Produktion der Zukunft 01. Okt 2021 Von Martin Ciupek Lesezeit: ca. 4 Minuten

Fertigungsexperten diskutieren in Aachen über die Wende zu mehr Nachhaltigkeit

Trotz des klaren Fokus auf Digitalisierung der Produktion fand Ende September das Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium unter dem Kürzel AWK‘21 wieder als Präsenzveranstaltung statt – mehrfach verschoben und mit dem überarbeiteten Untertitel „Internet of Production – Turning Data into Sustainability“. Damit war auch das Ziel Nachhaltigkeit klar definiert.

Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium AWK'21: Die führenden Köpfe der Aachener Produktionstechnik, die vier Professoren (v.li.n.re.) Günther Schuh, Christian Brecher, Thomas Bergs und Robert Schmitt freuen sich über den gelungenen Abschluss.
Foto: Fraunhofer IPT

Spannend war auf dem 30. Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium (AWK) die Mischung aus visionären Menschen von lange etablierten Unternehmen und Start-ups. Schon die Keynote von BASF-Vorstandsmitglied Saori Dubourg zeigte, dass in der produzierenden Industrie vieles in Bewegung ist. „Statt auf Wachstum müssen wir auf Werte setzen“, hatte sie den Anwesenden zugerufen und war auf positive Resonanz gestoßen. Reiner Kurzhals, Gründer des Start-ups Westphalia Datalab, kommentierte dazu beispielsweise in einem Onlinepost: „Eine visionäre, allumfassend exzellente Keynote.“

Kurzfristig hatte man gegenüber der ursprünglich für Anfang 2020 geplanten Veranstaltung noch den Untertitel „Turning Data into Value“ in „Turning Data into Sustainability“ umformuliert und der allgemeinen Wertedefinition eine klare Ausrichtung hin zur Nachhaltigkeit mitgegeben. Mehr als 1400 Fach- und Führungskräfte aus den Managementetagen der produzierenden Industrie waren dem Aufruf des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT zum traditionellen Netzwerktreffen gefolgt. Es war eine der ersten großen Präsenzveranstaltungen in Aachen. Parallel wurde die Konferenz online übertragen. Die Frage, wie Unternehmen durch nachhaltige und resiliente Produktion ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sichern können, zog sich wie ein roter Faden durch alle Vorträge, Diskussionen und Ausstellungen im Aachener Eurogress und in den beiden gastgebenden Instituten.

Produktionswende ist nötig

Als Grund für die dringend nötige Produktionswende sehen die führenden Köpfe der Aachener Produktionstechnik, die vier Professoren Thomas Bergs, Christian Brecher, Robert Schmitt und Günther Schuh neben der aktuellen gesellschaftlichen Wertediskussion auch die daraus folgenden Veränderungen am Kapitalmarkt. Von einer rein finanziellen Betrachtung der Produktivität gehe die Orientierung nun stärker in Richtung der Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen sowie der dazugehörigen Herstellungsprozesse. Möglich werde eine solche Produktionswende durch das von den Wissenschaftlern in Aachen geformte „Internet of Production“. Darunter verstehen sie die durchgängige Digitalisierung und Vernetzung von Maschinen und Anlagen innerhalb der Produktions- und Wertschöpfungskette.

Wie dies in der industriellen Praxis funktionieren kann, zeigten Referentinnen und Referenten, die einen Teil dieses Weges mit ihren Unternehmen bereits erfolgreich gegangen sind. Exemplarisch für die Zukunft der Metallindustrie berichtete z. B. Katja Windt, Mitglied der Geschäftsführung der SMS group GmbH, über einen Weg zur dekarbonisierten Stahlproduktion. In ihrem Vortrag ging sie auf die Zusammenhänge zwischen einer Senkung der CO2-Emissionen durch Wasserstofftechnologie und der Digitalisierung von Hochofenprozessen ein, die schließlich in neue, hybride Geschäftsmodelle münden können.

