MOBILITÄT 21. Sep 2017 Martin Ciupek Lesezeit: ca. 12 Minuten

„Da ist bei vielen noch ein Knoten im Kopf“

Elektrifizierte Fahrräder haben für Hannes Neupert, Geschäftsführer von Extra Energy aus Tanna, ein riesiges Potenzial. Für ihn kommen die Innovationstreiber aber aus anderen Branchen.

Die Zukunft? Bei überdachten Konzepten wie dem „Biohybrid“ reichen die Ideen vom Mietfahrzeug bis zur autonomen Personenbeförderung.
Foto: Schaeffler/Stefan Pranjic Photography

VDI nachrichten: Welcher Elektrofahrradtyp begeistert Sie persönlich am meisten?

Neupert: Ganz klar das Lastenrad. Das können Sie als Familienfahrzeug nutzen und Kinder reinsetzen. Im Prinzip kann man im Umkreis von 5 bis 10 km alles damit erledigen und ist oft noch schneller als mit dem Auto, insbesondere wenn man die Parkplatzthematik betrachtet.

Hannes Neupert

ist seit 1992 Chef von Extra Energy e.V., Testplattform für E-Bikes und Pedelecs

studierte Industriedesign an der Universität Halle (Saale).

leitet die VDI-Tagung „Leichte E-Mobilität“ am 26. und 27. September 2017 in Baden-Baden.

Lastenräder sind ein gutes Beispiel für die Elektrounterstützung bei Fahrrädern. Wo sehen sie die größten Potenziale?

„Es gibt überall das Nokia-Syndrom. Die Entwickler gucken in den Markt und sagen, das wollen die Leute haben, weil sie das kaufen. Aber sie kaufen es, weil es nichts anderes gibt.“ Hannes Neupert, Geschäftsführer von Extra Energy aus Tanna. Foto: Privat

Es gibt in allen Bereichen noch riesige Potenziale. Das gilt besonders für die Lastenräder, weil die Stückzahlen hier bisher noch sehr gering sind. Wenn wir uns den Weltbestand an Elektrofahrrädern vor 25 Jahren ansehen, dann lag der insgesamt bei etwa 5000. Heute sind wir bei 250 Mio. und erwarten nach eigener Schätzung ein deutliches Wachstum auf einen Weltbestand von 1,6 Mrd. in den kommenden 25 Jahren. Ich rechne mit einer ähnlichen Entwicklung wie bei den Smartphones.

Welche Entwicklungen haben Sie in den vergangenen Jahren besonders beeindruckt?

Am spannendsten ist die Entwicklung des Serienhybrids. Das bedeutet, dass es nur noch einen Tretgenerator und ein bis zwei Motoren gibt. Auf die Kette und entsprechende Verschleißteile kann dabei verzichtet werden. Das hat den Vorteil, dass sich alle gewünschten Eigenschaften frei per Software einstellen lassen. Wenn mehrere Personen das Produkt nutzen wollen, können sie dabei einfach ihre individuellen Einstellungen einprogrammieren – mal eher sportlich und mal eher gemütlich.

Wie sieht das System dann aus?

Ich habe in der Mitte einen Tretgenerator und ein bis zwei Nabenmotoren im Fahrrad.

Es ist dann also eine Philosophiefrage, ob der Antrieb vorne, hinten oder in beiden Naben sitzen wird?

Mein Favorit ist der Allradantrieb. Da gibt es schon tolle Prototypen. Beispielsweise vom Automobilzulieferer Marquardt. Mit Allrad kann ich dann z. B. auch eine Schlupfregelung machen und vieles mehr.

Auf nassen Wiesen, in weichem Sand und bei Schneematsch macht das einen riesigen Unterschied. Bei einem hinterradangetriebenen Fahrrad fühlt es sich so an, wie mit einem BMW ohne ESP über Schneematsch zu fahren.

Der Serienhybrid beim Fahrrad klingt nach einer sehr jungen Entwicklung.

Den ersten fahrfähigen Serienhybrid gab es etwa im Jahr 1995. Das erste Serienfahrzeug, das damals allerdings noch nicht überzeugen konnte, wurde 2012 vorgestellt. Im selben Jahr hat die Universität in Wernigerode einen Hybridantrieb vorgestellt, der ein gutes Fahrgefühl vermittelte. Auf der Eurobike und der IAA stellten viele Firmen, die bisher nicht im Bereich der Fahrradtechnik tätig waren, ihre Antriebe vor, die Prominentesten waren unter anderem: ZF, Mando, Mahle, Oechsler, Rheinmetall. Schon im Markt sind Bosch, Continental, Schaeffler, Brose und Magna.

