Senkrechte Gewächshäuser 03. Sep 2024 Von Bettina Reckter Lesezeit: ca. 4 Minuten

Vertical Farming: Pflanzenanbau der Zukunft

Die Nachfolger der Hängenden Gärten von Babylon könnten schon bald zur Lebensmittelversorgung in ganzen Landstrichen beitragen. Denn beim Vertical Farming geht die Landwirtschaft regelrecht die Wände hoch.

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Indoor-Landwirtschaft wie in diesem vertikalen Farmgewächshaus in Cleburne, Texas, erlaubt den Pflanzenanbau in kontrollierter Umgebung. Vom Boden bis zur Decke gestapelt, oft unter künstlichem Licht, erhalten die Pflanzen mit Nährstoffen angereichertes Wasser.
Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS/LM Otero

Zugegeben: Noch fristet das Vertical Farming, also der Pflanzenanbau in Regalen und Containern, an Häuserfassaden und auf Dächern oder in tageslichtfreien Fluren und Großraumbüros eher ein Nischendasein. Doch der Klimawandel mit Dürren und Wasserknappheit bzw. mit Starkregenereignissen und Überschwemmungen zwingt die Landwirtschaft zum Umdenken. Und auch in Regionen, wo fruchtbarer Boden Mangelware ist, bietet sich diese Anbaumethode an.

Was versteht man unter Vertical Farming?

Im Grunde geht es beim Vertical Farming um die kommerzielle Kultivierung von Pflanzen in der Vertikalen statt in der Horizontalen, sprich: auf dem Acker. Dies geschieht meist in Innenräumen, weshalb auch die Versorgung mit Licht, Wasser und Nährstoffen anders vonstattengeht als auf landwirtschaftlichen Böden. Für viele Probleme scheint diese Anbaumethode einen nachhaltigen Lösungsansatz zu liefern: etwa für den Klimawandel, die zunehmende Urbanisierung, den Verlust der Biodiversität und die Verschlechterung der Bodenqualität im Freiland.

Wo hat die ungewöhnliche Anbaumethode ihren Ursprung?

Wenn man so will, waren die Hängenden Gärten von Babylon eine sehr frühe Form von Vertical Farming. Die griechische Sagengestalt der Semiramis hatte der Legende nach in Babylon am Euphrat auf dem Gebiet des heutigen Iraks eine aufwendige Gartenanlage auf ihrem Palast anlegen lassen. Auf mehreren 120 m breiten Terrassen übereinander gebaut erreichte dieses urbane Vegetationsgebiet eine Höhe von etwa 30 m. Die Gärten der Semiramis zählten zu den sieben Weltwundern der Antike.

Erste Gedanken zum Vertical Farming im modernen Sinne entwickelte 1999 Dickson Despommier, Professor für Umweltgesundheit und Mikrobiologie an der Columbia University in New York City. Eigentlich ging es damals um die Bepflanzung von Dachgärten. Zusammen mit seinen Studenten wurden für den Anbau von Nutzpflanzen in Manhattan rund 13 Acres (umgerechnet 5,26 ha) Nutzfläche veranschlagt, um dort rund 50.000 Bewohner zu versorgen. Doch das Projekt hätte nur einen Bruchteil des gewünschten Ertrags gebracht. So kam Despommier auf die Idee, die Kulturen in einer vertikalen Anordnung anzubauen, um Platz zu sparen. Das Projekt erzielte viel öffentliches Interesse. 2001 lagen erste Planskizzen vor, mittlerweile arbeiten weltweit Wissenschaftler interdisziplinär an einer Weiterentwicklung dieses Projektes.

Das Projekt „Suskult“ hat die Entwicklung eines nachhaltigen Kultivierungssystems für Nahrungsmittel resilienter Metropolregionen zum Ziel. Daran arbeiten Teams des Fraunhofer-Umsicht mit Förderung des Bundesforschungsministeriums. Foto: mauritius images / Rupert Oberhäuser

Doch wie funktioniert eigentlich Vertical Farming?

Es können Dachgärten sein oder Blumenkästen an der Fassade, oft aber reichen auch nur wenige Quadratmeter Bodenfläche bestückt mit Regalen oder spezielle Strukturen in den Wänden von Gebäuden. Beim sogenannten Indoor Farming ohne Tageslicht und natürlichem Regen ist dann aber künstliche Beleuchtung und Bewässerung Pflicht.

