ANTRIEBSTECHNIK 08. Nov 2018 Hendrik Stüwe Lesezeit: ca. 3 Minuten

Das neue Leben alter Busse

Ein Konsortium kauft ausgediente Busse, macht sie zu Stromern und verleast sie. Von 500 Doppeldeckerbussen in Berlin sollen 25 Ende 2019 emissionsarm unterwegs sein.

Die Umrüstung auf E-Antrieb ab 2019 halbiert die Betriebskosten für die Touristenbusse von 1,5 €/km auf 75 ct/km und umgeht etwaige Fahrverbote für Dieselmodelle.
Foto: Tassima

Die ersten 25 von rund 500 dieselbetriebenen Oldtimerbussen, die in Berlin Touristen chauffieren, werden 2019 auf emissionsfreien Elektroantrieb umgerüstet. Ein Jahr später sollen es 75 Doppeldecker sein und ab 2021 ein Bus pro Tag. Die Vorbereitungen für das viele Millionen Euro teure Projekt laufen auf Hochtouren.

Elektrobusse

Das spanische Unternehmen Unvi gilt als weltweit größter Hersteller von Stadtrundfahrtbussen und brachte Ende 2017 den ersten vollelektrischen Sightseeing-Bus auf den Markt. Unvi setzt auf die Lösung von Ziehl-Abegg Automotive, da bei deren Antrieb die komplette Elektronik im Rad sitzt und somit die Batterien nicht wie sonst üblich auf dem Dach installiert werden müssen, sondern im freigewordenen Motorraum.

Bereits auf dem Dieselgipfel 2017 war beschlossen worden, den Fördersatz zur Anschaffung von Elektrobussen im ÖPNV auf 80 % anzuheben und das Gesamtfördervolumen auf 100 Mio. € jährlich zu erhöhen. Das bedeutet für Kommunen, dass sie 80 % der Mehrkosten gegenüber einem Dieselbus (ca. 300 000 €) erstattet bekommen.stü

In einer 6000 m2 großen Leichtbauhalle beim Flughafen Schönefeld beginnen kommendes Jahr die Umrüstungen, für die sich das Konsortium Tassima AG aus vier Partnern gegründet hat. „Wir kaufen die teils 30 Jahre alten Busse, die schon vor Jahren aus dem Linien- oder Reiseverkehr ausgemustert wurden, zum Restwert auf, rüsten die Busse auf E-Antrieb um und verleasen sie an deren private Betreiber aus der Touristikbranche zurück,“ sagt Rainer Nobereit. Die Kosten pro Fahrzeug beziffert der Vorstandsvorsitzende der dafür gegründeten Aktiengesellschaft auf bis zu 500 000 €.

Die Antriebseinheiten liefert die VW-Tochter IAV, die Elektroportalachse mit Radnabendirektantrieb der Hohenloher Ventilatorenhersteller Ziehl-Abegg. Dabei erreicht der E-Motor eine Nennleistung von zweimal 120 kW und einen Nenndrehmoment von zweimal 3700 Nm. Die Komponenten werden je in die Radnaben integriert, nachdem der alte Antrieb ausgebaut und die ausgeräumte Karosserie zunächst runderneuert wurde. Auch die verschlissenen Sitze und das Interieur der Oldtimer werden bei Bedarf erneuert.

Gespeist wird der Motor von insgesamt vier Batteriepacks, die eine Reichweite von 120 km aufweisen sollen und in der Regel für einen Busarbeitstag ausreichen. Fehlt die Spannung, können die Oldtimerbusse binnen 3 h an einer DC-Ladestation oder in rund 8 h via Dreiphasenwechselstrom aufgeladen werden.

