FORSCHUNG 05. Jul 2019 Christian J. Meier Lesezeit: ca. 5 Minuten

Das Brüllen der Schwarzen Löcher

Erstmals haben höchst präzise Detektoren in den USA Gravitationswellen nachgewiesen. Dadurch bestätigt sich nicht nur Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Nun können Astronomen auch bislang Unsichtbares im All „hören“. Deutsche Forscher haben entscheidend zum jetzigen Erfolg beigetragen.

Schwere Massen wie Planeten oder Sterne verbiegen die Raumzeit im Weltall wie Bowlingkugeln eine Gummihaut.
Foto: dpa/Mark Garlick/Science Photo

Es hört sich an wie ein Tröpfchen, das auf eine Wasseroberfläche fällt, und nicht wie eine jede Vorstellungskraft sprengende Kollision, was Physiker am letzten Donnerstag in Washington D. C. als eine Art Geräusch aus dem All vorstellten. Mit weit aufgerissenen Augen beschreibt David Reitze vom California Institute of Technology die Quelle des niedlich klingenden Signals: zwei Schwarze Löcher, jedes etwa 30 Mal so schwer wie die Sonne, umkreisen sich in einer immer enger werdenden Spirale, immer schneller und schneller, bis sie mit halber Lichtgeschwindigkeit aufeinander knallen und verschmelzen.

„Das ist irre“, sagt Reitze, der Direktor von aLigo (Advanced Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory), einer gänzlich neuen Form von Observatorium in den USA.

Schwarze Löcher sind unsichtbar. Mit ihrer gigantischen Schwerkraft fesseln sie alles an sich, selbst Lichtstrahlen. Herkömmliche Teleskope sind also blind für das kosmische Inferno, das Reitze beschreibt. Dennoch hat aLigo den 0,2 s andauernden Todestanz der beiden Schwergewichte aufgezeichnet. Erstmals in der Geschichte registrierte der Detektor bereits am 14. September 2015 sogenannte Gravitationswellen. Seitdem haben die Forscher von aLigo die Daten geprüft und so gut wie ausgeschlossen, dass das Signal von einem zufälligen Rauschen herrührt. Drum wagten sie nun die Bekanntgabe des sensationellen Ergebnisses.

Dass Gravitationswellen existieren, sagte vor 100 Jahren schon Albert Einstein als Konsequenz seiner Allgemeinen Relativitätstheorie voraus. Doch es bedurfte des „präzisesten je gebauten Messinstruments“, wie Reitze aLigo nennt, um die unvorstellbar schwachen Wellen einzufangen, während sie auf ihrer lichtschnellen Reise durchs All die Erde passierten.

ANSTATT AUS ORTEN BESTEHT DIE RAUMZEIT AUS EREIGNISSEN

Die Messung legt den letzten Puzzlestein in das Bild vom Kosmos, das Einstein zeichnete. Vor ihm stellten sich Physiker den Weltraum wie eine Bühne vor, eine teilnahmslose Plattform für das Schauspiel des Universums, mit Planeten, Sternen und Galaxien als Darsteller.

Einstein zeigte mit seiner Speziellen Relativitätstheorie im Jahr 1905 zunächst, dass Raum und Zeit eine Einheit bilden, die sogenannte Raumzeit. Anstatt aus Orten besteht demnach die Raumzeit aus Ereignissen, die nicht nur durch „hier“ und „dort“, sondern auch durch „jetzt“ und „dann“ getrennt sein können.

Vor 100 Jahren zeigte Albert Einstein mit seiner Speziellen Relativitätstheorie, dass Raum und Zeit eine Einheit bilden, die sogenannte Raumzeit.
Foto: akg-images/Archiv Peter Ruehe

Zehn Jahre später legte das Jahrhundertgenie nach: Schwere Massen wie Planeten oder Sterne würden die Raumzeit verbiegen wie Bowlingkugeln eine Gummihaut, behauptete Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie.

Mit dieser Theorie räumte er Ungereimtheiten aus, die aus der Vorstellung von der Gravitation als einer Kraft resultierten. Die Schwerkraft sei ein rein geometrischer Effekt, sagte Einstein. Eine Bowlingkugel verursacht eine Delle in der Gummihaut, in die eine zweite, leichtere Kugel hineinrollen kann (s. Bild o.).

Zum Weltstar wurde Einstein mit einem Schlag Ende 1919, als britische Astronomen während einer Sonnenfinsternis durch Beobachtung von verschobenen Sternpositionen bewiesen, dass die Sonne die Raumzeit tatsächlich krümmt.

Die Raumzeit wurde damit von einer passiven Bühne zu einem Medium, das mit Planeten, Sternen und Galaxien interagiert. Sie verlor ihre Starrheit, wurde flexibel: Sterne und Planeten beeinflussen die Abstände zwischen hier und dort und jetzt und dann. Wenn sich schwere Himmelskörper umkreisen, dann versetzen sie die Raumzeit in eine Schwingung.

Diese breitet sich in Form von Wellen durch die Raumzeit aus, ähnlich wie sich Wellen in ein Seil geben lassen, indem man dessen Ende auf- und abschwingt. Weil sich die Krümmung der Raumzeit, also die Gravitation, auf diese Weise wellenförmig ausbreitet, sprechen Physiker von Gravitationswellen.