Meist gedeihen Obst und Gemüse dabei noch nicht einmal auf Mutterboden, sondern in speziellen Substratbehältern oder sogar auf Kunststoffplatten. Wie bei einer Hydrokultur werden Wasser und Nährstoffe zugeführt, meist rechnergestützt. Weil die Klimatechnik Licht, Wasser- und Nährstoffzufuhr, Temperatur und Belüftung automatisch reguliert und optimal auf die jeweilige Pflanzensorte einstellt, kann – zumindest beim Anbau in geschlossenen Räumen – theoretisch sogar das ganze Jahr über geerntet werden.

Wo gibt es bereits Vertical Farming?

Europas größte vertikale Farm steht nach Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft derzeit in Dänemark. Das Unternehmen Nordic Harvest baut dort Gemüse in 14 Etagen übereinander an. Bei den Dänen stammt der Strom dafür aus Windkraftanlagen, LED-Lampen simulieren Tageslicht, sie tragen aber auch zur Wärmeregulation bei. Die weltweit größte Indoor Farm aber steht in Dubai: Dort wird das Gemüse in Regalen auf einer Grundfläche von mehr als 23.000 m2 gezogen.

Dagegen hat sich das Berliner Unternehmen Infarm beinahe dem Minimalismus verschrieben: Basis sind etwa 2 m hohe Glasvitrinen, die zum Beispiel in die Gemüseabteilung von Supermärkten passen. Auch hier gibt es LED-Beleuchtung sowie eigene Wasser- und Nährstoffversorgung. Das alles wird über eine cloudbasierte Plattform gesteuert. Die Ernte erfolgt dort, wo das Gemüse auch gleich in den Verkauf gelangen kann. Übrigens: Längst gibt es auch Sets für den Gemüseanbau in den eigenen vier Wänden im Handel. Sie werden oft unter dem Begriff „Hydroponik“ angeboten. Gemeint ist damit eine Hydrokultur, in der die Pflanzen ohne Erde in speziellen Nährstofflösungen gedeihen.

Welche Vorteile hat das Vertical Farming?

Auf der Hand liegt der geringe Flächenbedarf. Wenn, wie von den Vereinten Nationen prognostiziert, 2050 knapp 10 Mrd. Menschen auf der Erde leben werden, wird es eine Herausforderung, alle mit frischem Obst und Gemüse zu versorgen. Zumal der Klimawandel eine Landwirtschaft mit der Fläche in vielen Regionen der Welt zunehmend erschwert. Singapur gehört übrigens zu den Vorreitern in Bezug auf Vertical Farming. Schon früh hat man in dem winzigen Staat mit nur 715 km² Fläche mit der innovativen Anbaumethode experimentiert.

Roboter als Gärtner: Im Hyundai Motor Group Innovation Center Singapore (HMGICS) in Singapur zeigt sich, dass voll automatisierte Indoor-Landwirtschaft durchaus eine gewisse Ästhetik besitzt. Foto: picture alliance/Reuters/Edgar Su

Weitere Vorteile: Die Pflanzen erhalten nur die Menge an Nährstoffen und Pflanzenbehandlungsmitteln, die sie wirklich benötigen. Exakt dosiert an die Wurzeln gebracht, geht nichts verloren. Beim Anbau auf dem Acker ist das schon anders. Da können Dünger und Pestizide mit dem Regen ausgewaschen werden und in die Flüsse oder ins Grundwasser gelangen.

Auch wird dem Vertical Farming eine reproduzierbare Qualität der Anbauprodukte zugesprochen. Gute Planbarkeit und sichere Erträge aufgrund der vor Umwelteinflüssen relativ geschützten Biotope sind weitere Faktoren. Und schließlich lassen sich die Produktionsstätten dorthin bauen, wo die Menschen versorgt werden müssen, also näher an den Städten, als es mit der bisherigen Landwirtschaft möglich ist.

Hat Vertical Farming eine Zukunft?

Obwohl diese ungewöhnliche Anbaumethode in Deutschland bereits seit gut 15 Jahren stattfindet, ist das Marktvolumen hierzulande wohl eher überschaubar. Doch das soll sich rasch ändern. Laut Prognosen soll die Marktgröße von Vertical Farming weltweit im Jahr 2030 bei 33 Mrd. $ liegen. Dabei soll der vertikalen Landwirtschaft im Vergleich zu pflanzenbasiertem Fleisch, Insektenfood und Lebensmitteln aus dem 3D-Drucker im Jahr 2030 die größte Bedeutung zukommen.

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