Neuer Flugzeugantrieb 22. Nov 2021 Von Iestyn Hartbrich Lesezeit: ca. 4 Minuten

Hecktriebwerk für mehr Schub

Mit einem ungewöhnlichen Antriebskonzept – der Grenzschichteinsaugung – können Verkehrsflugzeuge Treibstoff sparen. Die Technologieentwicklung ist so logisch wie verwegen.

Comeback-Kandidat: Heckantriebe waren in den 1980er-Jahren verbreitet. Die nun erforschten Technologien haben mit den damaligen Antrieben allerdings kaum etwas gemeinsam. Bild: Bauhaus Luftfahrt e.V.

Wenn sich ein Flugzeug durch die Atmosphäre schiebt, reibt es an den Gasmolekülen der Umgebung. Der zigarrenförmige Rumpf beschleunigt die Luft, sodass sich ringsum eine annähernd parallele Strömung ausbildet – die Grenzschicht im Luftfahrtjargon. Die Bewegungsenergie dieser Strömung geht bei heutigen Verkehrsflugzeugen verloren, indem sie im Nachlauf hinter dem Flugzeug zurückbleibt.

Die Verluste sind erheblich. Der Reibungs- und Formwiderstand macht zwei Drittel des Gesamtwiderstands aus. Die Hälfte davon entfällt auf den Rumpf, sodass Verkehrsflugzeuge zwischen 25 % und 30 % des Schubs allein darauf verwenden müssen, den Rumpfwiderstand auszugleichen.

Effiziente Schubproduktion

Die Idee, die Bewegungsenergie der Grenzschicht als Energiequelle anzuzapfen, liegt deshalb nahe. Eine Reihe von europäischen Forschungseinrichtungen und Luftfahrtkonzernen hat nun in den vergangenen dreieinhalb Jahren im Projekt „Centreline“ Antriebstechnologien erarbeitet, die die Grenzschicht bewusst einsaugen. Projektkoordinator Arne Seitz von der Forschungseinrichtung Bauhaus Luftfahrt beschreibt die Grundidee so: „Das Flugzeug kann den Schub effizienter produzieren, wenn es sich gegen bereits beschleunigte Luft abstößt.“

Die Centreline-Technologien sind auf ein Langstreckenflugzeug mit 340 Passagieren und 6500 nautischen Meilen Reichweite (12 000 km) zugeschnitten. „Je länger die Strecke, desto mehr lohnt sich das Gewicht dieses zusätzlichen Antriebs“, sagt Seitz. Die Beteiligten haben den Antrieb bis zum TRL3 (technology readiness level) weiter entwickelt; das entspricht einem Machbarkeitsnachweis.

4,7 % weniger Treibstoff

Die Teams haben zunächst einen Jet ähnlich dem Airbus A330 modelliert, allerdings auf einem Stand, wie er für das Jahr 2035 zu erwarten wäre. Das bedeutet: Für sämtliche Flugzeugkomponenten sind Effizienzsteigerungen angenommen worden, insgesamt würde das Flugzeug ein Drittel weniger Kraftstoff verbrauchen als ein im Jahr 2000 in Dienst gestelltes Flugzeug.

In einem zweiten Schritt wurde dieses Referenzflugzeug „Stand 2035“ mit einem Jet verglichen, der um einen Heckantrieb ergänzt wurde. Demnach würde die Maßnahme eine Effizienzsteigerung von 4,7 % bedeuten – aber auch einen enormen Entwicklungsaufwand.

Die Idee, Flugzeuge mit einem dritten Antrieb am Heck auszurüsten, ist nicht neu, nur stark aus der Mode gekommen. Die meisten noch operativen dreistrahligen Flugzeuge befördern heute Pakete, keine Passagiere. Am häufigsten ist noch die MD-11 im Einsatz, die bis ins Jahr 2000 gebaut wurde.

Mit den bisherigen Heckantrieben hat der Centreline-Antrieb nicht viel gemeinsam. Den Herstellern der frühen dreistrahligen Maschinen ging es schlicht darum, die Antriebsleistung durch ein drittes Triebwerk zu steigern. Auf die Grenzschicht zielten sie nicht ab, im Gegenteil: Die Interaktion mit dieser Strömung sollte möglichst vermieden werden. Der Antrieb war häufig oberhalb des Rumpfs und unterhalb des Seitenruders montiert, sodass allenfalls ein Bruchteil der Grenzschicht den Fan erreichte.

