Umfragen von Bitkom und Deloitte 09. Jun 2020 Von Jens D. Billerbeck Lesezeit: ca. 4 Minuten

Deutsche Firmen und KI – ein gemischtes Bild

„Unternehmen tun sich noch schwer mit künstlicher Intelligenz“ betitelte der Bitkom gestern die Meldung über eine Umfrage unter 603 Firmen. „Von wegen abgehängt – deutsche Unternehmen stehen im internationalen Vergleich bei KI gut da“, lautete heute die Botschaft beim Beratungsunternehmen Deloitte. Wie sehen die Fakten aus?


Foto: panthermedia.net/agsandrew

Für seine Umfrage zur Bedeutung von künstlicher Intelligenz (KI) befragte der Branchenverband Bitkom 603 Unternehmen ab 20 Mitarbeitern in Deutschland. Das Beratungsunternehmen Deloitte ging internationaler vor: Hier wurden 2700 KI-Experten aus neun Ländern befragt, darunter 200 aus deutschen Unternehmen. Beiden Umfragen gemeinsam ist die große Bedeutung, die der KI zugemessen wird: 73 % der vom Bitkom Befragten hielten sie für eine wichtige Zukunftstechnologie, bei Deloitte gaben 79 % an, die KI sei schon heute ein wesentlicher Faktor für einen nachhaltigen Geschäftserfolg.

Doch die Umsetzung dieser Erkenntnisse lässt zu wünschen übrig. Laut Bitkom setzen gerade einmal 6 % der befragten Unternehmen KI bereits selbst ein, ein gutes Fünftel (22 %) plant die KI-Nutzung oder diskutiert darüber. „Wir haben bei künstlicher Intelligenz kein Erkenntnis-, sondern ein massives Umsetzungsproblem“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg gestern anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse. „In den Unternehmen gibt es einen breiten Konsens über die herausragende Bedeutung der Technologie für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Aber die Mehrheit tut sich schwer damit, dieses Wissen für das eigene Geschäft zu nutzen.“

Existenzbedrohende KI

Größer sind dagegen die Befürchtungen, die Unternehmen in Sachen KI hegen. So sehen 28 % die KI als eine Gefahr für das eigene Unternehmen, 17 % sehen sogar ihre Existenz bedroht. Und bei 81 % steht die Sorge im Vordergrund, ausländisch Digitalunternehmen könnten ihren Vorsprung bei KI nutzen, um zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz deutscher Kernindustrien wie der Automobilbranche zu werden. Die KI als Chance sehen immerhin 55 % der Unternehmen, wobei diese Einschätzung mit wachsender Unternehmensgröße zunimmt. Dass die KI gar keine Auswirkungen auf das eigene Geschäft haben werde, glauben immerhin 14 %. Für Berg eine kurzsichtige Einstellung: „KI ist eine Schlüsseltechnologie, die Auswirkungen auf alle Lebensbereiche und Branchen haben wird. Zu erwarten, dass man selbst davon nicht berührt wird, ist ungefähr so plausibel wie zu glauben, man werde beim Versteckspiel nicht gefunden, wenn man sich nur fest genug die Augen zuhält.“

KI erfüllt vor allem einfache Aufgaben

Eine Diskrepanz sieht der Bitkom-Präsident zwischen den Erwartungen derjenigen Unternehmen, die noch keine KI einsetzen, und der Realität der KI im Unternehmensalltag. „Aktuell nutzen die Unternehmen künstliche Intelligenz eher für einfache Aufgaben und dort, wo sie ihnen schnell einen konkreten Nutzen bringt“, so Berg. „In der öffentlichen Debatte geht es beim KI-Einsatz in Unternehmen sehr häufig um Personalfragen und zum Beispiel um die Sorge vor diskriminierenden Bewerbungsverfahren. In den allermeisten Unternehmen ist der KI-Einsatz zur Bewerberauswahl aber überhaupt kein Thema.“

In Unternehmen, die KI derzeit noch nicht einsetzen, herrschen große Erwartungen vor: Szenarien, in denen eine KI Anfragen und Reklamationen automatisch beantwortet, erhoffen sich 95 %. Auf der Wunschliste steht weiterhin eine KI, die Transportrouten plant (88 %), vorausschauend Wartung empfiehlt (86 %), automatisch Zahlungen bucht (84 %) und Werbung personalisiert (83 %).