Bei welchen Entwicklungstrends hätten Sie sich mehr erwartet?

Generell bin ich mit der Entwicklungsgeschwindigkeit nicht zufrieden. Der Stand der Technik ist längst weiter als das, was wir am Markt sehen. Aber das ist wohl das Los eines jeden Technologieentwicklers. Serienprodukte sind immer irgendwie schon veraltet. In der Konsumelektronik sind die Zyklen sehr kurz. Pedelecs sind von der Entwicklungsgeschwindigkeit eher mit der Automobilindustrie zu vergleichen. Bis zur nächsten Modellreihe vergehen da schon mal fünf Jahre.

Dabei erscheint die Komplexität bei einem Elektrofahrrad geringer als bei einem Auto.

Höher? Wie begründen Sie das?

Woran lag das?

Das liegt vor allem daran, dass hier der Mensch eine wichtige Rolle spielt. Er möchte Spaß haben und das Radfahren muss sich natürlich anfühlen. Das wird von vielen Neueinsteigern unterschätzt. Denn jeder Mensch ist anders und hat andere Erwartungen, an das Zusammenwirken mit dem Elektromotor.

Hinzu kommt, dass die Ansprüche immer höher werden. Das wird durch den zunehmenden Wettbewerb noch forciert. Deshalb sind die Produkte inzwischen auch voll mit kleinen Rechnern – genauso wie moderne Autos.

Das schreit nach Kooperationen.

… und die gibt es auch. Jetzt kommt z. B. ein Konsortium aus den Automobilherstellern ZF, TRW, den Bremsenherstellern Magura und BrakeForceOne sowie dem Batteriespezialisten Unicorn Energy mit einem ABS-System für Fahrräder auf den Markt. Bereits im Juni hatte Bosch ein solches System vorgestellt, wo ebenfalls Magura-Bremsen eingesetzt werden.

Sie kennen beide Lösungen bereits. Wie ist Ihr Eindruck?

Das spannendere System ist für mich die Lösung des Konsortiums um ZF und TRW. Es kommt eigentlich aus einer Entwicklung, die mal bei Porsche gemacht wurde und später als BrakeForceOne aus Tübingen ausgegründet wurde. Das System ist insgesamt kompakter und wird die größeren Chancen auf dem Markt haben, weil es sich einfacher in ein Gesamtkonzept integrieren lässt.

Letztlich wird dadurch Wettbewerb angeregt. Deshalb ist mit Weiterentwicklungen zu rechnen. Das wird ähnlich laufen wie beim ABS im Auto. Das war früher schwer und teuer. Es wurde deshalb zunächst in schweren Limousinen eingesetzt und ist jetzt in jedem Pkw zu finden.

Sowohl Hersteller aus dem Automobilbereich als auch aus der Fahrradtechnik haben also den Trend erkannt. Wem trauen Sie mehr zu?

Die Technologie kommt entweder von Automobilzulieferern oder aus der Konsumelektronik. In der Fahrradindustrie gibt es kein Know-how dafür. In der Fahrradindustrie arbeiten entweder pensionierte Radrennsportler oder Zweiradmechaniker, die sich hochgeschraubt haben, im besten Fall vielleicht noch Maschinenbauer. Dazu kommt, dass alle Fahrradenthusiasten sind, weil man in der Fahrradindustrie üblicherweise nicht so viel verdient.

Die Leute, die hier neue Impulse bringen können, sind also eher in der Automobilzuliefer- oder Konsumgüterindustrie. Da gibt es die Leute, die mit der Komplexität umgehen können. Da ist eher die Vision nötig, was leichte Elektrofahrzeuge können müssen und was der Markt braucht.

Tun sich die Unternehmen damit so schwer?

Ja. Es gibt quasi überall das Nokia-Syndrom. Die Entwickler gucken in den Markt und sagen, „das wollen die Leute haben“, weil sie das kaufen. Aber sie kaufen es, weil es nichts anderes gibt.

