Die Akustikprobleme der neuen Überschallflugzeuge
In wenigen Jahren könnte das erste Überschallpassagierflugzeug seit der Concorde fliegen. Stellt sich die Frage, wie streng die Emissionsgrenzwerte für die Zertifizierung sind. Schon jetzt ist abzusehen: Allzu viele Sonderregeln wird es nicht geben.
Bei der Concorde waren die Zertifizierungsbehörden weltweit gnädig. Ohne Sondergenehmigungen – die Lex Concorde im Luftfahrtjargon – hätte der bislang letzte Überschallflieger für den Passagierverkehr gar nicht erst aus dem Hangar rollen dürfen. Sowohl bei den Schall- als auch bei den Schadstoffemissionen flog das Flugzeug den gängigen Unterschalljets hinterher.
Aktuell entwickelt der US-Hersteller Boom ein neues Überschallflugzeug: die Overture (s. Kasten). United Airlines aus den USA hat vor kurzem 15 Maschinen bestellt und Optionen zum Kauf von 35 weiteren vereinbart. Solche Ankündigungen sind immer auch ein bisschen Marketing. Aber zumindest ist es möglich, dass noch in den 2020er-Jahren wieder Überschallflugzeuge den Atlantik überqueren.
Nun beginnt die Aufgabe der Zertifizierungsbehörden: Regeln für die Zulassung von Überschalljets zu finden.
Wie werden Flugzeuge normalerweise zertifiziert?
Standardmäßig ziehen die Behörden Vergleichsdaten bereits zugelassener Modelle heran, um realistische Grenzwerte für die Schall- und Schadstoffemissionen zu finden. Wenn also heute ein Flugzeug mit 200 Sitzen zugelassen werden sollte, würden die Behörden auf vergleichbare Modelle wie die Boeing 737 MAX oder den Airbus A321 neo schauen.
Das Problem bei Boom ist nur: Es gibt keine relevanten Vergleichsdaten. Die Concorde ist im Jahr 2003 zum letzten Mal geflogen. Der Großteil der Technologien für die Concorde und die sowjetische Tu-144 wurde in den 1960er-Jahren entwickelt, Jahrzehnte vor den ersten leistungsfähigen computergestützten Strömungssimulationen und auf einem niedrigeren Stand der Triebwerksforschung.
Europäische Datengrundlage
Wie können neue Überschallflieger zertifiziert werden?
Wenn es keine realen Vergleichsdaten gibt, müssen sie am Computer entstehen. „Wir werden die Daten auf Modellbasis vollständig virtuell erzeugen“, sagt Robert Jaron vom DLR-Institut für Antriebstechnik.
In Europa geschieht das – finanziert von der EU-Kommission – im Projekt Seneca. Einer der Projektpartner, die britische Cranfield University, legt zwei Überschallflugzeuge aus: einen Businessjet und eine größere Passagiermaschine. Diese werden dann in simulierten Flügen mit unterschiedlichen Motorisierungen gestartet und gelandet. In Parameterstudien wollen die Projektpartner, darunter das DLR, herausfinden, mit welchen Konfigurationen die ehrgeizigsten Zertifizierungsregeln formuliert werden können. Die Teams variieren dabei zum Beispiel die Position der Triebwerke und die Verteilung der Antriebsleistung auf mehrere Antriebe.
Rechnen die Seneca-Teams mit den Daten aus der Overture-Entwicklung?
Nein. „Wir haben weder das Ziel, noch die Möglichkeiten, Boom nachzurechnen“, sagt DLR-Forscher Jaron. „Die Möglichkeiten haben wir nicht, da die Hersteller verständlicherweise keine technischen Details preisgeben. Und das Ziel haben wir nicht, weil unsere Daten möglichst allgemeingültig sein sollen.“
Welche Rolle spielt Seneca bei der internationalen Zertifizierung?
Die internationale Luftaufsichtsbehörde ist die Icao, angesiedelt bei der UNO. Dort kommen regionale Zertifizierer wie die FAA (USA) und die Easa (EU) zusammen. Die EU hat bislang keine eigenen Studien in den Zertifizierungsprozess eingebracht – im Gegensatz zu Japan und den USA. Seneca soll die Wissenslücke schließen. „Wir könnten auch ohne wissenschaftliche Datengrundlage bei der Icao mitsprechen, nur würde uns dann niemand wirklich ernst nehmen“, sagt Lars Enghardt, Leiter Triebwerksakustik am DLR-Institut für Antriebstechnik.
Theoretisch ist denkbar, dass die FAA ein Flugzeug zertifiziert, die Easa hingegen nicht. Dann dürfte der Jet in Newark starten und in Frankfurt nicht landen. Ziel der Icao-Gespräche ist aber laut DLR ein internationaler Konsens. Die europäische Haltung: möglichst strenge, aber wissenschaftlich fundierte Grenzwerte. „Man kann nicht strenge Regularien fordern, ohne den Nachweis zu erbringen, dass sie auch erreichbar sind“, sagt Jaron.
