Der Untergang der MS „Melanie Schulte“
1952 sank die MS „Melanie Schulte“ mit Mann und Maus. Der nur wenige Wochen alte Stückgutfrachter war mit Eisenerz beladen auf dem Weg in die USA. Das Unglück gilt als eines der schlimmsten der deutschen Handelsschifffahrt, jetzt könnte die Ursache für den Untergang erforscht sein.
Die letzte bekannte Position der MS „Melanie Schulte“ liegt im Nordatlantik, westlich von Schottland. Dort gab das Schiff am 21. Dezember 1952 um 12:00 Uhr den letzten Funkspruch ab. In ihm fragte Funkoffizier Balzersen bei der Seefunkstation nach, ob noch weitere Funksprüche vorlägen, was nicht der Fall war. Die nächste turnusgemäße Meldung wäre nicht vor dem darauffolgenden Morgen um 8:00 Uhr gesendet worden. Doch seitdem war Funkstille. Die 136 m lange und 18 m breite MS Melanie Schulte meldete sich nicht mehr. Auch Weihnachtsgrüße von Reeder Heinrich Schulte von der Emder Reederei Schulte & Bruns blieben unbeantwortet. Das Schiff verschwand mit Mann und Maus – von den 35 Besatzungsmitgliedern wurde nie wieder etwas gesehen oder gehört.
Warum ging ein nur wenige Wochen altes Schiff unter?
Was war passiert? Wrackteile wie der am 17. Februar 1953 an der Westküste der Hebriden-Insel Benbecula angespülte Rettungsring mit der Aufschrift des Emder Frachters sowie eine zuvor angespülte Holztür mit dem Messingschild „Mithörleitung“ ließen darauf schließen, dass das Schiff auseinanderbrach. Fehler in der Konstruktion des Schiffes, falsche Navigation, ungleich verteilte Ladung, zu hoher Seegang? Spekulationen – die tatsächliche Ursache konnte nie ganz geklärt werden.
Forschende vom Helmholtz-Zentrum Hereon haben mit moderneren Methoden als die, die damals zur Verfügung standen, jetzt untersucht, ob falsche Beladung, außergewöhnlich hohe Wellen und ein besonders starker Sturm zum Untergang des Frachters geführt haben könnten. Damals wurden im Zuge eines Untersuchungsberichts und eines Gerichtsverfahrens Vermutungen aufgestellt: Fehler in der Konstruktion des Schiffes, falsche Navigation, ungleich verteilte Ladung, zu hoher Seegang? Doch die tatsächliche Ursache konnte nie ganz geklärt werden.
Die Hereon-Forschenden haben nun versucht, einige der Vermutungen wissenschaftlich zu untermauern. Ina Teutsch und Dr. Nikolaus Groll vom Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung haben dafür eine bestehende Seegangssimulation benutzt. Anhand von Wetter- und Seegangsberechnungen aus dem Dezember 1952 konnten sie abschätzen, wie stark der Wind und wie hoch die Wellen zum Zeitpunkt des Unglücks im Nordatlantik waren. Das Ergebnis: Der Seegang war zwar hoch, aber nicht außergewöhnlich. Die Höhe der Wellen wird wahrscheinlich nicht allein zum Untergang geführt haben. Entscheidender könnten dagegen die Wellenlänge und die Richtung gewesen sein, aus der die Wellen auf das Schiff trafen, so die Forschenden.
Länge und Richtung der Wellen entscheidend
Den Berechnungen zufolge entsprach die Wellenlänge etwa der Länge des Schiffes von 136 m. Aufgrund dessen wurde der Frachter ständig hin- und hergebogen. Befand er sich auf einer Welle, wurden Bug und Heck stärker belastet. Befand er sich zwischen zwei Wellen, wurde er mehr am Bug und Heck vom Wasser getragen und die Mitte stärker belastet. Die strukturelle Integrität des Schiffes könnte zusätzlich noch dadurch beeinträchtigt worden sein, dass die Ladung von 9300 t Erz ungleich verteilt gewesen war, die sie im norwegischen Narvik geladen hatte und nach Mobile in Alabama bringen sollte.
Aus der Seegangssimulation von Teutsch und Groll geht außerdem hervor, dass die Wellen wahrscheinlich seitlich auf das Schiff getroffen sind. Das ließ es zusätzlich hin- und herschaukeln. „Wahrscheinlich haben alle diese Effekte zusammengespielt und die Struktur des Schiffes geschwächt, sodass es auseinanderbrach“, fasst Groll zusammen. Das Schiff wurde also regelrecht durchgewalkt durch Wellenlängen, die der Länge des Schiffs entsprachen.
Das Ergebnis der Studie bestätigt Vermutungen, die bislang über den Untergang der „Melanie Schulte“ angestellt, aber nie vollkommen bewiesen werden konnten. So zogen etwa Gutachter im Jahr 1953 ähnliche Schlüsse wie Groll und Teutsch. Doch hatten sie damals nicht die Mittel, ihre Annahmen mit komplexen Seegangssimulationen zu berechnen. „Wir konnten die Erkenntnisse jetzt empirisch untermauern“, sagt Groll. Für ihn und seine Kollegin bedeutet die Studie aber noch mehr: „Den Datensatz, den wir für diese Untersuchung verwendet haben, nutzen wir sonst, um zu untersuchen, wie sich das Seegangsklima entwickelt. Diese Studie hat gezeigt, dass man die Daten und Modelle aber für viel mehr verwenden kann.“