Luftfahrtgeschichte 25. Aug 2022 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 4 Minuten

Der Exodus der irakischen Juden nach Israel begann in einem klapprigen Transportflugzeug

Vor 75 Jahren schaffte der Geheimagent Schlomo Hillel in einer Curtiss C-46 Commando 50 jüdische Teenager aus dem Irak. Operation Michaelberg war der Vorläufer zu einer gigantischen Luftbrücke nach Israel.

Eine Curtiss C-46 Commando der israelischen Luftfahrtgesellschaft El Al, fotografiert wenige Jahre nach der Gründung des Staates Israel. Eine Maschine dieses Typs war an Operation Michaelberg beteiligt.
Foto: El Al Archive - Marvin Goldman Collection/public

Naomi Kaschi war 16 Jahre alt, als sie auf dem nächtlichen Rollfeld von Bagdad zum ersten Mal ein Flugzeug sah. Das silbrig schimmernde Transportflugzeug vom Typ Curtiss C-46 Commando sollte sie und weitere 49 jüdische Teenager im August 1947 nach Palästina bringen, wo ein halbes Jahr später der Staat Israel gegründet wurde.

Arrangiert hatte den Flug Schlomo Hillel, Agent der Untergrundorganisation Mossad le Alija Bet, die sich der Auswanderung von Juden aus den arabischen Ländern verschrieben hatte. Der 24-Jährige hatte bereits ein Jahr im Geheimen in Bagdad gelebt, um irakische Juden nach Palästina zu schleusen.

Dem Exodus ging ein Pogrom in Bagdad voraus

Seit den 1930er-Jahren hatten sich die Spannungen zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten verschärft. Im Jahr 1941 waren bei einem Pogrom in Bagdad fast 200 Juden ermordet und viele weitere misshandelt und vergewaltigt worden. Für die Juden im Irak verhieß die Ausreise in die jüdischen Siedlungsgebiete Palästinas Schutz und Sicherheit.

Deutsche Luftwaffe übt über der israelischen Wüste

Doch sie standen vor einem doppelten Hindernis: Die irakische Regierung hatte ihnen die Ausreise verboten und die britischen Mandatsherren hatten Palästina für die Zuwanderung von Juden gesperrt. Hillel beschrieb seine zwei großen Herausforderungen so: „Erstens, Leute aus dem Irak herauszuschmuggeln, und zweitens, sie nach Palästina hineinzuschmuggeln.“ Wagemutige, die einzeln oder in kleinen Gruppen von Hillel mit gefälschten Papieren über den Iran auf den Weg geschickt wurden, wurden häufig gefasst oder kamen in der Wüste ums Leben. Hillel frustrierten die Fehlschläge so sehr, dass er Bagdad verließ, um wieder im Kibbuz auf dem Feld arbeiten zu können.

Zwei US-Piloten mit einer C-46 boten ihre Hilfe für den Menschenschmuggel nach Palästina

Doch Schlomo Hillel boten sich völlig neue Chancen, als zwei US-Piloten auftauchten. Der Zweite Weltkrieg war zwei Jahre zuvor zu Ende gegangen. Leo Vessenberg und sein Co-Pilot mit Vornamen Michael suchten wie viele andere Militärpiloten händeringend eine neue Beschäftigung. Billig zu haben waren auch die Transportflugzeuge, die die bis Kriegsende auf Hochdruck laufende Kriegswirtschaft der USA produziert hatte. Dazu zählte die Curtiss C-46 Commando, die die beiden Piloten mitgebracht hatten. Im letzten Kriegsjahr in großen Stückzahlen produziert, brachten diese Maschinen US-Fallschirmjäger über den Rhein, flogen Treibstoff über den Himalaja und Offiziere auf abgelegene Pazifikinseln im Pazifik.