Keine Ausnahmen
Wird es nach der Lex Concorde auch eine Lex Boom geben?
Zumindest von europäischer Seite her ist das schwer vorstellbar. „Eine Lex Boom darf es nicht geben, es sollen die gleichen Standards gelten wie für Unterschallflugzeuge“, sagt Enghardt. „Im Interesse der Flughafenanwohner ist eine Unterscheidung zwischen Unterschall- und Überschallflugzeugen sinnlos.“
Warum sind Überschalljets lauter als andere Verkehrsflugzeuge?
Vom Überschallknall einmal abgesehen – Geschwindigkeiten jenseits von Mach 1 werden wahrscheinlich nicht über bewohnten Gebieten erlaubt sein – sind die Triebwerke besonders schallintensiv.
Moderne Unterschalltriebwerke haben ein hohes Nebenstromverhältnis; Stand der Technik ist 11:1. Das bedeutet: Von zwölf Teilen angesaugter Luft passiert nur eins das Kerntriebwerk mit der Brennkammer, elf Teile fließen daran vorbei. Viel Luft wird also im Durchschnitt langsam ausgestoßen. In puncto Schall und Treibstoffeffizienz ist das vorteilhaft.
Bei Überschalljets auf der anderen Seite schlagen wegen der hohen Geschwindigkeiten und der schlechten Gleiteigenschaften die Reibungsverluste der Triebwerke voll durch. Überschalltriebwerke müssen klein sein – und hier gibt es ein Problem: Die Kerntriebwerke sind nahezu ausoptimiert und können nicht mehr kleiner gebaut werden. Das Nebenstromverhältnis ist deshalb stark begrenzt (laut DLR aktuell auf etwa 3:1); das Abgas im Schubstrahl ist viel schneller und lauter. „Wir sind jetzt bezüglich des Nebenstromverhältnis um 30 Jahre zurückgeworfen“, sagt DLR-Forscher Jaron.
Und warum verbrauchen Überschalljets mehr Sprit?
Überschalljets stoßen etwa drei- bis viermal so viel CO2 aus wie Unterschallflieger. Die höheren CO2– und NOX-Emissionen (NOX: Stickoxide) kommen zustande, weil so viel Schub benötigt wird, um die hohe Fluggeschwindigkeit aufzubauen.
Techniktricks gegen Schall
Die Triebwerkstechnik hat sich fortentwickelt. Wie lassen sich Überschalljets leiser machen?
Eins der Probleme des Concorde-Antriebs war der Nachbrenner. Eine Fraktion des Sprits wurde direkt in den heißen Abgasstrahl eingeleitet, wo er dann unkontrolliert verbrannt ist. Die Folgen: Extraschub, Extraemissionen und Extraschall. Die derzeitig geplanten Triebwerke kommen ohne Nachbrenner aus.
Ein zusätzlicher Hebel betrifft den Start. Das aktuelle Prozedere sieht an einer bestimmten Messstelle volle Schubstärke vor und ist an Unterschallfliegern ausgerichtet. „Die vorgegebenen Schubstellungen benachteiligen Überschalljets“, sagt der Triebwerksakustiker Enghardt. Der Grund: Überschalljets benötigen ihre volle Schubstärke, um die Fluggeschwindigkeit zu erreichen, und sind beim Start übermotorisiert. Aktuell wird diskutiert, ob Überschalljets erlaubt werden kann, früher den Schub zu reduzieren und im Gegenzug gleich nach dem Start schneller zu beschleunigen. Leiser wäre der Jet auch, wenn die Triebwerke über dem Flügel montiert wären, weil es einen Abschattungseffekt nach unten gäbe.
Hinzu kommen zwei Wege, das Nebenstromverhältnis virtuell anzuheben. Erstens könnten Wasser oder Luft in den Abgasstrahl eingeblasen werden, um die Geschwindigkeit des Gases und damit die Schallemissionen zu senken. Zweitens könnte die Düse hinten beim Start etwas geöffnet werden; parallel würde vorne mehr Luft angesaugt. Dadurch würde die mittlere Strahlgeschwindigkeit reduziert, der Schub bliebe konstant. Allerdings ist diese Technologie noch in keinem zivilen Triebwerk verbaut. Eine Befürchtung ist, dass durch die Öffnungen Verwirbelungen entstehen, die nach dem Prinzip Orgelpfeife für neue unangenehme Störgeräusche sorgen.
Verstellbare Geometrien am Einlauf und an der Düse funktionieren wie ein ineinandergreifender Balg oder ein auseinanderrutschender Ring, der einen variablen Spalt freigibt oder zumacht. Laut dem DLR-Forscher Enghardt sind solche Mechanismen in Überschallantrieben sinnvoll, „weil Überschalljets so einen breiten Betriebsbereich haben. Wenn die verstellbaren Mechanismen ohnehin für die Aerodynamik vorhanden sind, können wir sie auch gleich zur Akustikoptimierung nutzen.“