Karl-Ulrich Köhler: Klimaneutralität machbar, Technologieoffenheit nötig 26. Aug 2021 Von Claudia Burger Lesezeit: ca. 3 Minuten

Dillinger-Chef sorgt sich um die deutsche Stahlindustrie

Karl-Ulrich Köhler, Vorsitzender der Geschäftsführung der SHS – Stahl-Holding-Saar und Vorsitzender der Dillinger Hüttenwerke (Dillinger) sieht die Wertschöpfungskette in der Stahlbranche in Gefahr. Grundsätzlich seien die Klimaziele der EU auch in der Stahlindustrie erreichbar, doch es fehle ein planvolles Vorgehen, bemängelte er bei einer Videoveranstaltung der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf.


Foto: panthermedia.net/sorapol1150

„Wir stehen am Anfang einer Zeitenwende für die Industrie, insbesondere auch für die Stahlindustrie. Technologien werden sich grundsätzlich verändern und kaum absehbare Konsequenzen für die Menschen und Unternehmen mit sich bringen. Die Herausforderungen der Klimaneutralität sind gewaltig, die Komplexität des Vorhabens ebenso, und die Voraussetzungen zum Gelingen können nur durch gemeinsames und abgestimmtes Handeln aller Beteiligten geschaffen werden“, sagte Köhler. Er sprach von einem „absurd zu nennenden Zielsetzungswettbewerb der Politik“. Die Europäische Union habe scharfe Klimaziele verabschiedet. Und verschärfe sie weiter. Deutschland sei hier ein Musterschüler und habe das Ziel noch einmal um fünf Jahre vorgezogen und in 2030 auf -65 % angepasst. „Für energieintensive Industrien wie die Stahlindustrie war schon das alte Ziel eine beträchtliche Herausforderung. Jetzt bedeutet das für uns eine Reduktion von -39% anstatt bisher angenommener -25% gegenüber 2020“, betonte Köhler.

Das EU-Klimapaket „Fit for 55“ sei in vielen Punkten unklar

Karl-Ulrich Köhler war Gast bei der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung. Foto: SHS – Stahl-Holding-Saar

Das EU-Klimapaket „Fit for 55“ zeige einige Maßnahmen auf, sei aber in vielen Punkten unklar. Er warnte: „Industrielle Wertschöpfungsketten können so auf Dauer nicht erhalten werden. Eine nachhaltige und verbindliche Industriepolitik – auch im Sinne des Klimas – sieht anders aus.“ Grundsätzlich stehe die saarländische Stahlindustrie hinter den Klimazielen und werde 2045 CO2-neutralen Stahl produzieren. Dafür würden aber eine Übergangszeit und belastbare Rahmenbedingungen benötigt, „die sich nicht mit jeder Legislaturperiode ändern“, so Köhler vor der WPV.

„Es ist nichts gewonnen, wenn die Produktion in Drittländer ohne vergleichbare Klimaschutzauflagen ausweicht“

Grüner Stahl sei die Basis des Erfolgs für die Transformation. Aber: „Wir können nicht einfach den Schalter umlegen, den Hochofen abschalten, den Elektrolichtbogen anschalten und dann kommt am Ende CO2-freier Stahl heraus“, so Köhler. Der Weg dahin sei lang, teuer und komplex. In den nächsten zwei Jahrzehnten müssten die Unternehmen weiterhin produzieren und ihre Kunden und Märkte bedienen und parallel dazu die neuen klimaneutralen Produktionslinien aufbauen. Alleine für die saarländische Stahlindustrie bedeute der eingeschlagene Weg Investitionen von ca. 4 Mrd. €.

Die Politik müsse den Transformations-Weg gerade für die Stahlunternehmen, die derzeit auf der klassischen Hochofenroute produzieren, im ersten Schritt auf Basis einer Minderungsstrategie langfristig plan- und bezahlbar machen. „Sonst wandert die Erzeugung aus Deutschland ab“, unterstrich Köhler. Dann sei nichts gewonnen, wenn die Industrie in Drittländer ohne vergleichbare Klimaschutzauflagen ausweiche. Schon heute gebe es Schieflagen: „Die Politik erzeugt durch unzureichende Zuteilung von freien Zertifikaten bereits aktiv ‚Carbon Leakage‘: Kunden sind nicht bereit die resultierenden Kosten für diese Mengen zu zahlen, sodass im Saarland unterhalb der Kapazitäten produziert werden muss. Als Folge wird der fehlende Stahl an Orten mit geringeren sozialen und ökologischen Arbeitsbedingungen erzeugt.“

Dillinger und Saarstahl würden bereits seit rund 15 Jahren intensive eigene Forschungsarbeit zu einer konsequenten Reduzierung von CO2-Emissionen betreiben. „Insgesamt haben wir aktuell Projekte in Höhe von über 70 Mio. € angestoßen, die eine Verringerung der CO2-Emissionen zum Ziel haben.“ Von 700 Mio. €, die seit 2003 in die Verbesserung des Umweltschutzes investiert worden seien, wurden laut Köhler 200 Mio. € in Anlagen und Verfahren zur Senkung der CO2-Emissionen eingesetzt.

Geplante Klimaschutzverträge sollen technologieoffen gestaltet werden

Einen ersten Schritt auf dem Weg zur Produktion von CO2-neutralem Stahl seien Dillinger und Saarstahl bereits im letzten August gegangen mit der Inbetriebnahme der Koksgaseindüsungsanlage. Erstmals sei in Deutschland Wasserstoff als Reduktionsmittel im Regelbetrieb auf der Hochofenroute eingesetzt worden. Köhler sagte, dass die Minderungsstrategie nicht ausreiche. „Wir haben einen dreiphasigen Transformationspfad erarbeitet, der die Investition und die Integration der neuen Anlagen in das Gesamtsystem der Unternehmen bei weiterlaufendem Betrieb ermöglicht. Denn wir müssen auch während der Umbauphase wettbewerbsfähig produzieren.“ Durch den Einsatz von Wasserstoff oder stark wasserstoffhaltiger Gase wie Erdgas als Brückenenergie am Hochofen und den parallelen Aufbau der Elektrolichtbogenroute sei es möglich, bis 2030 ca. 55 % bis 60 % CO2 einzusparen. Es sei daher für die saarländische Stahlindustrie von elementarer Bedeutung, dass die geplanten Klimaschutzverträge der Bundesregierung technologieoffen ausgestaltet werden.

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