Eine Curtiss C-46 Commando der US-Luftstreitkräfte im Jahr 1943 während der Erprobung auf einer Insel im Südpazifik. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fanden viele den Weg in die zivile Luftfahrt. Foto: Staff Sargent C.L. Smith/public domain

Ende August landete die C-46 mit Hillel an Bord in Bagdad, der sich als Besatzungsmitglied ausgab. Zu Ehren seiner Piloten hatte Hillel die Mission in einer Kombination ihrer Vor- und Nachnamen „Operation Michaelberg“ genannt. Der rund dreistündige Schmuggelflug musste bei Nacht geschehen: In Bagdad konnten die Jugendlichen nur heimlich an Bord gebracht werden, in Palästina sollte die Maschine im Schutze der Dunkelheit landen, um nicht von den britischen Behörden entdeckt zu werden. Hillel hatte zunächst mit den Piloten nach abgelegenen Flugfeldern in der Nähe Bagdads gesucht. Doch eine Erkundung des Flugplatzes der irakischen Hauptstadt brachte ihn auf eine andere Lösung: „Wenn wir unsere Leute am Ende der Rollbahn ins Flugzeug bringen konnten, während die Motoren mit ohrenbetäubendem Lärm warmliefen und die Scheinwerfer des Flugzeuges jeden, der sich von vorne näherte, blendeten, so war unser Problem gelöst“, schrieb Hillel viele Jahre später. Die Jugendlichen würden über den Zaun des Flughafens klettern, sich am Rande der Piste auf den Boden legen, um nicht von den Flügeln oder Propellern getroffen zu werden, und dann bei einem kurzen Halt an Bord klettern.

In der Nacht des 20. August 1947 brachten Pkw die 50 Angehörigen der zionistischen Jugendorganisation zum Flugplatz. Das Taxi mit dem Teenager Naomi Kaschi hätte fast den Abflug verpasst, weil es erst eine Kamelherde passieren lassen musste. Doch nach einem Spurt über das Rollfeld erreichte die kleine Gruppe doch noch das wartende Flugzeug.

Der Flug mit der C-46 Commando entging den Behörden des Irak und Großbritanniens

Bei Sonnenaufgang landete die C-46 mit dem durchgefrorenen Mädchen an Bord auf einem Acker der jüdischen Siedlung Jabneel südlich des Sees Genezareth. Naomi Kaschi und die anderen Jugendlichen kletterten auf zwei Lkw, die sie in die umliegenden Dörfer brachten. Die Piloten kassierten einen dicken Umschlag mit Goldmünzen, die sie als Honorar für ihre riskante Mission ausgehandelt hatten. Hillel fand seinen Grundsatz für Geheimoperationen bestätigt: „Dass ein gewagtes direktes Unternehmen unmittelbar vor der Nase des Feindes sehr oft weniger gefährdet ist als mühsame Anstrengungen, seiner Aufmerksamkeit zu entgehen.“ Vessenberg und Mike wagten sich vier Wochen später ein weiteres Mal nach Bagdad, ohne dies mit Hillel abgesprochen zu haben. Auch diesmal brachten sie 50 Flüchtlinge nach Palästina.

Schlomo Hillel (l.) als Polizeiminister mit Offizieren der israelischen Polizei. Rechts: Dov Goldberg

Operation Michaelberg gab eine Vorahnung, zu welchen Leistungen die mit veraltetem Fluggerät aus obskuren Quellen ausgestatteten israelischen Luftstreitkräfte im Unabhängigkeitskrieg in der Lage sein sollten. Es war das erste Mal gewesen, dass arabische Juden auf dem Luftweg in das spätere Israel gelangten.

Schlomo Hillel verhandelte die Luftbrücke mit der irakischen Regierung

Vier Jahre später nahmen die Flüge aus dem Irak ganz andere Dimensionen an: Nach der Niederlage der arabischen Staaten im israelischen Unabhängigkeitskrieg wurde die Situation der Juden im Irak so unerträglich, dass Schlomo Hillel in den Irak flog, um die Ausreisen zu organisieren. Getarnt als britischer Manager einer Fluggesellschaft verhandelte er mit der irakischen Regierung stets in Furcht, von seinem Cousin erkannt zu werden, der als Sprecher der irakischen Juden mit in der Runde saß. In den Jahren 1951 und 1952 brachten Passagiermaschinen mehr als 120 000 Jüdinnen und Juden aus dem Irak nach Israel.

Das weihnachtliche Waffengeschäft mit Israel

Der hochbetagte Hillel war 2017 dabei, als südlich Haifas eine Gedenkstätte für Operation Michaelberg eingeweiht wurde. Mittelpunkt ist ein restauriertes Flugzeug vom Typ C-46. „Ich bin heute Abend genauso aufgeregt wie damals vor 70 Jahren, als wir auf dem umgepflügten Acker in Jabneel landeten“, versicherte der 94-Jährige seinem Publikum, zu dem auch einige seiner Schützlinge von damals und ihre Familien gehörten.

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