Jetzt kommt es darauf an zu analysieren, was die Menschen brauchen, und ein Produkt zu entwickeln, welches das möglichst gut kann. In der Mobilfunkindustrie kam so mit dem iPhone das erste Smartphone heraus. Die Wettbewerber haben das nicht ernst genommen und einige Jahre später waren ihre Produkte nicht mehr gefragt. Eine ähnliche Entwicklung sehe ich gerade in der Fahrradindustrie. Ich behaupte, dass die meisten Unternehmen aus der Branche die wir heute kennen, in ein paar Jahren entweder von anderen aufgekauft wurden oder nicht mehr existieren werden.

Die Fahrradindustrie ist vor allem mechanisch geprägt. Wie passt da der Vergleich mit Mobiltelefonherstellern?

Wenn sie davon ausgehen, dass der Markt in 25 Jahren auf 1,6 Mrd. Pedelecs anwachsen wird, dann kommen sie mit den heute von manuellen Tätigkeiten geprägten Prozessen nicht mehr weiter. Sie müssen sich nur den manuellen Aufwand mal ansehen, der allein bei der Produktion von Aluminiumrahmen in China, Kambodscha, Vietnam und anderen Ländern betrieben wird – mal ganz abgesehen von der körperlichen Belastung.

Dazu kommt, dass in China nun plötzlich Losgrößen von 5 bis 10 Mio. Mietfahrrädern hergestellt werden. Da sieht man bereits, wie das System an seine Grenzen kommt. Und vor kurzem ist der taiwanische Apple-Lohnfertiger Foxconn in die Fahrradproduktion eingestiegen.

Foxconn wird zum Fahrradhersteller?

Ja, die stellen jetzt auch Mieträder her. Die Anbieter Mobike und Ofo haben dafür jeweils etwa 1 Mrd. $ bei Venturecapital-Gebern eingesammelt und bauen jetzt Bikesharing-Konzepte in China aus. Wir sprechen von insgesamt je 10 Mio. Rädern.

Das sind dann aber wohl erst einmal keine E-Bikes?

Das sind zunächst klassische Fahrräder. Aber die Regierung hat bereits angekündigt, dass sie sich elektrisch angetriebene Fahrräder wünscht. Momentan hat das noch niemand gelöst, weil ein elektrounterstütztes Fahrrad miettauglich hinzubekommen technisch sehr schwierig ist. Deswegen wird das den Markt mit einiger Verzögerung noch zusätzlich beflügeln.

Das würde aber bedeuten, dass der gesamte Fahrradmarkt durchgerüttelt würde.

Richtig. Und das geht nur mit ganz anderen Rahmenkonstruktionen. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass der Rahmen dann nicht mehr aus Rohren zusammengeschweißt wird, sondern in einem Stück aus der Spritzgussmaschine fällt. Kunststoffe sind erstens viel günstiger und sie brauchen zweitens zu ihrer Erzeugung auch viel weniger Energie als beispielsweise Aluminium, wenn es aus Bauxit gewonnen wird.

Es muss nicht gleich CFK – also kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff – sein. Da reicht auch schon ein guter thermoplastischer Kunststoff, der bei Bedarf mehrfach recycelt werden kann.

Kommen wir zurück zu den Antriebskonzepten. Da hat sich Bosch in den vergangenen Jahren mit seinem Mittelmotor ein erfolgreiches Geschäftsfeld aufgebaut. Das hat auch andere Unternehmen angespornt. Was ist hier zu erwarten?

Wir werden da noch einige Hersteller insbesondere aus der Automobilindustrie sehen. Bosch ist in Stückzahlen in Europa nach dem chinesischen Anbieter Bafang aktuell die Nummer zwei. Was den Profit angeht, dürfte das anders herum sein. Beispielsweise arbeitet General Motors an einem eigenen Pedelec mit selbst entwickeltem Antrieb. Gerade ist BMW mit einem eigenen Pedelec auf den Markt gekommen, welches einen Antrieb von Automobilzulieferer Marquardt besitzt.

Sprechen wir hier tatsächlich von Eigenentwicklungen? Oft wird ja fremd produziert und nur noch das eigene Logo angebracht?

Das passiert parallel auch. Solche Fahrräder lässt BMW beispielsweise nach eigenen Designs in Spanien fertigen. Das ist aber eher Merchandising – also wie eine Krawatte mit Firmenlogo. Aber im aktuellen Fall kommt die Entwicklung von intern. Auf den ersten Blick sieht der X2City aus wie ein Stehroller und läuft unter BMWs Motorradsparte. Er wurde kürzlich auf der Fachmesse der Handelsorganisation ZEG in Köln vorgestellt und wird von der Firma Kettler vertrieben.

