Deutsche Innovationspolitik muss eigene Kurzsichtigkeit überwinden
Die neue Bundesregierung muss eine Innovationsagentur als „Transformation Enabler“ installieren – Transfer und Transformation müssen zusammengedacht werden.

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Wenn es um das Innovationssystem in Deutschland geht, dann kommt es seit Jahren zur Diagnose: Das Wissenschaftssystem liefert exzellente Ergebnisse, beim erforderlichen nächsten Schritt, dem Transfer in die Wirtschaft mangele es. Was liegt näher, als das Augenmerk genau auf diesen Punkt zu legen und zu versuchen, diesen Transfer durch Programme im Zusammenwirken von Wirtschafts- und Forschungsministerium anzugehen.
Doch das nimmt die eigentliche Aufgabe nicht in den Blick und ist kurzsichtig. Denn Transfer und Transformation müssen zusammengedacht werden. Was dem deutschen Innovationssystem fehlt, ist ein Intermediär, der die Rolle des „Transformation Enablers“ übernehmen kann, eine Innovationsagentur neben der Sprind. Das wäre eine Brücke, um die Kurzsichtigkeit – die „Innovation Myopia“ – des deutschen Innovationssystems zu überwinden.
Die neue Bundesregierung wird auch in der Forschungs- und Innovationspolitik vor großen Herausforderungen stehen. Laut Sondierungspapier der neuen Partner CDU, CSU und SPD wollen sie „Innovation und Forschung Vorrang geben“. Das ist angesichts der zentralen wirtschaftlichen und geostrategischen Bedeutung von Innovationen und Forschung ein wichtiger Punkt. Es besteht aber die Gefahr, dass die Dringlichkeit der Verteidigung und Infrastruktur den Blick auf die Langfristperspektiven der Forschungs- und Innovationspolitik (F&I-Politik) verstellt und eher auf kurzfristige, ministerielle Transferprogramme gehofft wird. Das ist kurzsichtig!
Deutschland braucht einen von Ministerien unabhängigen Intermediär, eine Innovationsagentur, die Transfers von Forschungsergebnissen anstößt, aber gleichzeitig auch unterschiedliche Akteure für die notwendige Transformation zusammenbringen kann: eine nationale Innovationsagentur in der Rolle eines „Transformation Enablers“. Ob diese Innovationsagentur dann DATI (Deutsche Agentur für Transfer und Innovation) heißt, wie von der Ampelregierung auf den Weg gebracht, oder NAI (Nationale Agentur für Innovation), wie von anderer Seite vorgeschlagen, ist unerheblich. Wichtig ist, dass die neue Regierung die Leerstelle im Innovationssystem in Deutschland füllt und die „Innovation Myopia“ strukturell überwunden wird. Warum und wie? Ein Antwortversuch in drei Schritten.
Deutsche Besonderheit: Freiheitsgesetz für eine Disruptionsagentur
Die „Innovation Leader“, die zum Beispiel das European Innovation Scoreboard der EU-Kommission ausweist, greifen seit Jahren auf Innovationsagenturen als Intermediäre zurück. Dazu gehört als Vorbild die Darpa, die amerikanische Defense Advanced Research Project Agency, die militärische und zivile Forschung und Innovationsförderung vereint. Dazu gehören die schwedische Vinnova und die Innosuisse in der Schweiz. Solche Intermediäre wurden ursprünglich gegründet, um die Lücken zwischen Grundlagenwissenschaft, angewandter Forschung und Märkten zu überbrücken. Agenturen können flexibler und problem- und aufgabenorientierter agieren als Ministerien und deren bürokratische Förderprogramme.
