Blitzschnell sortiert
Eine von Europas modernsten Müllsortieranlagen steht in Iserlohn. Hier wird Verpackungsmüll vollautomatisch getrennt.
Ein Hauch von Vergorenem hängt über dem Gelände. Hier riecht es irgendwie organisch, leicht sauer wie feuchter Rindenmulch. Im Schritttempo fährt ein Müllwagen vorbei. Es piept durchdringend, als er den Rückwärtsgang einlegt und langsam in den Bunker zurücksetzt. Zügig kippt er seine gesamte Ladung in der Halle ab. Heute stammt sie von einer Sammlung aus den gelben Tonnen und Säcken, die in einer Gemeinde im Märkischen Kreis abgeholt wurden. Sie zählt wie viele andere Städte und Gemeinden zum Einzugsgebiet einer der modernsten Müllsortieranlagen Europas, die die Firma Lobbe in Iserlohn betreibt.
Lobbe Industrieservice
Als mittelständisches, familiengeführtes Unternehmen bietet Lobbe vielfältige Umweltdienstleistungen an.
Die Schwerpunkte liegen in den Bereichen Industrieservice, Abfallentsorgung, Wertstoffaufbereitung, Sanierung, Kanaldienstleistungen und Havariemanagement.
Bundesweit zählt Lobbe 1900 Beschäftigte an 42 Standorten. Lobbe erwirtschaftete im Jahr 2017 rund 300 Mio. € Umsatz.
Kaum ist der Müllwagen verschwunden, macht sich schon ein Radlader über die frisch angelieferten Verpackungen her. Gelb blinkt seine Warnleuchte, während er ohne Unterlass Berge von zerfetzter Plastikfolie, zusammengedrückten Getränkekartons und Joghurtbechern hin und her schaufelt. „Gut 40 Lkw laden hier Tag für Tag das ab, was etwa 3,5 Mio. Menschen an Verpackungen getrennt gesammelt haben. Übers Jahr sind das bis zu 95 000 t, die wir hier bearbeiten“, sagt Geschäftsführer Michael Wieczorek.
Eine Baggerschaufel voll mit blassgelben Säcken und bunt durcheinander gemischten Leichtverpackungen landet auf einem Förderband – und ab geht die Post. Blitzschnell saust die gesamte Ladung nach oben unters Hallendach, zielstrebig auf dem Weg zur ersten Station der Anlage: der Vorzerkleinerung.
Fakten zur Wertstoffanlage
Seit Januar 2015 werden in der Iserlohner Anlage pro Jahr bis zu 95 000 t Leichtverpackungen aus privaten Haushalten sortiert.
Rund 14 Mio. € wurde in die hochmoderne Anlage investiert. Die Quote der stofflichen Verwertung liegt bei rund 45 % des Inputs.
Neben Weißblech und Aluminium werden Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polystyrol (PS) und Polyethylenterephthalat (PET) sortenrein erfasst. Mischkunststoffe, die sich nicht weiter trennen lassen, wandern in die energetische Verwertung.
Über eine seitliche Treppe steigt Wieczorek auf seinem Rundgang durch die Anlage ebenfalls dorthin. Doch der eben aufgeladene Müll ist natürlich längst fort. Mehr als 100 Förderbänder mit einer Gesamtlänge von 1,2 km ziehen durch die Halle – sie transportieren das Material mit einer Geschwindigkeit von 3 m/s zu den einzelnen Sortierstationen. Gerade saust ein Turnschuh vorbei, dann eine Videokassette, dann eine benutzte Windel. „Da hat es ein Verbraucher mal wieder gut gemeint“, sagt Wieczorek bedauernd – denn solche Gegenstände seien klassische Fehlwürfe und hätten in der gelben Tonne nichts verloren.
Oben an der Vorzerkleinerungsstation werden die gelben Säcke und die Plastiktüten aus den Mülleimern automatisch aufgerissen. Der Inhalt fällt locker aufs nächste Band. Obwohl in den Milchkartons und Quarkpäckchen, die aus den Tüten hervorquellen, noch Lebensmittelreste kleben, entwickelt sich kein Gestank in der Halle. „Nur im Hochsommer, wenn die Sonne aufs Dach knallt, müffelt es schon mal“, erklärt Wieczorek.