In der Vergangenheit haben Sie sich stark mit der Batteriesicherheit beschäftigt. Besteht da heute immer noch Handlungsbedarf?

Leider ist das Thema noch aktuell. Die Unfälle häufen sich in absoluten Zahlen, schon allein mit der Anzahl der verkauften Pedelecs. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Problemen kommt, erhöht sich mit den Lebensjahren der Batterie. Wenn eine Batterie erst einmal fünf oder mehr Jahre alt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass insbesondere bei einer Fehlkonstruktion etwas schief geht.

Positiv ist, dass es dafür jetzt endlich einen Standard gibt, der die Batteriezuverlässigkeit reglementiert. Das ist die EN 50604–1. Seit 12. August 2016 ist er publiziert und seit Juli diesen Jahres ist er anzuwenden, aber noch nicht Gesetz. Das wird aber über die Listung in der Batteriedirektive und Maschinendirektive erfolgen. Tatsächlich ist es aber so, dass viele Elektroräder die auf der Eurobike vorgestellt wurden, noch keine Batterien haben die dem Standard entsprechen.

Aber was bedeutet das? Dürfen die dann nicht auf den Markt gebracht werden?

Das heißt, sie entsprechen nicht dem Stand der Technik. Damit gehen die Hersteller ein großes Risiko ein. Wenn etwas passiert, wird das als fahrlässige Handlung und damit als strafrechtlich sehr kritischer Akt eingestuft. Aktuell muss ich das aber noch nicht erfüllt haben, wenn ich da ein CE-Zeichen drauf mache. In den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren dürfte es aber verpflichtend sein, auch die Batterie vorher standardgemäß geprüft zu haben.

Und wer prüft die Batterien? Macht das auch ExtraEnergy?

Das sind die üblichen Prüfstellen. ExtraEnergy untersucht nur die Kundenwunscherfüllung, aber wir sind kein akkreditiertes Testhaus, welches EN-Standards prüft. Das wollen wir auch nicht. Dafür gibt es genug andere, z. B. hat der TÜV Rheinland ein großes Batterielabor in Nürnberg.

Das gilt auch für Batterien im Elektromobilbereich. Ich selbst habe ein großes Batteriezellen Testlabor entwickelt und schlüsselfertig an die Uni Münster geliefert. Das ist jetzt seit zweieinhalb Jahren im Probebetrieb und dort wird auf Zellebene geforscht, also Grundlagenforschung betrieben. Deshalb kann ich sagen, dass da auch die Automobilindustrie nur mit Wasser kocht. Die haben aber mehr zu verlieren, deshalb testen die gründlicher als in der Fahrradindustrie.

Wie läuft das bei Fahrradherstellern üblicherweise?

Da heißt es eher, der Lieferant hat gesagt „es ist sicher“, deshalb passt das schon. Dann werden die Pedelecs verkauft und man kann im Schadensfall nicht mehr nachvollziehen, wohin die Batterien gegangen sind. Die lassen sich dann nicht einfach zurückrufen.

Bei modernen Autos können Sie dagegen im Ernstfall Meldungen an die Fahrzeuge senden, dass ein Problem festgestellt wurde und das Fahrzeug angehalten werden soll oder die nächste Werkstatt aufsuchen soll. Beim Pedelec gibt es die Möglichkeit noch nicht. Aber es gibt bereits erste Produkte, die ständig mit dem Internet verbunden sind.

Wie haben sich Energiemengen und Reichweiten entwickelt?

Die Energiemengen nehmen ständig zu, während die Reichweiten kaum steigen. Das ist ähnlich wie bei den Autos: Der Flottenverbrauch sinkt nicht, weil die Leute von der Golfklasse auf einen Minivan umgestiegen sind. So ist es auch bei den Pedelecs. Da wird mehr Motorleistung erwartet und gerne mal der Turbomodus ausgenutzt. Davor mussten die Antriebe so gemacht werden, dass die Nutzer von der Reichweite nicht ganz enttäuscht waren. Alltagsüblich sind schon seit Jahren Reichweiten von 30, 40 oder 50 km. Das ist heute immer noch so, nur können sie heute die Strecke viel schneller und mit hohen Motorleistungen auch am Berg fahren.

