Ariane 6: Probleme mit Hilfsantrieb vereiteln Bilderbuchstart
Nach einem Bilderbuchstart und mehreren einwandfreien Manövern versagte am Ende ein Hilfstriebwerk. Was hat geklappt und was nicht? Eine erste Analyse.
Die Erleichterung im Kontrollzentrum ist nicht zu übersehen: Die Ariane 6 ist am Abend des 9. Juli gute 50 min in der Luft, als der für Raumtransporte zuständige ESA-Direktor, Toni Tolker-Nielsen, das Victory-V in Richtung der Kamera der Liveübertragung zeigt. Den Erstflug der Rakete wertet er unmissverständlich bereits jetzt als Erfolg. Er hat jeden Grund dazu – zu diesem Zeitpunkt hat die Ariane 6 bereits eine Reihe von einwandfreien Manövern hingelegt und die Funktionsfähigkeit zweier Kernkomponenten demonstriert.
Aber die Mission ist noch nicht vorbei. Später am Abend stellt sich heraus: Ein Hilfsantrieb hat gegen Ende der Mission versagt. Die Geschichte eines vollen Erfolgs wird sich später nicht erzählen lassen.
Die ESA – federführend und haftbar bei diesem Erstflug – kann auch mit einem Teilerfolg gut leben. Die Teams haben auf den Starttermin am 9. Juli 2024 lange hingefiebert, vier Jahre länger als ursprünglich geplant. Viel hängt davon ab, dass die Ariane 6 ein Erfolg wird.
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Liftoff of Europe’s new rocket #Ariane6 from @EuropeSpacePort in French Guiana at 16:00 local time on 9 July (20:00 BST, 21:00 CEST). 🚀 pic.twitter.com/hFPE6OD6jy
— ESA Space Transport (@ESA_transport) July 10, 2024
ESA-Chef Josef Aschbacher geizte nach dem Erststart nicht mit salbungsvollen Worten. Sein Statement in voller Pracht: „Eine ganz neue Rakete wird nicht oft gestartet, der Erfolg ist in solchen Fällen überhaupt nicht garantiert. Ich hatte das Privileg, Zeuge des historischen Moments zu werden, als Europas neue Ariane-Rakete zum ersten Mal – erfolgreich – gestartet ist und damit unseren unabhängigen Zugang zum All wiederhergestellt hat.“
Was ist die Ariane 6?
Eine Trägerrakete für Satellitenstarts und die Nachfolgerin der Ariane 5. Die Ariane 6 ist eine Schwerlastrakete, die in zwei Varianten gebaut wird. Die erste mit zwei Boostern (Ariane 62) – das sind Feststofftriebwerke, die in der Startphase den Großteil des Schubs beisteuern – und die schwere zweite Variante mit vier Boostern (Ariane 64). Die Ariane 64 kann 11.500 kg Nutzlast in einen geostationären Orbit mit einer Bahnhöhe von 36.000 km bringen und 21.600 kg in einen erdnahen Orbit.
Warum wird der Erststart als Erfolg gewertet?
Bei neuen Raketen kann viel schiefgehen, das zeigt das Beispiel des SpaceX-Trägers Starship, welcher beim Start zuhauf explodiert ist. In der Branche ist von einer Misserfolgsquote von 25 % bis 40 % bei Erststarts die Rede.
Beim Erststart funktionierten beide Booster einwandfrei. Auch die Unterstufe mit dem Vulcain-Antrieb tat genau das, was sie tun sollte. Die Ariane 6 erreichte beim Erststart die angepeilte Kreisbahn mit 590 km Bahnhöhe und konnte den Großteil der 17 Satelliten an Bord sicher am Ziel absetzen.
Hinzu kommt: Die Ariane 6 konnte die Funktionsfähigkeit zweier wichtiger Komponenten erfolgreich demonstrieren. Diese – das Oberstufentriebwerk Vinci und die sogenannte Auxiliary Power Unit (APU) – machen die Flexibilität der Ariane 6 im Kern aus.
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Warum ist das Triebwerk Vinci wichtig?