Nun trägt das Band seine Fracht zu einer riesigen Siebtrommel. Sie mutet an wie eine gigantische Waschmaschine und dreht den Verpackungsmüll einmal ordentlich durch. Durch unterschiedlich große Aussparungen in der Trommelwand fallen die einzelnen Fraktionen je nach Gewicht und Größe durch. Übrig bleiben im Inneren nur großflächige Folien und Planen. Sie müssen abgefangen werden, damit sie nicht andere Teile auf dem Band abdecken und so einer guten Sortierung entziehen. Insgesamt vier Bänder nehmen die abgetrennten Fraktionen auf und rauschen mit erheblicher Geschwindigkeit und einem leichten Sirren weiter. Obwohl man nicht wirklich von Lärm sprechen kann, versteht man hier sein eigenes Wort kaum.
Im anschließenden Unterdruckfänger beginnen die Folien wie Schneeflocken zu tanzen. Der Abfallstrom wird über zwei Edelstahlwalzen geführt, zwischen ihnen sorgt ein Luftstrom für den nötigen Auftrieb. Leichte Folien fliegen hoch, schwere fallen runter. In der gesamten Anlage, die seit 2015 im Dreischichtbetrieb läuft, erfolgt die Sortierung nach Material, Gewicht oder Größe. Der Magnetabscheider etwa fischt Metalle aller Art heraus – vor allem aber Weißblech und Aluminium. Hauptlieferanten hierfür sind Konservendosen und Flaschenverschlüsse, die sich meist als loses Schüttgut im Müll befinden.
Und wieder flitzen die Förderbänder vorbei. Zwischendurch schleusen sie bestimmte Fraktionen aus, zum Beispiel den Turnschuh und die Babywindel. Emsig tragen die Bänder die mittlerweile erheblich dezimierte Fracht einem von 16 Nahinfrarotgeräten (NIR) entgegen, die sich über die zerkleinerten Plastikteile hermachen. Das NIR erkennt die unterschiedlichen Kunststoffarten auf Basis ihrer spektralen Eigenschaften von reflektiertem Licht; die spezifischen Parameter, etwa ihrer Dichte, sind im Rechner hinterlegt.
Das Material wird gescannt, das NIR erkennt in Sekundenbruchteilen, an welcher Stelle auf dem Band ein Stückchen eines bestimmten Kunststoffs liegt. Mit einem leisen Zischen wird es von Luftdüsen auf ein neues Band ausgeblasen. Es schwirrt davon, während der gesamte Rest einfach liegen bleibt. Das Ganze geschieht innerhalb von Sekundenbruchteilen, schneller als man mit eigenen Augen verfolgen kann.
Die nächste Station erinnert an eine Hüpfburg: Im Ballistikseparator wird das verbleibende Material mit Paddeln, auf denen kleine Strömungsbrecher sitzen, in Bewegung versetzt. Aufgrund ihres Gewichts springen die einzelnen Teile unterschiedlich hoch und können dadurch ebenfalls noch einmal sortiert werden.
Zum Schluss führt das Förderband schließlich in die Sortierkabine. Hier stehen plötzlich Arbeiter aus Fleisch und Blut am Band und sortieren händisch all jene Wertstoffe, die auf dem vollautomatischen Lauf durch die Halle nicht erfasst worden sind. „Uns geht es nicht darum, so viel Material wie möglich durchzubringen, sondern eine hohe Sortiertiefe zu erreichen“, erklärt Michael Wieczorek – dennoch kommt die Anlage auf einen Durchsatz von 18 Tonnen pro Stunde.
