Nachhaltige Produktion: Siemens und weitere Unternehmen sind in Davos Vorbilder für die globale Industrie
Beim Weltwirtschaftsforum in Davos werden regelmäßig auch Entwicklungen der industriellen Transformation gewürdigt. In diesem Jahr sind drei Leuchtturmprojekte für die nachhaltige Produktion hinzugekommen. Auch ein Werk in Deutschland gehört dazu.
Internationale Entscheider treffen sich gerade beim Weltwirtschaftsforum in Davos. In den Schweizer Bergen ist schon allein durch den Ukraine-Krieg, die globale Klimakrise und nationale Tendenzen zur Deglobalisierung für viel Gesprächsstoff gesorgt. All diese Themen haben auch Einfluss auf Industrieunternehmen, die ihre Lieferketten, Produktionsverfahren und internationalen Wachstumsstrategien überdenken müssen. Digitalisierung und Industrie 4.0 – das World Economic Forum spricht hier von Fourth Industrial Revolution (4IR) – spielen hier eine wichtige Rolle. Deshalb werden auf dem Weltwirtschaftsforum auch regelmäßig Fabriken ausgezeichnet, die hier besonders weit sind.
132 Leuchtturmfabriken sind es inzwischen – inklusive der Werke, die in diesem Jahr neu hinzukommen. Sie leben laut den Organisatoren Best Practices vor und zeigen anderen, wie ihnen die Integration fortschrittlicher Technologien gelingt. Sie sind damit Teil des Global Lighthouse Network (GLN) des Weltwirtschaftsforums.
18 neue Leuchttürme für die weltweite digitale Transformation in der industriellen Produktion
Das Netz der neuen Leuchttürme umfasst 18 Fabriken sowie drei zusätzliche Vorbilder für die nachhaltige Produktion. Es reicht von Brasilien bis Thailand und von Irland bis Indien. Die Unternehmen zeigten, wie wichtig eine klare Strategie und das Potenzial zur Skalierung sind, um auch unter ungünstigen makroökonomischen Bedingungen erfolgreich zu sein, heißt es dazu vom Netzwerk. Neben internationalen Konzernen wie Coca-Cola, Foxcon, Johnson & Johnson, LG Electronics, Procter & Gamble sowie Unilever findet sich bei den neuen Leuchttürmen in diesem Jahr auch ein deutscher Mittelständler.
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Die Firma MantaMesh aus Fröttstädt, ein Spezialist für Drahtgitterböden, konnte die Jury mit ihrer neuen Strategie überzeugen. Um in einem hart umkämpften Rohstoffmarkt wettbewerbsfähig zu sein, hatte das KMU (kleine und mittlere Unternehmen) ein Geschäftsmodell für die online vernetzte Fertigung entwickelt. Kunden werden dabei mit einem automatisierten Abwicklungssystem angebunden. In Echtzeit werden die Online-Interaktionen dann verarbeitet und gehen über eine nahtlose Verbindung in die hochautomatisierten Produktionsanlagen. Laut dem Team des Global Lighthouse Network konnte Manta Mesh damit die Kundenaktivität um 261 % steigern und das Produktionsvolumen um 73 % erhöhen. Gleichzeitig wurde der Energieverbrauch pro produziertem Kilogramm um 32 % reduziert.
Leuchttürme für Nachhaltigkeit in der Produktion kommen aus Brasilien, China und Deutschland
Neu im Jahr 2023 ist ein Schwerpunkt, der besonders auf die Verbesserung der Nachhaltigkeit von Produktionsunternehmen schaut. Hier hebt des GLN drei Leuchtturmprojekte hervor. Auch dort ist ein Werk aus Deutschland vertreten. Die Schwerpunkte setzen die Unternehmen dabei unterschiedlich.