Mit der Gründung der Agentur für Sprunginnovationen (Sprind) und der Agentur für Innovation und Cybersicherheit für die militärischen Belange hat Deutschland 2019 diesen Schritt teilweise nachvollzogen. Darin spiegeln sich sowohl die deutschen Bedenken, zivile und militärische Forschung und Innovation zusammenzubringen, als auch der Fokus auf Hoch- und Schlüsseltechnologien und die Hoffnung auf deren disruptive Wirkung. Die Geschichte der Sprind illustriert gut die Probleme des Innovationsstandorts Deutschland: Zuständigkeit von zwei Ministerien (Wirtschaft bzw. Forschung), enge Überwachung und öffentliches Vergaberecht sowie das Festhalten an der Vorstellung linearer Innovationskaskaden. Das waren lange die Fesseln, die einen Erfolg verhindert haben. Erst 2023 wurde dies durch das sogenannte Sprind-Freiheitsgesetz behoben. Der Fokus auf Disruption und Hochtechnologie blieb.
Innovation ist kein technisches Problem, sondern eine ganzheitliche Aufgabe
Außerhalb des Blickfeldes bleibt das, was der damalige BDI-Präsident Siegfried Rußwurm im Herbst 2024 angemahnt hatte: Innovation ist kein ausschließlicher Gegenstand technischer Forschung, sondern eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Und das formuliert andere Anforderungen an Innovationspolitik, als nur den Fokus auf den Transfer von Wissenschaft in die Wirtschaft. Die Forschung zur Innovationspolitik hat lange darauf hingewiesen, dass Intermediäre sich weg von der Förderung bilateraler Projekte, hin zur Förderung von Systemen oder Netzwerken entwickeln müssen. Die Herausforderung ist, Innovation ganzheitlich zu denken und neben Transfer auch die notwendige Transformation sowie neben technischen auch soziale Innovationen in den Blick zu nehmen. Und auch das machen zum Beispiel die skandinavischen „Innovation Leader“ vor.
Die schwedische Vinnova sieht einen wesentlichen Aufgabenbereich darin, unterschiedliche Akteure aus Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu vernetzen und deren Zusammenarbeit zu unterstützen. So wirkt sie als das, was die Forschung als „Transformation Enablers“ beschreibt. Auch das jüngste Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation von Anfang März 2025 mahnt die Abkehr von Bürokratie, Linearität und Kurzfristigkeit an und kritisiert auch die Umsetzungsschwäche der Ampelregierung.
Diese hatte sich vorgenommen, die beschriebene Lücke zu schließen und auch die Weichen für die DATI, die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation gestellt. Bei der Umsetzung haperte es dann allerdings. Trotz zielführender Vorschläge der Gründungskommission, trotz einer ersten Förderrunde als DATIpilot und eines mit Erfurt schon gefundenen Standorts für die Agentur – es fehlten die finalen Schritte. Das Ampel-Kabinett hatte nur Stunden vor dem Bruch der Regierungskoalition im November das Konzept zur Gründung der DATI verabschiedet – nachvollziehbarer Weise zu spät.
Innovationsagentur für Transfer und Transformation dringend gesucht
Die sich konstituierende Regierung hat jetzt selbst die Gelegenheit, diesen fehlenden Baustein des Innovationssystems zu prägen. Nur: im Vorfeld der Sondierungen und Koalitionsverhandlungen mehren sich die Zeichen, dass weder CDU/CSU noch SPD eine Nationale Innovationsagentur für Transformation zu ihren Prioritäten zählen. Im Gegenteil, es tauchen wieder Programme zum besseren Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft auf, mit den üblichen Vorzeichen der „Innovation Myopia“ – Förderprogramme von Ministerien, in der Verantwortung der etablierten Projektträger, ausgerichtet auf die universitären und außeruniversitären Forschungsstrukturen.
Es fehlt der Blick für Plattformen, Netzwerke und Innovationsökosysteme, zu denen eben nicht nur Universitäten, Leibnitz-, Max-Planck- und Fraunhofer-Institute, sondern zwingend auch die HAWs und Akteure der Zivilgesellschaft gehören. Wenn man den seinerzeitigen Appell aus dem BDI ernst nehmen will, dann muss die Transformationsaufgabe neben die Transferaufgabe treten, dann reicht nicht der Fokus auf die Schnittstelle Wissenschaft-Wirtschaft. Auch die angewandte Forschung der HAWs, die Forschung in den F&E-Abteilungen der Unternehmen, die Begleitung durch Akteure der Zivilgesellschaft, durch Thinktanks, eine intensivere Zusammenarbeit privater und öffentlicher Akteure sowie regionale Reallabore sind Bestandteile eines erfolgreichen Innovationsökosystems Deutschland.
