Warum Harting schon seit rund 20 Jahren Biogas selbst produziert
Dieses Jahr kaufte Steckverbinderhersteller Harting eine Biogasanlage in Espelkamp. Aber das Unternehmen produziert schon länger Biomethan für die eigene Produktion und verringert damit die Abhängigkeit von Erdgas.
Während sich viele Unternehmen erst seit Beginn des Ukrainekrieges mit nachhaltigen Alternativen zu Erdgas beschäftigen, ist das bei Harting in Espelkamp schon seit mehr als zehn Jahren ein Thema. Was wenige wissen: Der damalige Firmenchef und Sohn des Unternehmensgründers des Steckverbinderherstellers, Dietmar Harting, hatte schon durch seine Mutter immer einen Bezug zur Landwirtschaft. Nach und nach investierte der Chef der Harting Technologiegruppe später in eigene Biogasanlagen.
Nach eigenen Angaben wollte der inzwischen 84-Jährige vor mehr als 30 Jahren lediglich eine Wiese für ein Pferd, bekam aber nur das Angebot, einen kompletten Hof zu pachten. Den bewirtschaftete er mit einem Team. 1996 erhielt er das Angebot den Nachbarhof in Uchte zu übernehmen und schlug zu. „Insofern war ich neben meiner unternehmerischen Tätigkeit auch Landwirt“, erinnert er sich heute schmunzelnd.
EEG motivierte Harting zur Produktion von Biogas
Als in der Ära des Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aufkam, wurde auf den Höfen Biogas ein Thema. Die Energieerzeugung bei Harting begann damals mit einem Schweinestall und dem Bau einer 0,5-MW-Biogasanlage. Damit wurde vor allem Strom erzeugt, das war damals üblich und politisch gewollt. Die Biogasverstromung lieferte Ökostrom vor allem für den Grundlastbedarf. Ein Teil der Abwärme konnte im landwirtschaftlichen Betrieb genutzt werden. „2002 haben wir schnell gelernt, dass wir zwar den Strom schnell verkaufen, aber die Wärme kaum nutzen konnten“, berichtet Harting. Deshalb habe man sich ab 2011 auf die Produktion von Biomethan konzentriert: Das ist aufbereitetes Biogas, das als Biomethan chemisch mit Erdgas vergleichbar ist und entsprechend einsetzbar ist. Man spricht auch davon, dass Biogas zu Biomethan „veredelt“ wird.
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Das Biomethan speist das Unternehmen seitdem in eine öffentliche Gasleitung ein, die sich direkt am Grundstück mit der Biogasanlage befindet. Über dieses Netz wird das Biomethan verkauft und auch von der Firma Harting im etwa 30 km entfernten Espelkamp genutzt. Mit der heutigen 3-MW-Anlage könnten etwa 2800 Haushalte versorgt werden. „Auch wenn das teurer war als Erdgas, haben wir damit bereits 2019 die gesamte Produktion beheizt“, verkündet Dietmar Harting selbstbewusst. Sein Sohn und Nachfolger als Vorstandsvorsitzender der Harting Technologiegruppe, Philip Harting, verfolge diesen Weg nun weiter.
Biogas für die Produktion wird jetzt direkt im Werk in Espelkamp hergestellt
Anfang 2024 hat die Firma Harting einen zweistelligen Millionenbetrag in eine eigene Biogasanlage für den Standort Espelkamp investiert. Der Grund: Versorgungs- und Produktionssicherheit. Denn mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wurde auch eine mögliche Gasmangellage zum Thema. In dem Fall kann die Bundesregierung das in das öffentliche Gasnetz eingespeiste Biogas beschlagnahmen. Die neue Biogasanlage ist in unmittelbarer Nähe zum Firmengelände, das Biomethan gelangt daher ohne Umweg über das öffentliche Netz zu den Verbrauchern im Werk. Weil das Grundstück und die Leitung dem Unternehmen gehören, kann das Gas bei einer Gasmangellage nicht beschlagnahmt werden. Anfänglich wurde zur Absicherung der Lieferfähigkeit des Unternehmens aus dem Ausland stammendes Propan genutzt, das jetzt durch das heimische Biomethan ersetzt wird. 2024 soll damit die Prozesswärme und Nahwärme netzunabhängig gedeckt werden, heißt es vom Unternehmen.
Das lokal erzeugte Biomethan wird künftig in Energiezentralen in den Werken 2 und 3 mit für die Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Außerdem will Harting damit künftig den Schmelzofen betreiben, der flüssiges Aluminium für den Druckguss der Steckergehäuse liefert. Auch Espelkamp kann sich freuen: Mit dem Betrieb der Biogasanlage soll nämlich auch die Beheizung des städtischen Schwimmbads in Espelkamp sichergestellt werden.
Biomethan aus nachwachsenden Rohstoffen
Für die Biogaserzeugung werden in den Anlagen von Harting inzwischen ausschließlich nachwachsende Rohstoffe verwendet, meist Silage aus Maispflanzen oder Gräsern. Experten sprechen auch von Ganzpflanzensilage (GPS), weil die komplette Pflanze dafür genutzt wird. Das Gas entsteht dann vereinfacht beschrieben in einem Gärprozess, der in den Anlagen präzise gesteuert wird, damit die Mikroorganismen optimal arbeiten können.
In einem weiteren Prozess wird aus dem Biogas dann das Kohlendioxid (CO2) abgetrennt. Übrig bleibt Biomethan mit derselben chemischen Formel (CH4) wie Erdgas. Künftig soll auch das abgetrennte CO2 gesammelt werden, um es für andere chemische Prozesse als Rohstoff zur Verfügung stellen zu können. Das bisher genutzte Verfahren der Druckwasserwäsche ist dafür nicht geeignet.
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Darüber hinaus will das Unternehmen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 in Zusammenarbeit mit der „Dietmar Harting Windkraft GmbH“ auch die eigene Stromerzeugung ausbauen. Dazu sollen sechs alte 500-W-Windturbinen mit jährlich 4,8 Mio. kWh elektrischer Leistung gegen drei neue 4,2-MW-Anlagen mit jährlich 27 Mio. kWh ausgetauscht werden. Darüber hinaus ist ein Ausbau der Photovoltaik zur Versorgung der Harting-Standorte geplant.