Triebwerk für Microlauncher 12. Feb 2020 von Iestyn Hartbrich Lesezeit: ca. 3 Minuten

Rückkehr des Aerospike

Bisher hat die Raumfahrtindustrie vergeblich versucht, ein Aerospike-Triebwerk ans Fliegen zu bringen. Nun starten Dresdner Forscher den nächsten Versuch.


Foto: Institute of Aerospace Engineering, TU Dresden/Fraunhofer IWS Dresden

Sie haben die Geschichte nicht auf ihrer Seite, wohl aber neue Fertigungstechnologien. Eine Gruppe von Dresdner Forschern lässt ein Raumfahrttriebwerk wieder aufleben, dass verflucht scheint: den Aerospike.

Bekannt seit den 1960er-Jahren ist der Motortyp so etwas wie das ewige Wunderkind, das es nie auf die Konzertbühne schafft. Auf dem Papier ist er anderen Motoren weit überlegen: Bei gleichem Schub und gleichem spezifischen Impuls soll er ein Drittel weniger Treibstoff verbrauchen. Soweit die Theorie.

In der Praxis bleibt von der Überlegenheit nichts über. Und so hat es kein Aerospike jemals in eine Flugserie geschafft.

Die Fraunhofer- und TU-Forscher wollen das Triebwerkskonzept nun für Microlauncher nutzen, also für Trägerraketen, die bis zu 350 kg Nutzlast in niedrige Orbits bringen können. Auf der heutigen Hannover Messe Preview stellen sie ihre Entwicklung vor.

Industriestandard: die Lavaldüse

Der Aerospike ist ein Gegenentwurf zum Triebwerksklassiker, der Lavaldüse, oder genauer: Er ist der Versuch, deren großen Nachteil loszuwerden. Die Antriebsleistung hängt stark vom Umgebungsdruck ab.

Triebwerke dieses Typs sind zwangsläufig auf einen bestimmten Druck optimiert. Ist dieser niedriger als der Umgebungsdruck, schnürt der Schubstrahl ein. Ist er höher, spricht man von Überexpansion. Einen Eindruck davon erhält, wer sich von Außenbordkameras aufgenommene Videos von Raketenstufen im Orbit ansieht. Mit abnehmendem Druck fächert der Strahl zu den Seiten auf.

Im idealen Schubstrahl bewegen sich alle Gasmoleküle parallel, dem Geschwindigkeitsvektor der Rakete entgegengesetzt. Im Lavaltriebwerk tun sie das allerdings nur in einem kleinen Druckbereich. Es wäre ineffizient, dasselbe Triebwerk beim Start (1 bar) und im Orbit (0 bar) zu verwenden.

Das ewige Talent: der Aerospike

Auch der Schubstrahl des Aerospike-Triebwerks ändert sich mit dem Umgebungsdruck, allerdings bleibt der Gasstrom immer parallel. „Die Antriebsleistung ist quasi unabhängig vom Umgebungsdruck“, sagt Mirko Riede, Gruppenleiter 3D-Generieren am Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS.

Foto: Institute of Aerospace Engineering, TU Dresden/Fraunhofer IWS Dresden

Das Gas muss in der Düse geführt werden. Diese Aufgabe übernimmt ein Spike (dt. Spitze), der mitten im Schubstrahl montiert ist (s. Grafik). Der Spike bildet ein Bauteil mit dem Injektor. Dieses ist mit der Umhausung der Düse durch Laserschweißen verbunden.

Die spezielle Geometrie des Motortyps ist seine größte Stärke und zugleich seine größte Schwäche. Und das hat mit der Kühlung zu tun. Raketentriebwerke nutzen ihren kryogenen Treibstoff, um die Hitze aus dem Triebwerk zu transportieren: Auf dem Weg zum Injektor werden die kalten Fluide durch die Metallstrukturen geleitet. Die Kühlung gelingt – vereinfacht gesagt – umso besser, je größer der Injektor wird, je mehr Treibstoff also fließt. Und sie gelingt umso besser, je weniger Fläche gekühlt werden muss.

Vergleich der Triebwerke

Soll die gleiche Menge Treibstoff eingeleitet werden, ist ein Aerospike deutlich größer als eine Lavaldüse. In der Mitte ist der Spike – und deshalb sind die Injektoren der Brennkammer nicht auf einen Kreis verteilt, sondern auf einen Kreisring. Zudem kommt zur Fläche der Triebwerksumhausung außen die Innenfläche des Spikes hinzu. Die der Hitze ausgesetzte Fläche nimmt also drastisch zu, die Treibstoffmenge hingegen nicht.

Insbesondere ist der Spike in der Mitte des Schubstrahls ständig von heißen Abgasen umströmt. Die Kühlung ist – gelinde gesagt – aufwendig und der primäre Grund, warum Aerospikes nicht fliegen.

Kühlkanäle und Nickelbasislegierung

Nach Ansicht der Dresdner Forscher lässt sich das Problem lösen. Additive Verfahren sollen die Kühlung sicherstellen – aus zwei Gründen. Erstens ermöglicht der schichtweise Aufbau der Metallbauteile komplexe Geometrien auch im Innern. Das ist wichtig, weil ein Netz von Kühlkanälen den Spike durchziehen soll. Zweitens lassen sich einige Wunschmaterialien besser additiv fertigen als aus dem Vollen fräsen – Nickel-Basis-Legierungen zum Beispiel. Bekannt aus den thermisch stark beanspruchten Regionen in Flugzeugtriebwerken, sind diese Materialien extrem temperaturbeständig, aber der Albtraum jeder Fräsmaschine.

Die Wissenschaftler haben mit ihrem Design bei Null angefangen. Bislang sind zwei Demonstratoren mit der Treibstoffkombination LOX-Ethanol entstanden. Der erste, ein Geometriedemonstrator, war für 35 kN Schubkraft ausgelegt, ein Fünftel des Ariane-6-Oberstufen­antriebs Vinci. Weil es für ein Triebwerk dieser Größenordnung keine bezahlbare Testinfrastruktur in Deutschland gibt, bauten die Dresdner ein zweites Modell mit 500 N und zündeten es am TU-eigenen Teststand. Sie richteten ein Kamerasystem auf den Schubstrahl und Infrarottemperatursensoren auf die Umhausung. Der Spike bestand bei diesen Tests noch aus einer warmfesten Stahlgüte. Für spätere Versuche ist eine Nickelbasis­legierung vorgesehen.

Gerade ist das Forschungsprojekt CFDμSAT gestartet, in dem das Einspritzsystem verfeinert wird. Für den Aerospike läuft die Projekt­akquise.

Und warum das Risiko? Warum an einem Motor verzweifeln, der aus Maschinenbauern Spielverderber macht? „Microlauncher sind der Hauptgrund, daran zu arbeiten“, sagt der IWS-Forscher Michael Müller. „Der Aerospike schraubt die Nutzlast hoch und macht deshalb Microlauncher wirtschaftlicher.“

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