Kreislaufwirtschaft ist beispielsweise zentrales Thema in der Fabrik von Flex in Sorocaba, Brasilien. Das Unternehmen ist ein internationaler Lohnfertiger für Elektronikkomponenten. Als Leuchtturm gilt das Werk, weil es ein intelligentes Management der Fabrikversorgung eingeführt hat und die Entsorgung von Elektronikschrott in der Lieferkette und in der Produktion mithilfe von vernetzten Sensoren (IoT-Sensoren) optimiert. Ziel ist es, damit den Energie- und Wasserverbrauch sowie die Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren. Das Greenhouse Gas Protocol betrachtet hierzu drei Verursacher klimaschädlicher Gase: das Unternehmen selbst (Scope 1), die Energielieferanten des Unternehmens (Scope 2) und indirekte Verursacher in vor- und nachgelagerten Lieferketten (Scope 3). Nach GLN-Angaben reduzierte Flex Sorocaba mit den Maßnahmen die Treibhausgasemissionen in den Bereichen 1 und 2 um 41 %. Zudem konnte es im 3. Bereich 44 000 Tonnen CO2-Äquivalente vermeiden und den Wasserverbrauch um mehr als 30 % senken.
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„Die Flex-Fabrik in Sorocaba, Brasilien, ist wegweisend für die Zukunft der Fertigung, indem sie Technologien einsetzt, um nicht nur Effizienz und Qualität zu erreichen, sondern auch Nachhaltigkeit und Mitarbeiterfürsorge in den Vordergrund zu stellen“, sagte Francisco Betti, Leiter der Shaping the Advanced Manufacturing and Production Platform vom World Economic Forum, im Vorfeld des Treffens in Davos.
Der Energieverbrauch steht dagegen beim Technologiekonzern Haier, Hersteller von Haushaltsgeräten, im Fokus. Im Werk in Tianjin, China, galt es steigenden Energiekosten entgegenzuwirken und gleichzeitig die Kohlendioxidemissionen zu senken. Dazu setzt Haier jetzt Big-Data-Analysen und Künstliche Intelligenz ein. Das Ergebnis ist ein Stromlastmodell für Geräte sowie ein Produktionsplaner zur Optimierung des Energieverbrauchs. Laut GLN konnte damit der Energieverbrauch um 35 % und die Treibhausgasemissionen um 36 % gesenkt werden.
Lesetipp: CO2-Fußabdruck des einzelnen Produkts ist das nächste Ziel
Eine komplett CO2-neutrale Produktion strebt das Siemens-Werk in Amberg an. Bis 2030 will Siemens in seinen Werken das Netto-Null-Ziel erreichen. Amberg gilt im Konzern dabei als Leitwerk. Um in dem Werk bereits bis 2026 so weit zu sein, führte Siemens dort digitale Prozessanalysen und -messungen ein. Nach GLN-Angaben reduzierte die Fabrik so ihre Treibhausgasemissionen bezogen auf das Volumen in Scope 1 und Scope 2 um 69 %. Um die gesamte Lieferkette (Scope 3) zu dekarbonisieren, fungiert das Werk außerdem als Inkubator für die Entwicklung von Lösungen für die vierte industrielle Revolution. Dazu gehören beispielsweise die Einführung des digitalen Produktpasses und einer blockchainbasierten Software zum Austausch von CO2-Daten mit Lieferanten.
Wie das in der Praxis umgesetzt wird, beschreibt Gunter Beitinger, Leiter des Amberger Werkes und Head of Factory Digitalization & Head of Product Carbon Footprint, in einem Siemens-Blog: „Durch unseren ganzheitlichen Ansatz simulieren wir immer wieder, was notwendig ist, um die Zielzustände unter den jeweils aktuellen Rahmenbedingungen zu erreichen.“ Dabei würden beispielsweise auch ständig neue Technologien berücksichtigt und in Preisszenarien verglichen. Das gelte für bereits eingesetzte, aber auch für bisher zu kostenintensive und deshalb nicht eingesetzte Technologien. Die laufend aktualisierten Bewertungen zeigen Wirkung. „Im Ergebnis steht unser Werk kurz vor dem Austausch der kompletten Heizungs-, Kühlungs-, Klima- und Lüftungsanlage sowie der Installation zusätzlicher Photovoltaikanlagen“, so Beitinger.