Nachhaltigkeit in vielen Branchen

Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium AWK’21: Austausch über die nachhaltige und resiliente Produktion für Luftfahrttechnologien. Foto: AWK Verein / Foto Studio Strauch

Welche Potenziale sich durch neue und verbesserte Antriebskonzepte in der Luftfahrt ergeben könnten, berichtete in Aachen Lars Wagner, COO der MTU Aero Engines AG. Mit dem Ziel, sowohl die herkömmlichen Triebwerkmodelle als auch neue, brennstoffzellenbasierte Antriebe fertigen zu können, stellte Wagner einen Ausschnitt aus der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens von KI-gestützter Simulation bis zur vorausschauenden Instandhaltung (Predictive Maintenance) vor. Mit Blick auf die schnelle Umsetzung der weltweiten Klimaziele betonte er, die Bedeutung der engen Zusammenarbeit in Innovationsnetzwerken für sein Unternehmen.

BASF-Vorstandsmitglied Saori Dubourg erklärte, dass Nachhaltigkeit „das neue Normal“ werden müsse und machte das an einer entsprechenden Kundennachfrage fest. Die Nachfrage der Märkte, aber auch politische Randbedingungen wie der European Green Deal werden den Trend nach ihrer Ansicht beschleunigen und Unternehmen über kurz oder lang zur Transformation bewegen.

Dubourg wies aber auch darauf hin, die Wirtschaftsrisiken durch den Klimawandel und ihre Bedeutung für die Industrie nicht länger zu unterschätzen: Ein Paradigmenwechsel vom Shareholder Value zu einem neuen Wertbeitrag, der Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft gemeinsam veranschlagt, sei in vollem Gang. „Langfristiger Erfolg bedeutet, Wert für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft zu schaffen“, betonte sie in ihrem Schlusswort, das später auch von weiteren Referentinnen und Referenten in eigenen Worten immer wieder aufgegriffen wurde.

Wie, wo und was wird produziert?

Thomas Bergs, Inhaber des Lehrstuhls für Technologie der Fertigungsverfahren am WZL der RWTH Aachen und Mitglied des Direktoriums am Fraunhofer IPT, sagte: „Wir stehen vor einer Produktionswende.“ Zugleich fasste er die neuen zentralen Fragen der Produktion zusammen: „Wie, wo und was werden wir in Zukunft produzieren?“ Eine essenzielle Bewertungsgröße für die Beantwortung der Fragen werde laut Berg die Nachhaltigkeit von Herstellungsprozessketten. Er sagte weiter: „Zweifellos wird es völlig neue Produkte und Fertigungstechnologien geben.“ Auf Konferenzen wie dem AWK gelte es nun zu klären, wie nachhaltige Produktionszyklen in einer globalen Wirtschaft organisiert werden müssen und welche Regulationsmechanismen es geben kann und soll, um Ressourcenverbräuche zu kontrollieren.

Lösungsansätze sahen sowohl die Aachener Forschenden als auch die Vortragenden in den Digitaltechnologien zur Vernetzung wie der sogenannten Edge Cloud bei der Daten maschinennah verarbeitet werden und 5G-Mobilfunktechnologie, in künstlicher Intelligenz und dem digitalen Zwilling von Produkt und Produktion. Diese Technologien seien bereits heute in Unternehmen im Einsatz und ihre Weiterentwicklung erfahre hohe Aufmerksamkeit in der Produktionsforschung.

Wie bereits bei den vergangenen Verstaltungen war auch diesmal ein Blick in die Zukunftslabore und -maschinenhallen der Produktionstechnik möglich. Ein besonderes Highlight war für viele Besucherinnen und Besucher die Besichtigung der neuen, 2400 m² großen Maschinenhalle des Werkzeugmaschinenlabors, die nach dem Brand im Februar 2016 in diesem Jahr endlich mit mehr als 70 Prüfständen bezogen werden konnte. Für die insgesamt 800 online teilnehmenden Personen war dabei auch eine virtuelle Institutsbesichtigung durch die Maschinenhallen der beiden gastgebenden Institute möglich.

Turnusgemäß findet das AWK alle drei Jahre statt. Nach der Verschiebung vom Vorjahr in dieses Jahr bleibt sie künftig aber beim bisherigen Turnus. Das bedeutet: Das nächste AWK ist für den 11. und 12. Mai 2023 bereits geplant. Der Arbeitstitel dafür lautet: Technologies for CO2-Neutrality.

Mit Material vom Fraunhofer IPT

Ein Beitrag von:

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