Und nein, ein Programm speziell für die HAWs kann das nicht erfüllen. Der Charme der Innovationsagentur als „Transformation Enabler“ liegt gerade in der Offenheit gegenüber Universität und HAW. Eine kleine DFG für die HAW ist überflüssig.
Ganzheitliche Innovationspolitik als Aufgabe der neuen Regierung – ein Fazit und fünf Aufgaben
Die neue Regierungskoalition muss der Absichtserklärung aus dem Sondierungspapier, Forschung und Innovation Vorrang geben zu wollen, konkrete Maßnahmen folgen lassen. Wichtig ist, dass Ansätze, die nur auf lineare und kurzfristige Ergebnisse abzielende fallen gelassen werden. Nur so kann die „Innovation Myopia“ überwunden werden.
- Innovationen und ihre Förderung müssen ganzheitlich betrachtet werden. Neben den Transfer von Ergebnissen aus der Wissenschaft in die Wirtschaft muss der Aspekt der Transformation als Aufgabe treten. Der Innovationsbegriff muss sowohl technische als auch soziale Innovationen einschließen, die lineare Vorstellung von Innovationskaskaden muss ausgeweitet werden auf die Betrachtung und Unterstützung von Innovationsökosystemen.
- Innovationsagenturen sind das bessere Instrument als aus Ministerien gesteuerte und im tradierten Projektträgersystem verwaltete Transferprogramme. Die SPRIND in der heutigen Konzeption sowie das, was im Konzept zur Gründung der DATI angelegt ist – und, in das schon umfangreiche Vorarbeiten und Steuergeld investiert worden sind – sind ein geeignetes Instrumentarium in einem zukunftssicheren Innovationssystem Deutschlands.
- Innovationspolitik muss in Plattformen, Netzwerken und Ökosystemen denken. Dies setz voraus, dass unterschiedliche Akteure aus Wissenschaft, angewandter Forschung, Forschungseinrichtungen, unternehmerische F&E, Start-ups, Zivilgesellschaft und Think-Tanks verbunden werden müssen. Dabei müssen Universitäten und HAWs, Grundlagenforschung und angewandte Forschung integriert gedacht werden. Konzepte und Ergebnisse müssen in Reallaboren mit Betroffenen erprobt und evaluiert werden können. Als Intermediär eignen sich mit den notwenigen Freiheiten und Budgets ausgestattet Agenturen besser als ministerielle Programme.
- Im deutschen Innovationssystem muss die Lücke der „Transformation Enabler“ gefüllt werden, die die mittlerweile erfolgreiche SPRIND ergänzt. Die neue nationale Innovationsagentur sollte dabei auch militärische und zivile Innovationen zusammenbringen (LINK https://www.vdi-nachrichten.com/wirtschaft/politik/innovationsoekosysteme-fuer-die-zeitenwende-wie-haeltst-du-es-mit-der-ruestung/ ) und sollte so ausgestattet sein, dass bürokratische Hemmnisse von vorneherein vermieden werden. Eine Zusammenarbeit gerade auch unter europäischen Nachbarn sollte durch eine Agentur ebenso leichter möglich sein, als durch engabgesteckte Förderprogramme.
- Innovationskommunikation muss neben Wissenschaftskommunikation als Aufgabe identifiziert und gestaltet werden. Denn gerade Transformationsprozesse in Gesellschaften, die Schritte von Invention zu Innovation oder die Diskurse in Innovationsökosystemen sind kommunikativ konstituiert. Das Zustandekommen von technischen wie sozialen Innovationen sowie deren Akzeptanz und die Gestaltung der Transformation sind in zentralen Teilen auch Kommunikationsaufgaben.