Niederrheinischer „Öl-Baron“ mit Hang zu Saat und Korn
Die Neusser Ölmühle C. Thywissen ist Spezialist für Fettiges – in Lebensmitteln ebenso wie in Chemieprodukten. Aus Ölpflanzensaaten gewinnt das Familienunternehmen Öle und chemische Grundstoffe. Seit 34 Jahren treibt Wilhelm F. Thywissen dabei die Geschicke der Firma voran. Pragmatismus und der Blick über den Tellerrand sind dabei sein Rezept.
Als im niederrheinischen Neuss 1835 der Industriehafen in den Betrieb ging, war Firmengründer Caspar Thywissen zur Stelle – als einer der ersten Unternehmer, die sich dort ansiedelten. Bis heute kommen die Pflanzensaaten als Massenschüttgut per Binnenschiff zum Anleger und werden direkt der Produktion zugeführt. „Wir verarbeiten hier die Ladung von zwei Schiffen pro Tag“, berichtet Wilhelm F. Thywissen, der das Unternehmen als Generalbevollmächtigter in fünfter Generation führt. Aus 700 000 t Sonnenblumen-, Raps- und Leinsaaten fertigen die Neusser 300 Mio. l Öl pro Jahr, die in zwei Raffinerielinien veredelt werden. „Unser Markt ist die EU“, sagt der Generalbevollmächtigte.
- kam als Diplom-Kaufmann mit 27 Jahren ins Familienunternehmen und übernahm hier in fünfter Generation bald die Verantwortung. 2010 übergab er die Geschäftsführung an seinen Neffen Dominik Baum. Seither vertritt er das Unternehmen als Generalbevollmächtigter und „Außenminister“.
- ist verheiratet und hat drei Kinder. Mit seiner Frau teilt der Rheinländer, die Leidenschaft für moderne Kunst, Musik, Oper, Ballett und das kulturelle Leben.
- treibt Sport, um sich beweglich zu halten und fährt gerne Ski.
- blickt gern über den Tellerrand und setzt sich seit 1998 als Präsident des Verbandes der Ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (OVID) für die politischen Interessen seiner Branche ein.
In der 175-jährigen Geschichte gehörten Mälzereien, eine Lack- und eine Seifenfabrik zum Unternehmen. Noch heute stellt Thywissen am Standort in Hürth Malzmehle her. In Neuss sind die Ölmühle und der Ölhandel bis heute das größte Geschäftsfeld. „Familiär“ ist die Unternehmenskultur – im besten Sinne: 110 Mitarbeiter sind hier beschäftigt, rund die Hälfte von ihnen hat das Unternehmen selbst ausgebildet. Sie erwirtschaften pro Jahr einen Umsatz von rund 1,5 Mrd. €. Mit Thywissens Neffen, dem Geschäftsführer Dominik Baum, ist heute auch die sechste Generation im Unternehmen.
Thywissen selbst, ein gebürtiger Rheinländer, der eher norddeutsch zurückhaltend wirkt, kam 1980 nach einem kaufmännischen Studium ins Unternehmen. Hier übernahm er bald die Verantwortung, denn sein Vater wechselte ins Oberbürgermeisteramt der Stadt Neuss.
Ab 2015 gelten neue Regeln für den deutschen Biokraftstoffmarkt, die Unternehmen wie Thywissen das Planen und Wirtschaften deutlich schwerer machen dürften: Die Absatzquote für die Mineralölindustrie – 6,25 % Biokraftstoffanteil am Gesamtkraftstoffabsatz – entfällt dann. Das neue Ziel: Was künftig aus der Zapfsäule kommt, soll die Treibhausgas-Emissionen (THG) im Verkehr pro Jahr um 3,5 % reduzieren. Doch davor warnt Thywissen in seiner Rolle als OVID-Präsident eindringlich: „Die Branche wird ihre aktuelle Produktion nicht mehr vollständig absetzen können.“
Begründung: Das Reduktionsziel greife nicht hoch genug. Biokraftstoffe könnten heute schon mehr, ärgert sich der Verbandschef. Für sie schreibt der Gesetzgeber vor: Im Vergleich zu Mineralölen müssen sie 35 % THG einsparen. Tatsächlich könne die Branche heute Biodiesel mit einer THG-Einsparung von 55 % – 60 % liefern. „Damit könnten wir die THG-Emissionen im Verkehrsbereich um 4 % reduzieren.“ Und der Kaufmann rechnet energisch vor: „Bleibt es bei 3,5 %, muss die Mineralölwirtschaft insgesamt weniger Biodiesel zusetzen und kann damit mehr Mineralöl beimischen.“
Für den Interessensvertreter Thywissen steht fest: Die THG-Vorgabe als deutscher Alleingang wird den Wettbewerb für hiesige Produzenten verschärfen. Und er weiß: Aus der EU könnte ab 2020 noch mehr Ungemach drohen. Dann sollen Vorgaben für die Abnahme von Biokraftstoff der ersten Generation wie Raps ganz entfallen. Der Rheinländer schüttelt den Kopf: „Das könnte alles über den Haufen werfen.“ Der Rapsanbau könnte für Landwirte uninteressant werden.
