E-Lkw: Nur 1000 Schnellladestationen in Europa nötig?
Eine gemeinsame Studie des Fraunhofer ISI und von Amazon liefert wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der optimalen Anzahl und der Standorte öffentlicher Schnellladestationen für den Langstrecken-Lkw-Verkehr in Europa.
Inhaltsverzeichnis
- EU legte Mindestziele für den Ausbau der Ladeinfrastruktur fest – aber zu hoch
- Überraschendes Studienergebnis: 1000 Ladestationen könnten fast gesamten E-Lkw-Verkehr in Europa abdecken
- Weniger, aber leistungsstarke Ladestationen für eine schnelle Umstellung
- Strategisch geplantes Ladenetz sorgt für schnellere Umsetzung
Bei der Elektrifizierung des Schwerlast-Fernverkehrs auf deutschen und europäischen Straßen gehen die Meinungen der Experten auseinander. Mehrheitlich sind sie der Ansicht, dass das aufgrund der mangelnden Reichweiten der Akkus und zu wenig vorhandener Ladeinfrastruktur aktuell kaum möglich erscheint bzw. noch Jahre von einer Realisierung entfernt ist. Nun liefert eine gemeinsame Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) und von Amazon wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der optimalen Anzahl und Standorte öffentlicher Schnellladestationen für den Langstrecken-Lkw-Verkehr in Europa. Auf Grundlage des berechneten Verkehrsaufkommens für 2030 und 1,6 Mio. Lkw-Fahrten analysiert die Studie mithilfe des Open-Source-Tools „Chalet“ von Amazon 20.000 potenzielle Standorte für Lkw-Ladestationen entlang europäischer Autobahnen. Chalet wurde erst im September letzten Jahres von Amazon vorgestellt und zielt darauf ab, die Standortwahl für elektrische Ladestationen für schwere Nutzfahrzeuge zu optimieren. Es berücksichtigt Faktoren wie Verkehrsströme, Fahrzeugreichweite und Fahrtzeiten, um vorrangige Standorte für E-Lkw-Ladepunkte zu ermitteln und so den Übergang zu einem nachhaltigen Verkehrssektor zu beschleunigen.
EU legte Mindestziele für den Ausbau der Ladeinfrastruktur fest – aber zu hoch
Um die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor im Allgemeinen und schwerer Lkw im Besonderen zu verringern, müssen alle EU-Mitgliedstaaten in den kommenden Jahren eine Infrastruktur für alternative Kraftstoffe aufbauen. Dazu gehört auch der Ausbau der öffentlichen Schnellladeinfrastruktur für Lkw entlang von Autobahnen. Eine EU-Verordnung legt bereits konkrete Mindestziele für die öffentliche Lkw-Ladeinfrastruktur für alle EU-Mitgliedstaaten fest: So soll es in Deutschland bis 2030 insgesamt rund 300 Lkw-Ladestationen geben, europaweit mehr als 2000. Angesichts der begrenzten Reichweite von batterieelektrischen Lkw im Vergleich zu Diesel-Lkw stellt sich die Frage, wie viele Schnellladestationen in Europa benötigt werden.
Bislang gibt es allerdings erst wenig Erkenntnisse über optimale Ladestandorte für den Lkw-Fernverkehr in Europa. Die Studie hat daher auf Basis von Berechnungen des europäischen Lkw-Verkehrsaufkommens im Jahr 2030, öffentlich zugänglicher Standorte in Europa und existierender Lkw-Haltestellen ein optimiertes Lkw-Ladenetz entwickelt, das den erwarteten Ladebedarf mit einer Mindestanzahl an Ladestationen deckt. Die Studie berücksichtigt auch Kapazitätsbeschränkungen im Hinblick auf Platzverfügbarkeit sowie Netzanschluss und berechnet einen optimierten, schrittweisen Netzausbau entlang der Strecken mit der höchsten Nachfrage in Europa.
Überraschendes Studienergebnis: 1000 Ladestationen könnten fast gesamten E-Lkw-Verkehr in Europa abdecken
Die Ergebnisse zeigen, dass bei einem Anteil von 15 % batteriebetriebener Lkw im Fernverkehrsbestand 1000 optimal ausgewählte Ladestationen verteilt über Europa 91 % des E-Lkw-Fernverkehrs abdecken könnten, 500 Stationen etwa die Hälfte des Verkehrs. Das ist überraschend, da die Anzahl der in der Studie vorgeschlagenen Standorte geringer ausfällt als die EU-Mindestinfrastrukturziele. Bei ihren Berechnungen gingen die Autoren konservativ vor: Sie gingen von keiner Möglichkeit einer Ladeinfrastruktur auf eigenen Betriebsflächen aus und legten eine Praxisreichweite von nur 400 km zugrunde, die einige neue Batterie-Lkw-Modelle bereits heute überschreiten.
Weniger, aber leistungsstarke Ladestationen für eine schnelle Umstellung
Was die optimalen Standorte für Lkw-Ladestationen in Europa anbelangt, empfiehlt die Studie, den Fokus auf stark befahrene Strecken an wichtigen Verkehrsknotenpunkten zu legen. Wenn das Ladenetz später ausgebaut wird, können sukzessive Standorte auf weniger stark befahrenen Strecken hinzukommen.
„Die Ergebnisse zeigen, dass sogar weniger Ladestandorte als von der Europäischen Union gefordert, fast den gesamten europäischen E-Lkw-Verkehr abdecken würden“, erläutert Patrick Plötz, Leiter des Geschäftsfelds Energiewirtschaft am Fraunhofer ISI und Studienautor. „Diese neuen Standorte müssen aber eine ausreichende Netzleistung haben, wobei einige eine Kapazität von bis zu 12 MW benötigen werden, um bis zu 20 MCS-Anschlüsse versorgen zu können.“ (MCS = Megawatt Charging System/Anm. d. Red.) Dies verdeutliche laut Plötz die Herausforderungen beim Energiebedarf und der Netzinfrastruktur, die die Elektrifizierung des europäischen Lkw-Güterfernverkehrs mit sich bringt. „Mehrere europäische Regierungen arbeiten aber bereits aktiv an genau diesen Herausforderungen.“
Strategisch geplantes Ladenetz sorgt für schnellere Umsetzung
Plötz kommt zu dem Schluss, dass ein strategisch geplantes Netz auf der Grundlage von Megawatt-Ladestationen die Verbreitung batteriebetriebener Lkw in Europa stark fördern könnte: „Unsere Untersuchung legt nahe, dass Industrie und Politik die weitere Entwicklung und Einführung von Megawatt-Ladesystemen wie MCS beschleunigen müssen. Denn dies ermöglicht etwa Logistikunternehmen, die keine Möglichkeit zum Depotladen haben, ihre Flotten zu elektrifizieren. Durch öffentliche MCS-Stationen könnten Herausforderungen etwa bei der Stromversorgung oder durch den Erwerb entsprechender Immobilien vermieden werden, die oft eine große Hürde für die Anschaffung von batteriebetriebenen Lkw sind.“
Dem stimmt auch René Große-Vehne, Geschäftsführer Güterverkehr-Management beim Logistikdienstleister Große-Vehne, zu. Er würde einen Teil seiner 1200 Fahrzeuge umfassenden Lkw-Flotte gerne elektrisieren: „Als verantwortungsvoll handelnder Logistikdienstleister stellen wir uns aktiv der Antriebswende und sind bereit, unseren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Aber: Wenn wir Elektro fordern, muss auch eine Infrastruktur aufgebaut werden, sonst wird es nicht funktionieren.“