Forschung 07. Dez 2017 Simone Fasse Lesezeit: ca. 5 Minuten

„Ich hoffe, dass Künstliche Intelligenz ein bisschen langweilig wird“

Damian Borth vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) schaut hinter den Hype und erklärt, was KI heute schon kann - und was nicht.

Bei jeder neuen Technologie gibt es Ängste und Sorgen, jedoch entstehen auch immer neue Arbeitsplätze.
Foto: panthermedia.net/ktsdesign

VDI nachrichten: Das Thema KI scheint heute allgegenwärtig. Wie beurteilen Sie den Hype?

Damian Borth ist Director des Deep Learning Competence Center am DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) in Kaiserslautern. Zudem ist er Informatiker und Ingenieur für Nachrichtentechnik und kam über die Mathematik zu seinem heutigen Forschungsschwerpunkt.
Er gründete 2012 das Start-up Sociovestix Labs um KI mit nachhaltigem Investment zu verbinden. sf Foto: DKFI

Borth: Künstliche Intelligenz und alles, was damit zusammenhängt, erfährt hier gerade tatsächlich ein unglaubliches Momentum. Ähnliches haben wir vor rund zwei Jahren in den USA gesehen. In Deutschland erfasst diese Entwicklung fast alle Industriezweige, von Automotive über den Handel bis hin zu Fintechs. Das Interesse der Bevölkerung ist geweckt. Auf der einen Seite ist das großartig, denn seit 1956 gab es in diesem Bereich immer wieder Hochs und Tiefs, und wir Forscher genießen jetzt natürlich dieses Hoch – vor allem, weil es in den vergangenen fünf Jahren wirklich große Erfolge speziell im Bereich Deep Learning gab. Das maschinelle Sehen und das Verstehen von Sprache funktioniert jetzt. Die Kehrseite der Medaille ist, dass in vielen Branchen Versprechungen rund um KI gemacht werden, die meines Erachtens nicht so schnell realisiert werden können.

Es werden in diesem Zusammenhang viele Begrifflichkeiten durcheinander geworfen. Können Sie für uns etwas Klarheit schaffen? Wo liegt beispielsweise der Unterschied zwischen „starker“ und „schwacher“ KI?

Die schwache KI beschreibt eher die ingenieurstechnische Ausprägung. Hier geht es um Maschinen, die intelligent erscheinen, eigentlich jedoch nur große Numbercruncher sind – also riesige Mengen an Daten verarbeiten können und daraus Schlüsse ziehen. Die starke KI ist eine Terminologie der Philosophie, die ein Bewusstsein der Maschinen beschreibt. Aber soweit sind wir noch lange nicht. Deshalb ist die schwache KI auch nicht wirklich schwach oder von minderer Qualität. Sie ist vielmehr in der Lage, genau die Probleme zu lösen, um die es uns heute geht.

Und wie grenzen Sie maschinelles Lernen von Deep Learning ab?

KI ist eine Disziplin der Informatik, dazu gehört unter anderem Machine Learning. Deep Learning ist eine Untergruppe des maschinellen Lernens, die auf neuronalen Netzen basiert. Seit den 1960er-Jahren versuchen Menschen, die Intelligenz des Menschen mathematisch zu modellieren und zu simulieren.

2012 gelang der Forschergruppe um Alex Krizhevsky hier der Durchbruch mit dem neuronalen Netzwerk „Alexnet“, das den ersten Platz im Wettbewerb „Imagenet“ gewann. Dieses Netzwerk war in der Lage, Objekte in Bildern zu erkennen. Es war das erste neuronale Netz mit einem Lernansatz um eine flexible Lernqualität und hat damit Maßstäbe gesetzt. Denn je mehr Schichten ich in ein Netz einbauen kann, je tiefer die Netze also sind und dadurch mehr Parameter zum Lernen haben, desto besser können sie in ihrer Leistung werden. Natürlich muss ich länger trainieren, um ein erstes tiefes neuronales Netz zu konstruieren. Dieses erste funktionierende neuronale Netz war deshalb so wichtig, weil es gezeigt hat, wie Deep Learning mit Nicht-Linearitäten zurechtkommt.

Wo stehen wir aus Ihrer Sicht denn in Bezug auf KI?

Eigentlich haben wir alles, um die KI zum Fliegen zu bringen. Nicht zuletzt deshalb, weil wir über modernste Grafikprozessoren (GPUs) Netze sehr effektiv trainieren können. Alexnet etwa wurde zwei Monate auf einer GPU trainiert. Auf einer CPU hätte das zwei Jahre gedauert, mit den heutigen GPUs funktioniert es unter zwei Stunden. Doch KI ist sehr komplex. Viele Unternehmen sagen, dass ihre Produkte KI enthalten, doch es ist nicht immer leicht, diese in den Produkten zu finden. Neue Begrifflichkeiten wie „Cognitive Computing“ machen es da nicht gerade leichter.

Künstliche Intelligenz wird häufig im Zusammenhang mit der Digitalisierung genannt, wenn man über die intelligente Analyse großer Datenmengen spricht. Aber hinter KI steckt ja viel mehr. Unternehmen können heute ihre eigenen KI-Systeme bauen, basierend auf Open Source Programmen wie „Caffe“, „Tensorflow“ oder „PyTorch“. Hier kann man vorhandene Architekturen und vortrainierte tiefe neuronale Netze nutzen und diese auf die spezifischen Unternehmensaufgaben nachtrainieren. Da muss nicht jedes Unternehmen bei Null anfangen, sondern kann mit geringerem Aufwand nachtrainieren. Leider sind in diesem Kontext die Urheberrechtsprobleme noch nicht geklärt, d. h. wie viele eigene Daten oder neue Parameter reichen, um zu sagen, es ist das eigene Netz des Unternehmens? Natürlich könnte man auch ein tiefes neuronales Netz von Null anfangen zu trainieren. Aber diesen Aufwand wirklich zu betreiben, davor scheuen sich viele Unternehmen. Sie übernehmen KI nicht in ihre DNA, sondern machen einfach irgendwas mit KI, weil es alle machen. Das wird langfristig nicht reichen.