Die Ölgewinnungstechnik (s. Grafik) habe sich im Grundsatz kaum verändert, erklärt Thywissen. Nach der Reinigung und Trocknung der Saaten wird in der Presse der Ölmühle das Rohöl ausgepresst. Die festen Bestandteile werden als Presskuchen ausgeworfen. Er wird mit Lösungsmitteln behandelt und enthält nach Extraktionsprozessen noch maximal 2 % Öl. Extraktionsöl und Pressöl werden dann wieder zusammengeführt und in chemischen und physikalischen Raffinationsverfahren veredelt. Erst vor zwei Jahren hat das Unternehmen 22 Mio. € in eine zweite, moderne Raffinationslinie investiert.
Beim sogenannten „Degumming“, der Entschleimung, wird das Rohöl im ersten Raffinationsschritt auf 90 oC erhitzt. Fettbegleitstoffe, die sogenannten Phosphatide, werden hier unter Zugabe von Wasser und Säure gelöst. Bei der chemischen Raffination werden zudem freie Fettsäuren durch Zugabe von Lauge neutralisiert. Die gebundenen Phosphatide und die verseiften Fettsäuren werden anschließend über Zentrifugen ausgeschleudert, das Öl wird mit Wasser gewaschen. Der nächste Schritt ist die Bleichung: Spezielle Tonerden filtern hier Farbstoffe wie Chlorophyll und Carotin, aber auch Schwermetalle aus.
Auf Rohöl aus Sonnenblumensaaten wartet danach eine Spezialbehandlung: Es wird bei 6 oC, quasi Kühlschranktemperatur, winterisiert: Wachse, die nicht kälte-stabil sind, flocken jetzt aus und werden entfernt. Letzte Station ist die Desodorierung: Hier beseitigt 240 oC heißer Wasserdampf unter einem Vakuum unerwünschte Duft- und Geschmacksstoffe. „Danach hat man das klare Raffinat, dass der Verbraucher aus der Flasche kennt“, erläutert der Ölmühleninhaber.
Ein wichtiges Nebenprodukt der Ölgewinnung in Neuss ist das Phosphatid Lecithin. Es wird im Vorfeld des Degummings durch Wasserentschleimung aus dem Extraktionsöl gewonnen und über Trocknung zu Rohlecithin veredelt. Lecithin, landläufig bekannt von Inhaltsstoffangaben auf Lebensmittelverpackungen, kann als Emulgator Fett und Wasser verbinden und wird vor allem in der Back- und Süßwarenindustrie gebraucht. „Wenn Sie heute in einen Supermarkt gehen, enthalten rund 60 % der Lebensmittel Lecithin“, schätzt Thywissen und bekennt: „Meine Leidenschaft sind unsere Produkte.“
Sonnenblumensaaten für Speiseöle bezieht das Unternehmen v. a. aus Ungarn. Leinsaaten aus Kanada und Kasachstan werden in Neuss zu technischen Ölen verarbeitet, die u. a. in der Farben- und Linoleumindustrie gebraucht werden. Der wichtigste Rohstoff der Neusser, die Saaten des leuchtend gelb blühenden Rapses, kauft die Ölmühle jedoch überwiegend in der Region ein. Thywissen kennt seinen wichtigsten Rohstoff genau: „Raps braucht Kühle und Regen“, sagt er. 60 % der Kunden des Unternehmens wie das benachbarte Thomy-Werk von Nestle kommen aus der Lebensmittelindustrie. „Ob Feinkost, Chips, Pizza, Flaschenöl oder Mayonnaise – wir sind fast überall vertreten.“
Eine vergleichsweise neue Spezialität der Neusser ist die Herstellung von Ölen mit unterschiedlichen Fettsäuren, die beispielsweise in der chemischen Industrie stark gefragt sind. „Mit unserem breiten Produktspektrum sind wir in Europa einzigartig“, sagt Thywissen – und klingt dabei eher sachlich als stolz.
