KI: Autonome Steuerungssoftware schließt Technologielücke
Eine selbstlernende autonome Steuerungssoftware soll in Produktionsanlagen von Windrädern und Elektromotoren eingesetzt werden. Diese KI-Lösung würde eine Technologielücke schließen.
Eine autonome, selbstlernende Steuerungssoftware für Produktionsanlagen entwickeln Mathematiker der Hochschule Darmstadt gemeinsam mit dem Software-Unternehmen SimPlan aus Hanau und dem Automationsexperten Fibro Läpple Technology (FLT) aus Haßmersheim. Die KI-Software, die im Rahmen des LOEWE-Projekts „KISPo“ erarbeitet wird und bei der Herstellung etwa von Komponenten für Windräder oder Elektromotoren eingesetzt werden soll, wäre die erste dieser Art. Damit würde eine von Industrieverbänden und Forschung lange bemängelte Technologielücke geschlossen.
Der Mittelstand ist auf die Entwicklung innovativer Technologien angewiesen, um mit den modernen Anforderungen, die sich unter dem Begriff „Industrie 4.0“ subsummieren, Schritt halten zu können. „Das gilt vor allem für das produzierende Gewerbe“, sagt Mathematiker Horst Zisgen von der Hochschule Darmstadt. Er war früher im IT-Konzern IBM im Bereich „Forschung oder Entwicklung“ tätig. „Ein Unternehmen, das beispielsweise verschiedene Typen von Elektromotoren produziert, ist auf viele Zulieferer und reibungslose Abläufe angewiesen. Die Nachfrage ist hoch, die Produktion muss effizient laufen. Wenn es aber an irgendeiner Stelle zu Störungen im Fertigungsprozess kommt, kann der Ablauf heute nur schwer angepasst werden.“
Eigenständige Reaktion der Steuerung auf Störungen
In vielen Unternehmen erfolgt die Steuerung des Produktionsablaufs noch nach starr vorprogrammierten Regeln. So aber kann auf Störungen nur reagiert werden, indem manuell nachgesteuert, also händisch umprogrammiert wird. Das ist teuer und langwierig.
„Wenn in meiner Fabrikhalle beispielsweise eine Montagestation ausfällt, an der zwei rote Schrauben montiert werden, habe ich – Stand heute – ein Problem“, vereinfacht der Mathematikprofessor das Problem. „Ein intelligentes System wäre in der Lage, eigenständig zu reagieren und den komplexen Produktionsprozess ohne Effizienzverluste umzusteuern.“ Zum Beispiel könnte die Produktion eines anderen Bauteils (ohne „rote Schrauben“) zeitweise Priorität erhalten.
KI-Verfahren zur Steuerung von Digitalen Portalroboterzwillingen
Für einen bestimmten Typ von Produktionsanlagen möchte das Team um Zisgen solche intelligenten Systeme im Rahmen des Projekts „KI-Verfahren zur Steuerung von Digitalen Portalroboterzwillingen“ (KISPo) entwickeln. In Portalsystemen werden Werkstücke, also etwa das Gussrohteil eines Elektromotors, von einer Bearbeitungsstation zur nächsten transportiert.
An jeder Station kommt ein Arbeitsschritt oder Bauteil hinzu. Mit Greifarmen ausgestattete Wagen übernehmen den Transport, sie fahren über ein Schienensystem die einzelnen Stationen ab. In solchen Anlagen werden ganz unterschiedliche Produkte hergestellt: von Windradgetrieben bis hin zu Bauteilen für Züge. Größere Anlagen dieses Typs füllen ganze Fabrikhallen.
Branchenverband VDMA beklagt Mangel intelligenter Steuerungssoftware
Bislang gibt es keine intelligente Steuerungssoftware für solche komplexen Anlagen, die auf Machine Learning oder Reinforcement Learning basiert. Das beklagt nicht nur der Branchenverband VDMA, auch die Wissenschaft macht auf dieses Manko aufmerksam. So ergab eine Studie der Fraunhofer-Gesellschaft zum Maschinellen Lernen im Jahr 2018, dass eine „stärkere und schnellere anwendungsnahe Umsetzung von KI in konkrete Produkt-, Prozess- und Dienstleistungsinnovationen“ vonnöten sei, um den Wirtschaftsstandort Deutschland auf Dauer konkurrenzfähig zu machen.
Das Team um Horst Zisgen stößt nun in diese Lücke. „Die technologische Lösung, die wir anstreben, bietet klare Wettbewerbsvorteile: Die Produktion wird flexibler, Unternehmen können schneller auf Veränderungen am Markt und in den Lieferketten reagieren und dadurch effizienter und nachhaltiger wirtschaften,“ erklärt Boris Bind, Leiter des Bereichs Engineering bei Fibro Läpple Technology.
Software trainiert anhand von Simulationsmodellen
In der Entwicklungsphase wird die neue Software anhand von Simulationsmodellen trainiert, die das Hanauer Unternehmen SimPlan entwickelt. „Wenn unser Software-Prototyp dann erstmals zum Einsatz kommt, ist das System bereits gut trainiert und kann schwierige Situationen meistern“, erläutert Sven Spieckermann, Vorstandssprecher der SimPlan AG. „In der praktischen Anwendung lernt es immer weiter dazu.“
Durch die Forschung im Verbund hoffen die drei Akteure aus Wissenschaft, Software-Industrie und Anlagenbau den Bereich „Reinforcement Learning“ im Mittelstand verankern zu können. „Es geht hier um Wissenstransfer im besten Sinne“, betont Konsortialführer Zisgen. „Von diesen neuen Verfahren können nicht nur einzelne Unternehmen, sondern der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Hessen insgesamt profitieren.“