durchgeführte OCT-Messung ist daher der Schlüssel zur verlässlichen und höchst sicherheitsrelevanten Regelung des Schneidprozesses auf Basis der Knochenrestdicke. Ist die vorab individuell festgelegte Restdicke erreicht, soll der Schneidprozess automatisch stoppen. Die Chirurgen können den gelösten Knochen anschließend mit geringem Kraftaufwand und ohne Gefahr für die Nervenbahnen im Wirbelkanal abheben.
„Durch die optische Überwachung und präzise Regelung des Laserschneidprozesses könnte unser Verfahren in Zukunft schwerwiegenden Verletzungen am Rückenmark und an der Nervenwurzel vorbeugen“, erklärt Lenenbach. Zugleich sei zu erwarten, dass der Einsatz des Systems auch Komplikationen minimiert, die Klinikaufenthalte nach Operationen von Spinalkanalstenosen oft unnötig verlängern.
Ein Cobot gibt dem Chirurgen haptisches Feedback
Für Wirbelsäulen-OPs planen die Fraunhofer-Forscher eine Weiterentwicklung ihres vorhandenen, auf Operationen am Kopf ausgelegten Applikators. Dieser enthält die optischen Funktionselemente wie den Scanner und optische Linsen und führt die fokussierte Schneidlaser- und OCT-Messstrahlung entlang der Schnittlinie. Diesen Applikator gilt es nun zu miniaturisieren und als ergonomisches Handstück auszulegen, sodass Chirurgen den zurzeit noch automatisierten Schneidprozess auch händisch ausführen können. Zur präzisen Handführung des Applikators soll der Operateur durch ein kollaboratives robotisches System unterstützt werden.
Zudem plant das Team im Zuge der Weiterentwicklung ein weiteres, bisher ungelöstes Problem zu adressieren: Während eine Fräse direkten Kontakt zum Knochen hat und Chirurgen ein direktes haptisches Feedback vermittelt, muss dieses Feedback bei dem berührungslosen Laserschneidprozess über einen Umweg erfolgen. Die Forscherinnen und Forscher planen dafür die Sensorik und Aktorik eines kollaborativen Roboters (Cobot) zu nutzen. Denn die Kraft-Momenten-Sensorik des Cobots ermittelt die Kraftwirkung auf den Roboterarm, auf deren Basis die Aktorik dann dem Operateur bei der manuellen Führung des Laserapplikators ein haptisches Feedback vermitteln kann.
Verknüpft man das haptische Feedback des Cobots mit der OCT-Sensorik, dann lässt sich der Vorschub des Handstücks aufgrund der Kraftwirkung durch den Operateur so regeln, dass er immer nur dann erfolgt, wenn der Schneidprozess lokal die definierte Restdicke erreicht hat. Durch Iteration aus lokalem Mikroschnitt und Vorschub entsteht damit in Kombination mit dem effizienten Hartgewebeabtrag ein quasikontinuierlicher Schneidprozess.
Ein Navigationssystem für die OP wird noch entwickelt
Neben dem haptischen Feedback ist die visuelle Orientierung des Operateurs für die Sicherheit teilautomatisierter Laser-OPs entscheidend. Das Laseroperationssystem soll daher mit einer OP-Planungssoftware und einem Navigationssystem verknüpft werden. In einem solch integrierten System könnten die mit dem Laser erzeugten Schnitte in Echtzeit in den präoperativ erstellten Bilddaten visualisiert werden. Chirurgen könnten am Monitor verfolgen, wie tief ihr Schnitt schon in den Knochen eingedrungen ist und wie nahe sie neuronalen Risikostrukturen kommen.
Die Entwicklung der OP-Planungs- und Navigationssoftware fällt im geplanten Forschungsprojekt Industriepartnern mit ausgewiesener Expertise auf diesem Gebiet zu. „Das an unserem Institut entwickelte Laseroperationssystem könnte die präoperativ geplanten Schnitte submillimetergenau umsetzen“, sagt Lenenbach. Das langfristige Forschungsziel sei es, robotisch assistierte Laserverfahren zum Schneiden von Hartgewebe als Goldstandard für Operationen nahe an kritischen Strukturen zu etablieren. Das könnte Hunderttausenden Betroffenen die Angst vor den Folgen von Rückenmarksverletzungen im Rahmen solcher Operationen nehmen, die weltweit für viele Tausend Patientinnen und Patienten jährlich zur bitteren Realität werden.