Das bedeutet aber auch einen höheren Verschleiß für die mechanischen Komponenten.

So ist es. Bei Mittelmotorantrieben können Sie da immer früher die Kette sowie die Ritzel vorne und hinten austauschen. Vor allem viele Schaltvorgänge bringen Kettenschaltungen schnell an ihr Lebensende. Manche Hersteller reagieren mit leistungsfähigeren Ketten, aber das ist ein Wettrüsten, weil ja auch die Antriebe leistungsfähiger werden. Bafang kommt beispielsweise mit 1000-W-Mittelmotoren. Da sind Ketten, die die bisherigen Motoren halbwegs ausgehalten haben mit den neuen Aufgaben schnell überfordert. Das zeigt warum es sinnvoll ist die Kette ganz abzuschaffen und auf den Serienhybrid, also eine digitale Kette zu setzen.

Mit einer digitalen Kette lassen sich per Software sehr leicht Modifikationen vornehmen. Das ist ähnlich wie bei Allradkonzepten von Tesla. Gegenüber einem mechanischen Allradsystem mit allerhand Getriebetechnik ist das technisch eher niederkomplex. Bei Tesla ist das ein gespiegelter Antriebsstrang und der Rest ist Software. Damit halten sich auch die Kosten in Grenzen. Wenn ich eine gewisse Stückzahl habe, dann ist es bezüglich der Kosten und des Gewichtes auch nahezu egal, ob ich die Antriebsleistung mit einem Motor erreiche oder auf mehrere Antriebe verteile.

Da liegt es nahe auch motorisierte Fahrräder mit drei oder vier Rädern zu entwickeln.

Genau. Das macht beispielsweise die Firma Schaeffler mit ihrem Biohybrid. Dieses Konzept soll den bisherigen Carsharing-Konzepten Konkurrenz machen und könnte auch autonom fahren. In der Großserie rechne ich mit Herstellungskosten von etwa 4000 € bis 5000 €, während ein Tesla 3 von den Herstellungskosten dagegen auf schätzungsweise 20 000 € kommt. Beide könnten über eine Smartphone-App angefordert werden, wobei der Biohybrid den Vorteil hätte, dass er in Schrittgeschwindigkeit auch in Fußgängerzonen hineinfahren darf.

Das ist juristisch ein Unterschied. Wenn der Fahrer mit in die Pedale tritt, ist es ein Fahrrad. Noch gilt es bezüglich der Rechtslage bei selbstfahrenden Fahrzeugen noch einiges zu klären. Ich bin aber überzeugt, dass es so laufen wird. In den USA wird es da schon konkret und Deutschland sowie Japan wollen sich anschließen, auch wenn sie sich noch nicht auf ein Jahr festlegen wollen. Das ist auch eine wirtschaftliche Frage, wenn ein Land ihren Unternehmen verbietet, damit paktische Erfahrungen zu sammeln.

Üblicherweise fahren Pedelecs elektrisch unterstützt bis zu 25 km/h, die schnelleren S-Pedelecs kommen auf 45 km/h. Welche Geschwindigkeit erscheint Ihnen angemessen?

Ich finde die 45-km/h-Modelle global gesehen eher uninteressant. Die Modelle machen zwar tierisch viel Spaß, entscheidend für weltweite Mobilitätskonzepte sind aber die 25-km/h-Fahrzeuge. Allerdings gehören die Pedelec-25 nach jetzigem Stand der Technik abgeschafft. Das passiert teilweise auch schon. Was wir brauchen sind Pedelec-32-Fahrzeuge.

Wieso favorisieren sie ausgerechnet 32 km/h?

Die Zahl kommt umgerechnet von 20 Meilen pro Stunde. Die Geschwindigkeit lässt sich mit Pedelectechnik hinbekommen. 45 km/h sind Motorradtechnik. Deswegen gehe ich davon aus, dass sich das Pedelec-45 in ein kleines Motorrad auswachsen wird. Das wird auch seine Daseinsberechtigung haben, hat aber nichts mehr mit Fahrradtechnik zu tun. Dazu kommt, dass die Verkehrsinfrastruktur gar nicht dafür ausgelegt ist und es keine klare Gesetzgebung gibt.

Mit dem Pedelec-25 kommen Sie bei einem guten Tourenrad in der Ebene ja schon locker auf 30 km/h. Wenn sich der Elektromotor bei 25 km/h auskoppelt, fahren sie gefühlt gegen eine Wand. Das nimmt einem jegliche Motivation das höhere Tempo tatsächlich zu fahren.