Vinci ist – anders als andere europäische Antriebe in der Vergangenheit – wiederzündbar: Es lässt sich aus- und wiederanschalten. Satelliten werden während sogenannter ballistischer Phasen abgesetzt, weil sich Rakete und Nutzlast dann im Kräftegleichgewicht befinden: Der Antrieb ist dann jeweils ausgeschaltet. Kann der Antrieb anschließend noch mal gezündet werden, kann die Oberstufe einen weiteren Aussetzpunkt ansteuern. Das ist besonders relevant für Satellitenkonstellationen wie Kuiper (Amazon), Oneweb und Iris2, die in Losen von 20 bis 30 Satelliten gestartet und zum Beispiel paarweise ausgesetzt werden. Vinci erschließt der Ariane 6 den lukrativen Konstellationenmarkt.
Während der ersten Mission hat die Oberstufe an verschiedenen Stellen Satelliten ausgesetzt; die Wiederzündbarkeit ist demonstriert worden.
Welche Ziele hat die Ariane 6 nicht erreicht?
Die Oberstufe hat ihren letzten Aussetzpunkt nie erreicht; einige Satelliten werden für immer an Bord bleiben. Hinzu kommt: Ursprünglich war geplant, dass sich die Oberstufe mit der letzten Vinci-Zündung selbst aus dem Orbit entfernt – und einen kontrollierten Absturz einläutet. Auch das hat nicht geklappt, die Oberstufe bleibt oben, bis sie von alleine abstürzt.
Was ist schiefgegangen bei der ersten Mission?
Es hat ein Problem mit der APU gegeben, die für die Vinci-Zündung dringend benötigt wird. Die APU ist ein Gasgenerator mit zwei Aufgaben. Erstens lässt sie Gas in die Tanks strömen, um diese so unter Druck zu setzen, dass Treibstoff in die Brennkammer gefördert werden kann. Ohne Druck im Tank kein Treibstofffluss. Zweitens erzeugt die APU Mikrogravitation, minimale Kräfte beenden das Kräftegleichgewicht – oder die Schwerelosigkeit – der ballistischen Phase. Das ist wichtig, weil sich während des Aussetzens der Satelliten auch der Treibstoff in Schwerelosigkeit befindet und überall hinwabert, aber nicht in Richtung der Düse. Die APU zieht den Treibstoff nach hinten – zur Düse hin – und garantiert die Wiederzündung.
Das Problem trat während einer sogenannten „technischen Demonstrationsphase“ am Ende der Mission auf. Die APU zündete zunächst, schaltete dann aber ab. Laut dem Raketenbauer ArianeGroup steht die Ursache noch nicht fest, zunächst müssen Daten ausgewertet werden. „Das ist bedauerlich, aber das ist auch der Grund, weshalb wir eine technische Demonstration vornehmen, weil es Dinge gibt, die wir nicht am Boden testen können“, sagte ArianeGroup-Chef Martin Sion am Abend nach dem Erststart.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Teams von ESA und ArianeGroup werden nun die Flugdaten und die Daten der APU analysieren. Stand jetzt ist der zweite Flug – der erste kommerzielle – für Ende 2024 geplant. Im kommenden Jahr sollen sechs Raketen starten und acht im Jahr 2026. Neun pro Jahr: Das ist die angepeilte Produktionskadenz für die Ariane 6. Bislang sind 30 Ariane-6-Träger gebucht, davon 18 für die Satellitenkonstellation Kuiper des Amazon-Konzerns.
Ist die Ariane 6 konkurrenzfähig mit der Falcon 9 von SpaceX?
Die Ariane 6 wurde 2014 auf der ESA-Ministerratskonferenz mit dem Ziel beschlossen, im Vergleich zur Ariane 5 40 % der Produktionskosten einzusparen. Die Ariane 5 ist allerdings schon lange nicht mehr der Maßstab für kommerziellen Erfolg. Sinnvoller ist ein Vergleich mit der Falcon 9 des Raketenbauers SpaceX. „SpaceX ruft pro Falcon-9-Start Preise zwischen 60 Mio. $ und 70 Mio. $ auf und hat den Preis mangels Wettbewerb sogar erhöht. Die Kosten liegen offenbar eher in der Größenordnung von 40 Mio. $. Wir wissen: SpaceX kann mit dem Preis runtergehen, wenn die Ariane 6 auf den Markt kommt“, sagte ESA-Direktor Tolker-Nielsen im Interview mit VDI nachrichten. „Wir werden teurer sein, haben aber den Vorteil, dass wir europäisch sind. Viele Satellitenbetreiber aus der Telekommunikationsbranche sind aus Europa und konkurrieren mit der SpaceX-Konstellation Starlink. Sie haben ihre Unterstützung für die Ariane 6 als europäischen Zugang zum Weltall angekündigt.“