KI wird zum Lügen trainiert: Elon Musks eigene Wahrheit
Tesla-Chef Elon Musk stand den Besuchern der Pariser Techologie-Messe Vivatech Rede und Antwort. So jedenfalls war es angedacht ...
Menschenmassen tummeln sich dicht an dicht, rund um die Eingänge der Pariser Indoor Arena „The Dôme“ bilden sich 100 m lange Schlangen. Die Aufregung ist spürbar: Mit jedem Schritt kommen wir IHM näher … Die Rede ist nicht von einem Weltstar, es ist auch kein Rockkonzert. In wenigen Minuten soll Unternehmer Elon Musk den Saal betreten. Die Menge kreischt, manche halten Trikots mit der Zahl 42 hoch – die Musk als Antwort auf alle Fragen sieht.
Doch statt auf der Bühne erscheint Musk auf einem überdimensionierten Bildschirm, nuschelt etwas von einer Abschiedsfeier seines Sohnemanns. Deshalb habe er es nicht nach Paris geschafft. Die Enttäuschung ist groß. Sein Publikum will Musk aber dafür entschädigen. Jeder, der schnell genug ist, sich ein Mikrofon zu greifen, kann ihm Fragen stellen – egal welche, Hauptsache die Frage ist kurz, nicht länger als 15 s. Dank Security artet die Situation nicht komplett aus. Menschen stellen sich (erneut) in Warteschlangen und hoffen, dass sie dran kommen. Einmal den großen Elon Musk fragen, was man schon immer über ihn wissen wollte …
Es startet ein berauschendes Fragenkarussell – über Neuralink, Tesla, SpaceX, etc. Beeindruckend, wie Musk von Thema zu Thema springt und detailliert antwortet. Seine Einschätzung zur künstlichen Intelligenz ist natürlich auch gefragt: Die KI wird ziemlich alle unsere Jobs ersetzten und uns ein bequemes Leben ermöglichen, meint er. Dann wird es an der Menschheit sein, einen Sinn für ihr Dasein neu zu definieren. Ein interessanter, ja philosophischer Ansatz. Musk ist auch der Meinung, dass KI die Bildung der nächsten Generationen übernehmen wird – sie sei dafür als geduldiges Geschöpf prädestiniert.
Dafür müssten die aktuellen Sprachmodelle aber anders trainiert werden. Über OpenAI und Gemini sagt er: „Sie trainieren die KI zum Lügen, indem sie politische Korrektheit vor Wahrheit stellen.“ Um seine These darzulegen, bringt er das Beispiel einer Anfrage nach Bildern zum Stichwort „Waffen-SS“. Die derzeitigen Systeme würden bloß Bilder von tanzenden Frauen ausspucken. Das sei nicht in Ordnung. Die Maschinen müssten dazu trainiert werden, die Wahrheit zu sagen, egal wie unangenehm sie sei. Im Saal hat das Kreischen nachgelassen.
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Elon: I would urge parents to limit the amount of social media that children can see because they’re being programmed by a dopamine-maximizing AI.
Maurice: So, you understand that Elon is ready to sacrifice @X to X AI.@elonmusk shares his advice in the age of AI at #VivaTech pic.twitter.com/X6m71aagBX
— Viva Technology (@VivaTech) May 23, 2024
Eine Frau möchte von Musk wissen, wie er wahrnimmt, was die Presse über ihn schreibt. Liest er nicht. Auch das habe wenig mit der Wahrheit zu tun. Denn die Presse sei nur noch klickgetrieben und bekanntlich würden die verrücktesten Geschichten klicken. Aber ja, er sei ein Alien. Viele im Saal lachen, einige nicht mehr. Der faszinierende Tausendsassa, der die Menschheit auf den Mars bringen und Blinde heilen will, hat zum Teil verstörende Ansichten. Sollte man sich auf seine Weltanschauung einlassen? Schluss mit politischer Korrektheit zugunsten der nackten Wahrheit?
Eine Journalistin stellt eine kritische Frage zu Tesla. Bevor sie ihren Satz zu Ende spricht, wird sie von Elon unterbrochen: Business Insider, das Nachrichtenportal, das sie vertritt, sei kein Medium. Musk weigert sich, die Journalistin weiter zuzuhören. Sagt, er werde keine ihrer Fragen beantworten. Jetzt lacht keiner mehr. Wer die Entwicklung von X (ehemals Twitter) verfolgt hat, ist irgendwie nicht überrascht. Doch Zensur live zu erleben, ernüchtert ungemein. Ähnlich wie Donald Trump sucht sich Musk offenbar aus, wer über ihn berichten darf. So viel zur Wahrheit als höchstes Gut.
Für meinen Teil endet die Reise hier. Ich verlasse den Saal mit einem mulmigen Gefühl. Soll ich den Zwischenfall als (Größen-)Wahn eines Genies verbuchen? Als Journalistin kann ich es leider nicht gelten lassen. Meine Kollegen und ich müssen ihn im Auge behalten. Von mir aus über die schrägen Namen seiner Kinder schreiben, wenn es zu Klicks verhilft. Aber vor allem alles ständig hinterfragen, was er macht. Denn Zensur war nie der Anfang von etwas Gutem. Elon, wir werden berichten, ob Du es willst oder nicht. (mv)