Sie haben in der vergangenen Woche beim VDI Wissensforum in Berlin, beim FAZ Forum und bei der BDML-Konferenz in München gesprochen. Wie sehen Sie die Rolle von Ingenieuren im Umfeld von KI?

Im Ingenieurbereich ist das Domainwissen sehr wichtig. Meine erste Ausbildung habe ich als Ingenieur in Nachrichtentechnik und ich weiß, dass Ingenieure gern mit genauen Formulierungen und genauen Ergebnissen, also deterministisch arbeiten. Die KI dagegen ist eher „fuzzy“, arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten und Fehlern. Da prallen zunächst einmal Welten aufeinander. Aber die deutsche Wirtschaft hängt vom Ingenieurwissen ab. Um innovativ zu bleiben, sollten sich die Disziplinen annähern und gegenseitig unterstützen. Industrie 4.0 ist da schon ein wunderbarer Weg in die richtige Richtung. Deutschland sollte den Anschluss an die USA nicht verlieren. Auch China und Russland arbeiten mit Hochdruck an diesen Themen.

Können Sie verstehen, dass Menschen diesen Technologien kritisch gegenüberstehen und sogar Ängste haben?

Bei jeder neuen Technologie gibt es Ängste und Sorgen. Zum Beispiel, die Angst ersetzt zu werden: Sie ist ganz normal und hat es seit der Erfindung der Dampfmaschine, dem Fließband und dem Computer gegeben. Neu ist, dass es jetzt auch die Menschen an Bürotischen treffen könnte. Es könnten Tätigkeiten automatisiert werden, die viele Routinen enthalten. Dafür entstehen zahlreiche neue Jobs, doch darauf müssen wir die Leute vorbereiten.

Und wir müssen uns außerdem intensiv Gedanken machen, wie wir unsere Kinder so ausbilden, dass sie die Skillsets für diese neuen, noch unbekannten Jobs haben. In diesem Zusammenhang beobachten wir in der Forschergemeinde, dass wir immer mehr Top-Leute aus der Forschung an Unternehmen verlieren und die Forschung hinter verschlossenen Konzerntüren verschwindet. Derzeit herrscht ein Kampf um Talente, da es für Unternehmen schwierig ist, Nachwuchs zu rekrutieren. KI kann nicht jeder, und wir können gar nicht so schnell ausbilden, wie es derzeit nötig wäre. Umso wichtiger ist es, das Image von Ingenieuren und Informatikern aufzuwerten, um mehr Interessierte anzuziehen. Auch Zusatzangebote, wie die Massive Open Online Courses (mooc) zu maschinellem Lernen von DFKI und Acatech, sind nötig.

Es geht aber nicht nur um die Angst ersetzt zu werden, sondern auch darum, dass sich die Maschinen selbstständig machen könnten. Der Kriegsreporter Jay Tuck unterstellt der KI sogar einen „Überlebenswillen“.

Ich wüsste nicht, wie sich solch ein Ziel trainieren lassen sollte. Aber die Systeme werden autonom sein und müssen in einer dynamischen Umgebung Entscheidungen treffen, ohne zu fragen. Hier lernen wir immer weiter hinzu. Ich spreche mich klar gegen autonome Waffensysteme aus. Aber: Es war immer so, dass Menschen sehr kritisch mit neuen Technologien umgegangen sind – nehmen Sie etwa Elektrizität, die zunächst als extrem gefährlich galt. Wir stecken gerade noch in einer Anfangsphase der KI. Die Aufgaben, die erledigt werden, kommen uns vielleicht ein bisschen wie Magie vor.

Wo es hingehen muss im Umgang mit KI kann man z. B. am Sprachassistenten im Mobiltelefon sehen. Dahinter steckt ein fortgeschrittenes neuronales Netz. Für den Nutzer ist es aber nur ein praktisches Werkzeug für den Alltag. Ähnlich ist es mit Suchmaschinen im Internet und so wird es bald mit autonomen Fahrzeugen oder Smart-Home-Geräten sein. Die Interfaces verändern sich und uns kommt das komisch vor, weil wir das „Vorher“ kennen. Die nächsten Generationen werden damit ganz anders umgehen, Künstliche Intelligenz wird uns bald überall umgeben. Meine Hoffnung ist, dass KI in dieser Hinsicht langweilig wird.

Mit Apps wie „Replika“ kann ich mir einen neuen digitalen Freund oder sogar ein Abbild eines bereits verstorbenen Menschen erschaffen. Sind solche Begleiter die Zukunft?

Also einen Companion, der meine E-Mails für mich bearbeiten kann, würde meine Lebensqualität extrem erhöhen. Die Frage ist, wie wir mit den Maschinen umgehen, und ob eine Maschine nur Dinge simuliert, oder irgendwann wirklich etwas fühlt? Schließlich simulieren ja auch Menschen häufig Gefühle. Es geht sicher nicht nur mir so, dass ich mich irgendwie schlecht fühle und Mitgefühl zeige, wenn die Roboter von Boston Dynamics mit Füßen getreten werden. Was definiert also einen Menschen? Menschen definieren sich über die Interaktion mit anderen Menschen.

 

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