BIODIESELPRODUKTION FÜHRT ZU TANKTOURISMUS DER ANDEREN ART
Für diese Produktlinie brauche es „ab Feld“ standardisierte, sortenreine und geprüfte Rohstoffqualitäten. Dazu kooperiere die Firma eng mit Bauern, die die entsprechenden Pflanzensaaten liefern, und schließe Vorverträge ab. „Das ist sehr ungewöhnlich in der Branche“, sagt Thywissen. Der Musikliebhaber, der selbst Klavier spielt, setzt eben auch im Geschäftsleben auf Harmonie: „Auch gute Musik entsteht erst im perfekten Zusammenspiel“, sagt er.
Die Erfahrung mit technischen Ölen erleichterte Thywissen Anfang der 2000er-Jahre auch den Schritt in einen ganz neuen Produktbereich, die Herstellung von Biodiesel. Den Anstoß habe ein Strategiewechsel in der Agrarpolitik gegeben. Rapsbauern verloren den bis dato staatlich garantierten Absatzmarkt. „Wir hatten die Sorge, dass viele Landwirte den Rapsanbau aufgeben.“
Seit 2001 verschifft das Unternehmen teilraffiniertes Rapsöl über den Niederrhein und den Wesel-Datteln-Kanal ins nordrhein-westfälische Marl. Hier betreiben die Neusser mit dem Münsteraner Agrarkonzern Agravis und der Pariser Diester Industrie eine gemeinsame Biodieselanlage. Unter Zugabe des Alkohols Methanol wird hier Rapsöl-Methylester (RME) hergestellt. „Rapsdiesel hat einen hohen Sauerstoffanteil, eine gute Schmierung und ist Mineralöldiesel sehr ähnlich“, erklärt Thywissen.
Das Verfahren zur sogenannten kontinuierlichen Veresterung hat das Unternehmen zusammen mit einem Partner selbst entwickelt. Besucher aus aller Welt seien nach Marl gekommen, um von der neuen Technik zu lernen. „Wir hatten hier einen regelrechten Tourismus“, erinnert sich Thywissen. Das Verfahren komme im Unterschied zum sonst üblichen Verfahren ohne Zentrifugen aus. „Wir produzieren deshalb wirtschaftlicher“, sagt der Unternehmer. Die Anlagenkapazität von rund 250 000 t/Jahr sei heute voll ausgelastet. Von Marl aus wird der Biodiesel wiederum per Schiff an Mineralöl-Kunden wie die nahegelegene Raffinerie von BP geliefert.
Überhaupt: Die Kooperation mit Partnern! Sie habe sich im Laufe der Jahre bewährt, betont Thywissen. Agravis brachte damals sein Tankstellennetz ein, die französische Diester Gruppe verfügte über das Know-how und die Vertriebswege für Glycerin. „So konnten wir sehr schnell den Markt besetzen.“Glycerin ist ein wichtiges Nebenprodukt der Biodieselherstellung und überall da gefragt, wo Feuchtigkeit gebunden werden muss und eine cremige Konsistenz erforderlich ist. „Wenn Sie beispielsweise Zahnpasta nutzen, ist immer Glycerin drin.“ Seit 2012 wird das Glycerin in einer zweiten Anlage für den Bedarf in der Pharmaindustrie weiterverarbeitet. In einem Destillationsverfahren werden Geruch und Geschmack neutralisiert.
40 % je t Rapssaat können die Neusser insgesamt zu Öl, Lecithin und Glycerin verarbeiten. Zurück bleiben rund 60 % Rohproteine, die im extrahierten Presskuchen gebunden sind. Sie sind kein Abfall, sondern sind als begehrter Grundstoff für die Tierfutterproduktion ein wichtiges Koppelprodukt der Ölgewinnung. „Wir nutzen praktisch alles, was diese Pflanze uns bringt“, sagt Thywissen nun doch etwas stolz. Die Nachhaltigkeitsstandards für Raps seien heute vom Feld bis zum Tank hoch. „Wir haben hier ein intelligentes System aufgebaut.“ Was auch für die Firma als solche gilt.