Einstein glaubte nicht, dass sie sich je würden nachweisen lassen. Zwar gibt es einen prinzipiell messbaren Effekt: Die Entfernung zwischen zwei Orten auf der Erde wabert beim Durchgang einer Gravitationswelle tatsächlich hin und her. München und Paris entfernen sich voneinander und nähern sich wieder an. Allerdings derart geringfügig, dass die Präzision der Entfernungsmessung zu Einsteins Zeiten bei weitem nicht für einen Nachweis ausreichte.

Das hat sich inzwischen geändert. Denn aLigo ist ein Instrument, in dem jahrzehntelange Technikentwicklung Hunderter Wissenschaftler und Ingenieure nur dem einen Zweck diente: winzigste Entfernungsänderungen zu bestimmen. Es kann die Dehnung einer 4 km langen Strecke um den Bruchteil des Durchmessers eines Protons nachweisen. Die gleiche Präzision wäre nötig, wollte man belegen, dass sich der gigantische Abstand von vier Lichtjahren zum Nachbarstern der Sonne, Alpha Centauri, um Haaresbreite verkürzt oder verlängert.

Das Gravitationswellen-Observatorium besteht aus zwei identischen Detektoren, der eine in Livingston (Bundesstaat Louisiana), der andere in Hanford (Bundesstaat Washington). Der große Abstand von 3000 km sei nötig, erklärt aLigo-Sprecherin Gabriela Gonzalez, „weil man nur glauben kann, dass die winzigen Signale echt sind, wenn man sie gleichzeitig an zwei weit entfernten Orten messen kann“. Nur so könne man sicher sein, dass es keine lokalen Störungen seien. Die Forscher wissen deshalb, dass sie aus dem All kommen.

Jeder Detektor sieht aus wie ein gigantisches L in der Landschaft mit je 4 km langen Röhren. Durch beide luftleeren Rohre senden die Physiker je einen Laserstrahl, der an einem Spiegel an deren Ende reflektiert wird. Die beiden Lichtstrahlen durchlaufen beim Durchgang einer Gravitationswelle unterschiedlich lange Wege, denn während die Welle die Entfernung entlang des einen Armes dehnt, staucht sie sie entlang des anderen. Dies lässt sich nachweisen, indem die beiden Strahlen überlagert werden. Das kann man so justieren, dass die Täler der einen Lichtwelle auf die Wellenberge der anderen treffen und sich die Strahlen so gegenseitig auslöschen. Eine minimale Längenänderung stört dieses feine Gleichgewicht, die Strahlen löschen sich nicht mehr perfekt aus, was ein Lichtdetektor nachweist.

Diese Anordnung ist freilich äußerst empfindlich gegen Störungen, wie etwa feinste Vibrationen der Erde. Selbst das ferne Branden eines Meeres würde ein Störsignal erzeugen, hätten die Forscher nicht in jahrelanger Kleinarbeit Tricks ersonnen, solche Störungen zu neutralisieren. Etwa mit der ausgeklügelten Aufhängung der Spiegel an Glasfasern. Viele Schlüsseltechnologien wurden über Jahrzehnte an einem ähnlichen, aber deutlich kleineren Instrument namens GEO 600 in Ruthe bei Hannover entwickelt. Forscher des dortigen Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik schufen zudem Methoden für die Datenanalyse, um nach den schwachen Gravitationswellensignalen in den Daten der aLigo-Detektoren zu fahnden. Der Computercluster Atlas am Albert-Einstein-Institut in Hannover stellte den Hauptteil der Rechenleistung für die Entdeckung und Analyse zur Verfügung.

Todestanz: Zwei Schwarze Löcher umkreisen einander, werden dabei immer schneller, bis sie aufeinander prallen und verschmelzen.
Foto: S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), D. Steinhauser (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Das Signal entspricht im Wellenverlauf exakt dem Muster, das sich ergibt, wenn man mit den Formeln der Allgemeinen Relativitätstheorie die Kollision zweier Schwarzer Löcher beschreibt. Das macht die Forscher so sicher, dass ihnen eine Gravitationswelle ins Netz gegangen ist. Aus der Stärke des Signals errechneten sie, dass der kosmische Unfall in ca. 1,3 Mrd. Lichtjahre Entfernung geschah.

Wäre die aufgefangene Gravitationswelle eine Schallwelle, klänge sie ähnlich wie wenn ein Pianospieler seinen Finger vom tiefen Ende der Tastatur bis zum mittleren C gleiten lässt. Der Anstieg der Frequenz rührt davon, dass die beiden Schwarzen Löcher sich immer schneller umkreisen, bevor sie kollidieren. Die Forscher machten das „Geräusch“ aus dem All hörbar.

Etwas irreführend sprechen Physiker davon, dass man jetzt auch ins All horchen könne. „Der Astronomie sind jetzt Ohren gewachsen“, formuliert es gar Szabolcs Marka von der Columbia University in New York, einer der beteiligten Physiker. Bislang konnten Astronomen nur ins All „sehen“, sprich elektromagnetische Strahlung wie Licht oder Radiowellen einfangen. Nun haben sie einen neuen Draht ins All, mit dem sie auch Unsichtbares sehen können. Der Beweis etwa, dass Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern existieren, war bislang nicht möglich. Jetzt hat man ein solches System gewissermaßen brüllen hören.

„Jedes Mal wenn ein neues Fenster ins All geöffnet wurde, haben wir große Überraschungen erlebt“, sagt der US-Physiker Kip Thorne, vor 40 Jahren einer der Ideengeber für aLigo, und fügt hinzu: „Weil das jetzt geöffnete Fenster so fundamental anders ist als die bisherigen, bin ich sicher, dass wir wieder Überraschungen sehen werden, vielleicht sogar noch größere.“

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