Und wie geht es weiter?

Wir haben zwischen 2009 und 2012 einen Wunschgesetzgebung erarbeitet. Diese wurde auch von der Versicherungsbranche akzeptiert. Die Geschwindigkeit von 32 km/h bekommt der Nutzer dabei nur, wenn er eine gewisse Muskelkraft einbringt – also wenn er dauerhaft mit 150 W Leistung in in die Pedale tritt. Wenn er nur mit 50 W kontinuierlich tritt, dann wird er auch nur bis 15 km/h unterstützt. Das hängt damit zusammen, dass jemand der mehr Tretleistung erbringen kann, üblicherweise auch schneller reagieren kann. Das hat uns die Natur so mitgegeben. Das versuchen wir jetzt auch in der ISO 4210–10 durchzusetzen, in der erstmals überhaupt Pedelecs in der ISO beschrieben werden. Zur Eurobike wurden einige Pedelec vorgestellt die auch dann noch Spaß machen, wenn man über 25 km/h kommt und der Motor abgeschaltet ist. Das passiert über einen sanfteren Übergang und ein geringes Antriebsgewicht. Die Modelle werden im unteren Bereich bei Bedarf ordentlich vom Motor unterstützt, während der Motor dann im oberen Bereich kaum spürbar ist.

Entscheidend ist hier für den sportlichen Einsatz eine gute Beschleunigung, ein gutes Verhalten am Berg und ein möglichst geringes Fahrradgewicht. Deshalb wird die Motorleistung bereits ab 20 km/h zurückgenommen. Entscheidend ist hier die Durchschnittsgeschwindigkeit am Berg.

Was halten Sie von Umrüstsätzen?

Generell ist das keine billigere Lösung, als sich ein neues Pedelec zu kaufen. Anspruchsvolle Nachrüstsätze kosten um die 2000 € und dann kommt meist noch die Montage dazu. Es kann aber Sinn machen bei Rädern, die nicht von der Stange sind oder besonders teuer. Beispiele dafür sind Tandems oder andere Spezialräder, bei denen es nur ein geringes Angebot gibt, und die auch als Fahrrad schon einen Wert von 3000 bis 4000 € haben. Für mich ist das generell aber eher eine Notlösung – so als würde man einen Verbrennungsmotor in eine Kutsche einbauen. Das ist bei der Marktentwicklung nicht mehr plausibel.

Warum sieht man in Großstädten wie Berlin nicht mehr Pedelecs?

In Berlin ist das Pedelec nie richtig angekommen, weil man es kaum sicher abstellen kann. Das hängt mit der hohen Diebstahl- und Vandalismusrate zusammen. Autos für über 100 000 € werden dort aber auf der Straße abgestellt, weil sie sich nicht so einfach klauen lassen, und wenn, dann sind sie gut versichert. Deswegen brauchen wir Codierungssysteme und Onlineortungen wie bei Automobilen.

Wer wird als Gewinner der Elektrifizierung im Fahrradgeschäft hervorgehen?

Das werden diejenigen sein, die Pedelec-Konzepte ganzheitlich betrachten. Kunden dafür sind Menschen, die 4000 € bis 5000 € für ein Fahrzeug mit einem Gewicht von vielleicht 25 kg ausgeben. Ein einfaches Automobil kostet schon 10 000 € oder 15 000 € und wiegt über eine Tonne. Wenn ich den Materialeinsatz im Verhältnis zur Transportleistung betrachte, dann ist ein Pedelec ein viel cooleres Produkt. Deswegen ist es fatal, diese Entwicklung zu ignorieren.

Wir sprechen hier aber von einem ganz anderen Kundenklientel als beim klassischen Fahrrad, wo es noch viele Schrauben gibt. Kunden der Zukunft wollen keine Schrauben mehr sehen. Er möchte auch möglichst auf Wartung verzichten und setzt stärker auf Sharing-Konzepte, also Mietfahrräder.

Wie stehen Sie dazu, die Fahrzeuge zumindest teilweise zu verkleiden?

Das ist spannend und wird unter anderem ja von Schaeffler mit dem Biohybrid gemacht. Da ist bei vielen noch ein Knoten im Kopf, dass ein Fahrrad wie ein Fahrrad aussehen muss. Aber das wird die Zeit regeln.

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