INFRASTRUKTUR 28. Jun 2019 Fabian Kurmann Lesezeit: ca. 2 Minuten

Erfahrungen aus einer Stadt mit Seilbahn

Stephan Anemüller, Mediensprecher des Kölner Verkehrsbunds (KVB) und stellv. Vorsitzender des Lenkungskreises Schienenverkehr beim VDI, sieht ungenutztes Potenzial im Verkehrsmittel Seilbahn.

Stephan Anemüller: „Größtes Risiko bei Seilbahnen ist die Windabhängigkeit. Ab 16 m/s beginnen die Gondeln zu wackeln.“
Foto: J. Neumann

VDI nachrichten: Herr Anemüller, fast alle deutschen Seilbahnen in Städten entstanden als Attraktion für Touristen während einer Bundesgartenschau. Das gilt für Ihre Stadt Köln, für Koblenz sowie für das Projekt in Berlin. Wie kommt man auf die Idee, eine Seilbahn im Stadtverkehr einzusetzen?

Anemüller: Der große Vorteil einer Seilbahn ist, der Punkt-Punkt- sowie der Punkt-Punkt-Punkt-Verkehr. Sie können mit einer hohen Regelmäßigkeit fahren, denn der Abstand der Kabinen ist fest. Die Beförderungskapazität ist zwar spürbar kleiner als bei Stadt- und U-Bahnen, aber in der Anbindung von solitären Quell- und Zielgebieten eventuell genau passend. Seilbahnen umgehen jede Gefahr von Stau, Unfällen und kreuzenden Verkehren. Allerdings wäre die Kölner Seilbahn mit vier Fahrgästen pro Gondel und 800 Fahrgästen pro Richtung und Stunde für den Nahverkehr in einer Großstadt dann doch zu klein dimensioniert.

 In welchen Szenarien ist eine Seilbahn im öffentlichen Nahverkehr sinnvoll?

Seilbahnen können Sinn machen, um solitäre Neubaugebiete an das bestehende Verkehrsnetz anzubinden. Bei der Wahl des Verkehrsmittels ist z. B. die Bauzeit ein Faktor. Vom Beschluss einer Schienenerweiterung bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Strecke zur Verfügung steht, vergehen oft zehn bis 15 Jahre oder mehr. Bis dahin haben sich die meisten schon an das Pendeln mit dem Auto gewöhnt. In Berlin wird beispielsweise pro Jahr unter 1 km an Bahnstrecke ausgebaut. Die Seilbahn wäre da deutlich schneller. Eingedenk der örtlichen Situation und der hieraus resultierenden Anforderungen müsste sich ein solches Projekt in Zeiträumen von deutlich unter zehn Jahren realisieren lassen.

Wie teuer wird denn eine Seilbahn im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln?

Eine Seilbahn braucht vergleichsweise wenig Fläche: die Grundstücke für die Stationen und ein paar Quadratmeter für die Pylone. Bei einer Schienenstrecke kommen zur großen Fläche noch Signale, Kabel und Gleise hinzu, so dass Schienenprojekte im Einzelfall bis zu zehnmal mehr kosten als eine Seilbahn. Eine U-Bahn ist mindestens 50-mal teurer. Der Anteil an klassischen Unterhaltungsinvestitionen kann bei der Seilbahn mit 15 % bis 25 % des Gesamtaufwandes veranschlagt werden. Bei Schienenbahnen, insbesondere bei U-Bahn-Systemen, ist der Unterhaltungsaufwand über den langen Zeitraum deutlich höher.

Es gibt aber nicht nur Vorzüge bei Seilbahnen, oder?

Nein, das größte Risiko ist die Windabhängigkeit. Die Betriebsordnung Seil gewährt den Betrieb bis zu einer Windgeschwindigkeit von maximal 16 m/s. Dann beginnen die Gondeln zu wackeln und das Fahrwerk kann sich verkanten. Entgleisung ist weniger ein Thema. Für das Jahr 2014 gehen wir von einen Wert von etwa 30 Tagen aus, an denen es Ausfälle bei der Kölner Seilbahn gab. 2015 mussten wir wegen Aufarbeitung einer windbedingten Havarie schon ab 12 m/s den Betrieb einstellen. In dem Jahr wurde daher an 17 Tagen der Betrieb komplett eingestellt, an 110 Tagen gab es einen Stillstand von mindestens einer Stunde. Im Schienenverkehr ist die Einstellung des Betriebs im gesamten Netz äußerst selten. Hier sind es eher viele punktuelle Störungen aus diversen Ursachen und deren Auswirkungen auf verschiedene Linien, die die Qualität beeinflussen.

Warum stehen noch so wenige Seilbahnen in Deutschland?

Zum einen sind die Menschen Seilbahnen nur als Ausflugsziel gewöhnt. Zum anderen gab es früher üppige GVFG-Mittel (Anm. d. Red.: Förderungsmittel des Bundes durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz). Die Fördertöpfe sind mittlerweile deutlich kleiner geworden. Es bräuchte eine Stadt, die ein Projekt als Vorbild umsetzt. Meine persönliche Prognose ist, dass es ÖPNV-Seilbahnprojekte in den nächsten Jahren in Deutschland geben wird. Städte wie Rio de Janeiro und Barcelona machen es international schon vor.

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