Automobilindustrie sollte Vorteile in Ostdeutschland nutzen
In Ostdeutschland eröffnen sich hervorragende Bedingungen für die Produktion von Elektromotoren. Außerdem lässt die Ansiedlung von Tesla die Entstehung eines Elektromobilitätsclusters in Berlin/Brandenburg erahnen. Damit nicht genug der Vorteile, die der Osten bietet, so Forschende von Fraunhofer.
Die Automobilindustrie ist die wirtschaftsstärkste im verarbeitenden Gewerbe Deutschlands. Auch international ist die deutsche Automobilbranche gut aufgestellt: In Europa steht Deutschland unter den Herstellerländern an erster Stelle, weltweit zählt es zu den Top fünf. Das betonen Forschende des Fraunhofer ISI und des Fraunhofer IMW vor dem Hintergrund einer Studie, die die Entwicklung der deutschen Automobilindustrie in den Blick nimmt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten, wie die Branche derzeit aufgestellt und inwiefern sie von Transformationen wie Digitalisierung, Globalisierung, Klimapolitik und demografischem Wandel betroffen ist.
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Ein Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf Ostdeutschland. Dort haben sich nur einzelne OEMs mit reinen Produktionsstätten niedergelassen, während sich bundesweit Automobilhersteller und Zulieferindustrien vor allem im Westen und insbesondere im Süden des Landes konzentrieren. Obwohl der Wirtschaftsstandort Ostdeutschland von einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, einem starken Lohngefälle zu Westdeutschland, insgesamt relativ wenigen Produktionsstätten und vor allem keinem einzigen Unternehmenssitz eines OEMs geprägt ist, konnten die Forschenden dennoch einige Standortvorteile identifizieren.
„Hohe Akzeptanz der Automobilindustrie in der ostdeutschen Bevölkerung“
So zeichne sich die ostdeutsche Automobil- und Zulieferindustrie durch einen geringen Lock-in, das heißt eine geringe Pfadabhängigkeit von der Entwicklung des Verbrennungsmotors aus – was sich daran zeige, dass viele OEMs die Produktion hier bereits teilweise oder vollständig auf Elektromotoren umgestellt haben. Die Ansiedlung des amerikanischen Autobauers Tesla lasse die Entstehung eines Elektromobilitätsclusters in Berlin/Brandenburg erahnen. „Diese Entwicklungen werden begünstigt durch die hohe Akzeptanz der Automobil- und Zulieferindustrie in der ostdeutschen Bevölkerung und die stabile Stellung der Chemiebranche im mitteldeutschen Chemiedreieck“, heißt es in der Studie.
Deutschlandweit waren demnach im Jahr 2018 rund 940 000 Menschen in der Automobilindustrie tätig, bei den Kernzulieferern 260 000 Menschen. 7 % dieser Werte entfallen auf Ostdeutschland. Der Anteil an Vollzeitbeschäftigung ist hoch, ebenso die Bruttowertschöpfung mit mehr als 100 000 € pro Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer.
„Auffällig ist der geringe Anteil weiblicher und ausländischer Mitarbeitenden in der Branche in Ostdeutschland. Ebenso lässt sich feststellen, dass sich die Stellen der Fach- und Sachverständigen, insbesondere IT-Fachkräfte, vor allem im Westen konzentrieren“, heißt es weiter. Ähnlich sieht es mit den Ausbildungsmöglichkeiten aus. „Dies könnte erklären, weshalb der Anteil der jungen Beschäftigten im Westen höher ist. Dahingegen gibt es in Ostdeutschland mehr Weiterbildungsangebote im Verhältnis zur Einwohnerzahl.“
Automobilindustrie steht vor immensen Herausforderungen
Die meisten Betriebe in der ostdeutschen Automobilindustrie sind kleine und mittlere Unternehmen. Die wettbewerbsstärkeren Großunternehmen konzentrieren sich in Westdeutschland ebenso wie die Investitionen für Forschung und Entwicklung.
Die Automobilindustrie ist nach Ansicht der Forschenden stärker als viele andere Branchen von Herausforderungen in den Bereichen Klimawandel, Rohstoffverfügbarkeit, Demografie und Innovationsdruck betroffen. Die Rahmenbedingungen durch den Europäischen „Green Deal“ oder das deutsche Klimaschutzgesetz stellen die Branche vor große Herausforderungen. „Bei der Produktion von Elektromotoren ergeben sich für die Branche besonders risikobehaftete Lieferbeziehungen für seltene Erden. Darüber hinaus müssen sich OEMs und Zulieferer gegen die während der Covid-19-Pandemie schnell wachsende Marktmacht internationaler Techkonzerne und asiatischer Zulieferunternehmen behaupten.“
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Betonung von Forschung sowie von Aus- und Weiterbildung
Der Aufbau regional geschlossener Wertschöpfungsketten im Sinne einer Kreislaufwirtschaft könne helfen, die Resilienz der europäischen Automobilindustrie gegen Verwerfungen zu erhöhen und gleichzeitig Ressourcen und Emissionen einzusparen. „Die Ansiedlung eines internationalen Elektromobilproduktionsclusters in Brandenburg kann in diesem Sinn die Abhängigkeit von volatilen Weltmärkten verringern.“
Weitere Handlungsempfehlungen der Fraunhofer-Forschenden für die Stärkung der deutschen und insbesondere ostdeutschen Automobil- und Automobilzulieferindustrie beinhalten unter anderem Subventionen für Forschungsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen sowie den Aufbau von Testfeldern für neuartige Mobilitätsmodelle. Sie heben die Bedeutung der Stärkung von Aus- und Weiterbildung beispielsweise mittels dualer Studiengänge ebenso hervor wie einen schnellen Ausbau von Ladeinfrastrukturen und des 5G-Netzes.