Eine Nürnberger Leasinggesellschaft finanziert die Umrüstung und anschließende Vermietung. Dazu gründet die AG eine Mietpoolgesellschaft. Die Oldtimerbusse, die aktuell häufig nur die Euro-2- oder Euro-3-Norm erfüllen, laufen mit Sondergenehmigung. Und da sie fast immer unter 30 km/h fahren, mit häufigen Stopps bei laufendem Motor, laufen die Dieselmotoren nur im unteren Drehzahlbereich, weshalb sie extrem ineffizient sind und erhöht Feinstaub ausstoßen.

„In Krakau haben die Polen ab Oktober für diese Busse ein Fahrverbot erlassen“, sagt Roland Prejawa, Aufsichtsratsvorsitzender der Tassima AG und Mitbegründer von Gullivers Reisen in Berlin. Ein weiterer Gesellschafter ist Dirk Poguntke, seit 1996 geschäftsführender Gesellschafter der Berlin City Tour GmbH.

Dass das Konsortium einem Kompetenzteam gleichkommt, belegt Tassilo Soltkahn: Der Architekt für Industrieanlagen bringt das Grundstück am Flughafen Schönefeld mit 30 000 m2 ein und Vorstandsvorsitzender Rainer Nobereit die Mobilhalle mit 6000 m2. Die Nürnberger Leasing GmbH fungiert als Finanzier, der auf E-Mobilität spezialisiert ist und neuerdings auch Lokomotiven finanziert.

„Die Umrüstung halbiert die Betreiberkosten von 1,5 €/km auf 75 ct/km“, sagt Prejawa, der viele Jahre verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Senat war und bestens in der Stadt und bundesweit in seiner Partei vernetzt ist. Dabei kalkuliert der Logistiker mit 23 ct/kWh. Zum Vergleich: Solarparks liefern mittlerweile die kWh zu sechs Cent. Zum Vergleich: Die Touristikbusse sind 250 Tage/Jahr im Einsatz, legen 120 km/Tag zurück und verbrauchen bis zu 40 l Diesel/100 km.

„Für die Umrüstung gibt es neben der Rentabilität weitere Gründe“, wirbt Nobereit und nennt Steuervorteile durch Leasing, drohende Fahrverbote, Imagegewinn oder Vergabevorteile bei öffentlichen Ausschreibungen. Denn nach der Touristik könnten ÖPNV-Linien und Müllfahrzeuge für weitere Nachfrage sorgen.

In der Anlaufphase will Tassima 35 Jobs für Facharbeiter wie Hochvoltspezialisten, Schweißer, Tischler oder Polsterer schaffen. Die Halle ist auf bis zu 150 Busse pro Jahr ausgelegt, die in zwei bis zwölf Wochen umgerüstet werden. Dafür braucht es mindestens 50 Mitarbeiter. Auch vier Hebebühnen und Lackierkabinen werden dann benötigt. Um die Durchlaufzeit geringzuhalten, sollen möglichst viele Arbeiten vor Ort erfolgen.

Ein weiterer Schritt ist perspektivisch, den benötigten Strom regenerativ auf Photovoltaikdach- und Fassadenflächen in der Stadt oder Solarparks im Umland und entlang von Autobahnen zu erzeugen. Dann sollen die Busse mit Wechselbatterien fahren: Während die eine das Fahrzeug antreibt, speichert die andere tags über den PV-Strom aus der Anlage, was die Rentabilität verbessert, die Netzinfrastruktur entlastet und die Energiewende begünstigt.

Durch die Umrüstung werden die Busse gut eine Tonne leichter und durch die Aufbereitung können die Oldtimer nach Aussage des Konsortiums weitere 15 bis 20 Jahre in Betrieb bleiben, was sich gleichfalls positiv auf die Ökobilanz auswirkt. Wenn ab 2021 pro Werktag ein Bus umgerüstet wird, dann soll die Nachfrage nicht nur aus ganz Deutschland kommen, sondern auch aus dem benachbarten Ausland. Davon ist man bei der Tassima AG überzeugt. Und der Druck zum Umrüsten, Stichwort Sondergenehmigung für Dieselmodelle, werde steigen, weil dann die Alternative da ist.

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