Der Centreline-Antrieb hingegen ist darauf ausgelegt, möglichst die komplette Grenzschicht einzusaugen. Er umfasst das Heck deshalb vollständig (s. Abb. unten).

Turboelektrischer Antrieb

Der Heckantrieb funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die Triebwerke unter den Flügeln. Ein Rotor – der sogenannte Fan – saugt Luft in das Triebwerk, um das Flugzeug per Rückstoßprinzip daran abzudrücken. Anders als die Triebwerke an den Flügeln ist das Triebwerk am Heck turboelektrisch. Es handelt sich also nicht um eine Verbrennungsmaschine, sondern um einen elektrischen Antrieb, der über Generatoren in den seitlichen Triebwerken mit Strom versorgt wird. Die einzige Energiequelle an Bord ist der Treibstoff im Tank.

Im Centreline-Projekt wurden die Technologien für ein Langstreckenszenario mit 12 000 km Reichweite und 340 Passagieren entwickelt. Der Fan des Hecktriebwerks wird elektrisch angetrieben. Foto: Bauhaus Luftfahrt e.V.

Die Frage nach der optimalen Schubverteilung war ein entscheidender Forschungsgegenstand im Centreline-Projekt. Die Bewegungsenergie in der Grenzschicht spricht dafür, möglichst viel Schub mit dem Heckantrieb zu generieren. Dem wirken mehrere Effekte entgegen. Erstens bedeutet der dritte Antrieb mitsamt der Gondel und den turboelektrischen Aufbauten zusätzliches Gewicht. Zweitens basiert der Heckantrieb des Centreline-Projekts auf einer Energiewandlung (Generator) und damit auf einer zusätzlichen Verlustquelle. Weitere Verluste treten in den elektrischen Leitern auf. Das Optimum im Centreline-Projekt: 25 % der Leistung entfallen auf den Heckantrieb, je 37,5 % auf die Antriebe unter den Flügeln.

Komplizierte Mechanik

Mechanisch betrachtet ist der Heckantrieb ein Problem. Der Fanrotor ist eine beschaufelte Scheibe, die sich rasend schnell dreht, ähnlich einer Kreissäge. Die Herausforderung besteht darin, die Lasten, die hinter dem Fan anliegen, in der Flugzeugstruktur vor dem Fan abzustützen. Ein Auslegungskriterium ist beispielsweise die harte Landung. Bei Centreline ist das Leitwerk vor dem Fan untergebracht, sodass immerhin die Lasten aus der Lenkung nicht abgestützt werden müssen.

Der Lastpfad führt über ein Rohr oder eine hohle Achse im Innern der Fannabe. Der Fanrotor mitsamt dem Elektromotor dreht sich also um dieses Rohr.

Auch die Aerodynamik ist kompliziert. Die am Projekt beteiligte TU Delft hat unter anderem untersucht, welchen Effekt das Leitwerk auf die Strömung vor dem Fan hat. Der Antrieb muss auch einen extremen Schiebewinkel verkraften, wenn zum Beispiel eines der Flügeltriebwerke ausfällt.

Synergien mit Wasserstoffantrieb

Viel Arbeit wäre nötig, um aus den Centreline-Ergebnissen Flughardware zu machen – geschweige denn ein marktfähiges Produkt. Ob 4,7 % Treibstoffeinsparungen den Aufwand rechtfertigen, ist noch unklar. Fest steht: Es wird immer schwieriger, deutliche Verbesserungen aus dem Flugzeug herauszukitzeln.

Das ausschlaggebende Argument für die Grenzschichteinsaugung könnte darin liegen, dass sie sich mit anderen zu erwartenden Eingriffen in das Flugzeug kombinieren lässt. Beispielsweise steigt durch jede Optimierung des Flügels die Relevanz des Rumpfwiderstands.

Auch neue Antriebstypen könnten laut Seitz den Heckantrieb begünstigen. Beispiel Wasserstoff: Wegen der geringen Dichte steht zu erwarten, dass die Tanks größer werden und die Rümpfe breiter. In der Folge würden die Verluste am Rumpf zunehmen und Ausgleichsmaßnahmen attraktiver erscheinen.

Der mitgeführte Wasserstoff ließe sich auch nutzen, um den Fan des Heckantriebs anzutreiben. Denkbar wäre erstens, dass eine Brennstoffzelle die elektrische Energie bereitstellt. Zweitens könnte der Heckantrieb auch mit einer Brennkammer ausgerüstet werden, in die Wasserstoff aus einem Tank in der Nähe des Rumpfhecks eingeleitet wird.

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