Ein Blick in den Kontrollraum lässt erahnen, wie aufwendig die technische Anlage konzipiert ist, für die der Entsorger Lobbe 14 Mio. € investiert hat. Siebmaschinen, Magnetabscheider, Wirbelstromscheider, Windsichter, ballistische Separatoren, sensorbasierte Sortiermaschinen und Ballenpressen arbeiten eng verzahnt und getaktet, immer zusammengehalten von den surrenden Förderbändern.
Ein Monitor im Leitstand bildet die gesamte Anlage als Flussdiagramm ab, ein zweiter liefert Livebilder der wichtigsten Abschnitte des Sortierbandes und der einzelnen Stationen. Auf einem weiteren Bildschirm wird ein Wärmebild des Müllbunkers gezeigt. Wenn hier ein Brand entstehen und nicht rechtzeitig entdeckt würde, könnte binnen weniger Minuten die gesamte Halle in Flammen aufgehen.
„Ein Brand muss in 45 s gelöscht sein“, sagt der Geschäftsführer und erzählt von einem Ereignis aus der Testphase der Anlage. Damals hatte der Fahrer des Radladers im Müllbunker den Motor laufen lassen, während er sich nur kurz einen Becher Kaffee holen wollte. Als er nur wenige Minuten später zurückkam, stand schon die gesamte Halle unter Wasser – inklusive seines Baggers. Die Sensoren hatten die heißen Auspuffgase als Gefahrenquelle registriert und kurzerhand die Sprinkleranlage in Gang gesetzt.
Jetzt plötzlich blinkt im Kontrollraum ein Bereich im Monitor 1 hektisch auf. Ein Störfall? „Da wird ein Band ausgefallen sein“, beschwichtigt Michael Wieczorek. Sofort geht das Personal los, um nachzuschauen und den Schaden zu beheben. „Oft hat sich irgendwas verfangen, das bringt dann das Band zum Stillstand“, erzählt der Geschäftsführer. Am schlimmsten seien Videokassetten oder die Netze von Weihnachtsbäumen. „Die gehören gar nicht in die gelbe Tonne“, sagt er. Denn mit den dualen Systemen würde ausschließlich Verpackungsmüll von beteiligten Firmen eingesammelt, die etwa über den grünen Punkt auch dafür bezahlten.
Etwa 40 % bis 50 % solcher Fehlwürfe von Bürgern, die es eigentlich gut meinten, registriert Lobbe im angelieferten Müll. Niemand bezahle für den Aufwand, den das Werk betreibe, um solche Teile herauszufischen. Da sich in Deutschland die einst geplante Wertstofftonne für sämtlichen Abfall aus Kunststoff, Metall und Papier nicht durchsetzen konnte, beziehe sich der Auftrag nur auf Material aus den Dualen Systemen, also auf Verpackungen aller Art.
Auf die Frage nach den schlimmsten Fehlwürfen verzieht Wieczorek das Gesicht: „Tierkadaver und Lebensmittel, die sich langsam zersetzen – und auch gefüllte Babywindeln“, zählt er auf. Auf seinem Weg aus der Halle kommt er an einer Reihe von Boxen vorbei. Aus den einzelnen Sortiersträngen landen hier die Verpackungen der jeweiligen Kunststofffraktion in speziellen Containern.
Sind sie voll, werden sie in der Presse zu großen Paketen zusammengedrückt und mit Draht umwickelt. Bis zu 700 kg wiegt solch ein Ballen. Draußen im Hof stapeln sie sich schnell zu riesigen Bergen und warten auf ihre Abholung durch einen Kunststoffverwerter. Denn dieses Geschäft übernimmt Lobbe nicht, hier in Iserlohn ist man mit der Müllsortierung vollauf beschäftigt.
Mit den geruchlichen Bedingungen habe er kein Problem, erzählt einer der wenigen Kollegen, die Kunststofffolien noch per Hand sortieren. Das liegt wohl daran, dass alle 20 min die Luft in der Halle einmal komplett umgewälzt wird. Der organische Dunst hingegen, der draußen über dem Gelände liegt, stammt übrigens von den benachbarten Kompostieranlagen. Hier werden Gartenabfälle und Grünschnitt aus den Abfallbehältern der Region gebunkert.