Fertigungstechnik 05. Mai 2022 Von Stefan Asche Lesezeit: ca. 3 Minuten

Augmented Reality kann Optimierung der Produktion hemmen

Mitarbeitende, die über spezielle Brillen visuelle Montageanleitungen bekommen, machen weniger Vorschläge zur Verbesserung ihrer Arbeitsschritte.

Wer genau angezeigt bekommt, was er tun soll, hinterfragt die Produktionsschritte nicht länger.
Foto: panthermedia.net/ ekkasit919

Beschäftigte in der Industrie können deutlich schneller produzieren, wenn sie über Augmented-Reality-Brillen angeleitet werden. Allerdings verinnerlichen sie ihre Aufgaben weniger als Arbeiterinnen und Arbeiter, die analog eingearbeitet werden. Entsprechend können sie weniger zur Verbesserung der Produktionsprozesse beitragen. Das zeigt eine internationale Studie. Durchgeführt wurde sie von der TU München, der University of Wisconsin-Madison und dem Landeskrankenhaus Mainz. Die gewonnenen Erkenntnisse können Unternehmen helfen, Augmented-Reality-Anwendungen auf ihre Bedürfnisse zuzuschneiden sowie zwischen Produktivität und Prozessoptimierung abzuwägen.

Um zu erkennen, ob sich Investitionen in AR-Geräte innerhalb von Produktionsunternehmen auszahlen, hat das Forschungsteam untersucht, wie schnell Beschäftigte neue Aufgaben mit und ohne AR-Unterstützung ausführen. Ferner wurde untersucht, ob die Komplexität der Aufgaben dabei eine Rolle spielt und wie der AR-Einsatz die Fähigkeit der Nutzerinnen und Nutzer beeinflusst, Prozessoptimierungen vorzuschlagen. 50 Probanden und Probandinnen wurden in zwei neue, unterschiedlich schwierige Aufgaben bei der Produktion von Elektronikgeräten eingewiesen. Die Hälfte erhielt die Anleitung auf Papier, die andere Gruppe über eine AR-Brille. Anschließend mussten beide Gruppen die Aufgaben zuerst mit und dann ohne Anleitung bewältigen. In einem zweiten Schritt waren alle Teilnehmenden aufgefordert, Verbesserungsvorschläge zu machen, um die Produktionsprozesse zu optimieren. Anschließend wurden diese Vorschläge von Experten des Unternehmens bewertet.

Produktivität kann deutlich erhöht werden

Die Studie zeigt, dass die Produktivität in der produzierenden Industrie durch den Einsatz von Augmented Reality deutlich erhöht werden kann. Beschäftigte, die die schwierige Aufgabe mit AR-Brillen meisterten, benötigten dafür im Vergleich zur Kontrollgruppe fast 44 % weniger Zeit. Bei der einfachen Aufgabe betrug der Zeitunterschied immer noch gut 15 %. Allerdings zeigte sich auch, dass die Probanden und Probandinnen der AR-Gruppe die Aufgabe offenbar weniger durchdrungen hatten als ihre analog angeleiteten Kolleginnen und Kollegen. Bei der Wiederholung der komplexen Aufgabe ohne Hilfsmittel waren sie langsamer und brauchten 23 % mehr Zeit als die andere Gruppe.

Technik macht blind

„Wer sich zu sehr auf die Technik verlässt, verarbeitet die Informationen nicht so tiefgreifend und erzielt geringere Lerneffekte“, sagt Studienleiter David Wuttke, Professor für Supply Chain Management an der TU München. „Das ist bei Augmented-Reality-Geräten ganz ähnlich wie bei Navigationsgeräten im Auto. Wer mit Navi durch eine fremde Stadt fährt, kann sich dort ohne dieses Gerät beim nächsten Mal kaum orientieren.“

VR-Brillen: Booster fürs virtuelle Erleben

Der zweite Teil der Analyse zeigt, dass sich der Einsatz von Augmented-Reality-Brillen entsprechend negativ auf das Innovationspotenzial auswirkt. Die Beschäftigten, die mit Papieranleitungen produzierten, machten anschließend deutlich hilfreichere Verbesserungsvorschläge als die AR-Gruppe. „Die Ergebnisse legen nahe, dass das Augmented-Reality-Gerät als Krücke diente, aber bei den Menschen zu keinem tieferen Verständnis der Aufgabe führte und sie infolgedessen auch wenig zur Prozessoptimierung beitragen konnten“, so Wuttke.

Imperfektion könnte hilfreich sein

Den größten Nutzen aus der Augmented-Reality-Technologie, so schlussfolgern die Forschenden, ziehen derzeit Branchen mit einer hohen Taktfrequenz in der Produktion, in der die Prozessoptimierung abgeschlossen ist oder keine große Rolle spielt. Firmen, die auf eine ständige Weiterentwicklung ihrer Produkte setzen, profitieren dagegen weniger von AR. „Für diese Branchen könnte eine hybride Form oder eine intelligente Gestaltung der Augmented Reality die Lösung sein“, sagt Wuttke. „Beispielsweise könnten die Anwendungen so programmiert werden, dass sie gezielte Fragen stellen – oder dass die Anleitungen sogar absichtlich unperfekt sind, um zum Nachdenken anzuregen.

Metaversum: die Evolution des Internets

Eine andere Möglichkeit wäre, dass ein Teil der Beschäftigten mit AR-Brillen für eine hohe Produktivität sorgt, während ein anderer Teil analog angeleitet produziert und so weiter an besseren Produktionsabläufen arbeitet.“ Wie diese Ansätze tatsächlich in der Produktion funktionieren, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter erforschen. Wuttke betont: „Augmented Reality kann Unternehmen enorm voranbringen – wenn man weiß, was man mit der Technologie bewirkt.“

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