Mehr Impulse aus der Forschung

Dass Deutschland in der KI-Forschung zur Weltspitze zählt, meinen nur 39 % der Unternehmen und lediglich 38 % glauben, dass die vor zwei Jahren gestartete KI-Initiative der Bundesregierung ausreicht, um Wirtschaft und Gesellschaft ausreichend auf KI vorzubereiten. Von den 100 zusätzlichen KI-Professuren, die die Strategie vorsieht, sind laut Bitkom erst zwei besetzt, bei zehn weiteren sei das Verfahren weit fortgeschritten. Zu wenig, wie Berg meint. „Die Bundesregierung hat sich in ihrer KI-Strategie mit Blick auf die KI-Forschung an den Hochschulen ehrgeizige Ziele gesetzt“, so Berg. „Unter den bestehenden Bedingungen dürfte es aber sehr schwer werden, innerhalb einer überschaubaren Frist wie geplant 100 neue Professuren zu besetzen.“

Gestern hat der Bitkom ein Impulspapier veröffentlicht, das vier Maßnahmen vorschlägt, wie die Stellenbesetzung beschleunigt werden könne. „Wenn wir es ernst meinen mit der Stärkung der KI-Forschung an den deutschen Hochschulen, dann müssen wir bereit sein, unser Hochschulsystem insgesamt international wettbewerbsfähiger zu machen.“

Fachkräftemangel behindert

In der Befragung von Deloitte zeigt sich, dass KI-Anwendungen im Finanzbereich hierzulande deutlich stärker sind als in anderen Ländern. Dagegen nimmt der klassische IT-Bereich nur eine untergeordnete Stellung ein. Dabei setzte sich ein Trend aus vorangegangenen Befragungen fort: der Zukauf von externer KI-Kompetenz und -Technologie. Einen Grund dafür sehen die Berater im Fachkräftemangel: „Die Nachfrage nach KI-Fachkräften bleibt in Deutschland ungebrochen hoch“, erklärt Milan Sallaba, Partner und Leiter des Technology-Sektors bei Deloitte. „Schauen wir uns die gesuchten Jobprofile genauer an, zeigt sich, dass Data Scientists, KI-Researcher und erfahrene Projektmanager noch genauso dringend gesucht werden wie im Vorjahr.“ Auch diese Entwicklung sei ein Indiz dafür, dass künstliche Intelligenz mittlerweile zum „Business as usual“ für viele Unternehmen wird.“

Nachholbedarf bei Risikoabwägung

Nachholbedarf besteht laut Sallaba noch beim Umgang mit den Risiken der KI. Während in den meisten Ländern Sicherheitsbedenken als größtes Risiko wahrgenommen werden, sind es in Deutschland Sorgen um Arbeitsplatzverluste durch KI. „Beim Thema Risiken ist wichtig, dass wir nicht nur als Gesellschaft darüber diskutieren, wo und wie KI angewendet werden soll, sondern auch, dass sich Unternehmen ihrer Verantwortung hier bewusst werden und diese aktiv wahrnehmen“, macht Sallaba deutlich. Die Firmen müssten Risiken und Bedenken aktiv begegnen und hier bestehe in Deutschland noch Nachholbedarf. Sallaba: „Unsere Ergebnisse lassen den Rückschluss zu, dass es in vielen Unternehmen offenkundig noch an entsprechendem Inhouse-Wissen, auch und besonders bei der Bewertung von Algorithmen, fehlt.“ Bei der Frage nach konkreten Trainingsmaßnahmen zu Ethik oder dem Auditieren und Testieren von KI-Systemen liegen deutsche Unternehmen in sechs von sieben Kategorien zum Teil erheblich hinter dem internationalen Durchschnitt.

Zusammenfassend belegt die Umfrage von Deloitte, dass Deutschland beim Thema KI im internationalen Vergleich gut dasteht. Das Märchen vom verlorenen Anschluss gehört demnach tatsächlich eher in den Bereich der Fiktion.

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