RAUMFAHRT 09. Jul 2019 Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 5 Minuten

„Die ESA ist der gute Onkel“

Frank Salzgeber, Leiter Technology Transfer bei der ESA, weiß, was künftig von Ingenieuren verlangt wird.

Frank Salzgeber: „Unsere Ingenieure müssen extrem gut darin sein, Leichtbau, Widerstandsfähigkeit und Leistung in einem Paket zu kombinieren.“
Foto: ESA

VDI nachrichten: Wollten Sie als kleiner Junge Astronaut werden?

Salzgeber: Mein erster Held war nur wenige Zentimeter groß. Der kleine Astronaut gehörte 1978 zum Team aus der Lego-Space-Serie. Die Figuren benutze ich auch heute noch bei meinen Präsentationen. Als ich meine Arbeit bei der ESA begann, poppte das alles wieder hoch.

Frank Salzgeber: Der Transferspezialist

Frank Salzgeber ist Leiter Technology Transfer und Innovationsmanagement bei der Europäischen Raumfahrt Agentur ESA. Der Wirtschaftsingenieur begann seine Karriere bei Apple Computer, 2000 gründete er sein erstes Start-up, das später in einem Börsenunternehmen aufging.

Bei ESA unterstützte Salzgeber über 300 Start-up-Firmen und ermöglichte 150 Technologietransfers. ws

Wenn man von Karriere spricht, spricht man meist von der Zeit nach dem Abitur. Wie war das bei Ihnen?

Nach meinem Wehrdienst wollte ich unbedingt Wirtschaftsingenieurwesen studieren. Das gab es damals nur in München, als integrierten Studiengang mit zwei Fremdsprachen. Mein damaliger Professor Schrieber, ein Werkstofftechniker aus dem Hause BMW, hat immer gesagt: „Der Entwicklungsingenieur weiß was, aber kann nichts. Der Ingenieur in der Fertigung kann was, aber weiß nichts. Und der Wirtschaftsingenieur kann nichts und weiß nichts. Aber die ersten beiden kommen mit Problemen, der dritte mit Lösungen.“ Als Wirtschaftsingenieur ist man eben breiter aufgestellt.

Die ESA baut auf Hightech. Passt da ein Wirtschaftsingenieur ins Schema?

Die ESA hat ein Budget von 5,3 Mrd. € im Jahr, ungefähr 90 % gehen in die Industrie. Wir sind wie der Architekt, der das Design und das Quality Controlling macht. Deswegen liegt die Hauptlast tatsächlich auf den Ingenieuren, die die Sachen verstehen müssen. Trotzdem ist es auch wichtig, zwischen den verschiedenen Fachbereichen und Fachgebieten Zusammenhänge zu erkennen. Das geht von der Materialforschung bis hin zur Schwerelosigkeitsforschung. Und dann auch noch das Kaufmännische zu bewerten – spätestens da kommt der Wirtschaftsingenieur ins Spiel.

Bekommt die ESA die Ingenieure, die Sie haben will?

Wir bekommen sie, haben aber ein Riesenproblem, Fachleute aus Deutschland zu kriegen. Ingenieure mit Erfahrung zur ESA zu lotsen, ist extrem schwer, weil in Deutschland fast Vollbeschäftigung herrscht.

Also handelt es sich in erster Linie um ein quantitatives Problem.

Nicht nur. Es gibt genügend Hochschulen, die Angebote im Bereich Raumfahrt unterbreiten. Unsere Ingenieure müssen extrem gut darin sein, Leichtbau, Widerstandsfähigkeit und Leistung in einem Paket zu kombinieren. Bei uns geht es weniger darum, Kosten einzusparen, sondern Gramm, weil jedes Kilogramm, das wir in den Weltraum schicken, 20 000 € kostet. Die Automobilindustrie rechnet in Kilowatt, wir rechnen in Milliwatt. Da herrscht im ganzen Bereich „Advanced Manufacturing“ ein harter Konkurrenzkampf um gute Leute.

In Deutschland verbindet man Innovationsleistung mit dem Geld, das in Forschung und Entwicklung gesteckt wird. Ist die Raumfahrt Beweis dafür, dass begrenzte Budgets nicht unbedingt der Feind von Innovationen sind?

Ja. Ich sehe das bei den rund 160 Start-ups, die wir im Jahr fördern. Die materielle Begrenzung sorgt dafür, dass man zur Kreativität gezwungen ist. Wenn man zu viel investiert, ist die Gefahr groß, unnütz Geld auszugeben.

Es gibt Institutionen, die zu viel forschen und nicht genügend Kapital daraus schlagen. Beides muss in Balance sein. In der Raumfahrt versuchen wir das. Der kleinste Teil der Raumfahrt ist Forschung, der Rest besteht darin, Unternehmen zu helfen und Produkte zu entwickeln.

Was haben Start-ups von Ihnen? Was haben Sie von Start-ups? Wie sieht das Geschäftsmodell aus?

Je größer ein Unternehmen wird, umso weniger innovativer ist es. In der Batterieforschung lernen wir von der Automobil- und Elektroindustrie. Der Raumfahrtmarkt ist da viel zu klein. Das Prinzip, Ideen von außen zu übernehmen, nennt sich Spin-in. Mein Job ist es nicht nur, die Innovation von der Raumfahrt in die „normale“ Welt zu bringen, sondern sie auch wieder zurück zu transferieren. Und ein guter Bereich für den Technologietransfer sind Start-ups. Die kommen zu uns und wir helfen denen mit unserem Know-how, aber sie uns auch mit ihrem.

Sie unterstützen die Firmen wirtschaftlich und nicht technologisch?

Auch technologisch. Ein Start-up bekommt von uns technischen Support und Zugang zu unseren Ingenieuren und Partnernetzwerken. Wir helfen auch im Marketingbereich und beim Businessplan. Die ESA ist so etwas wie der gute Onkel, der nicht unmittelbar Geld mit Start-ups verdienen will, aber schaut, dass diese Firmen wachsen. Man könnte noch ein anderes Bild bemühen: Auf den Schultern des Riesen sieht man weiter. Und wir sind dieser Riese. Das ist ein Modell, mit dem wir schon vielen auf die Beine geholfen haben.

Worauf schauen Sie bei der Auswahl von Start-ups zuerst?

Auf das Team, dann auf das Business-Modell, den Markt und dann erst auf die Technologie.

Wie groß ist die Überlebensrate der Start-ups?

87 % der Firmen existieren noch nach fünf Jahren. Das ist weltweit gesehen sehr viel. Ich finde diesen Wert zu hoch. Wir müssen schauen, dass wir noch mehr Risiken eingehen, darum könnte ich mit einer Überlebensrate von 60 % leben.

Wem gehört die Zukunft: dem Ingenieur, dem ITler, oder dem Mix aus beiden?

Die beste Party ist die „Mixed-Pickles-Party“, wo es gut durchmischt ist: Sie kennen zehn Leute und 50 kennen Sie nicht. Und genau so ist es auch in einem Unternehmen mit einem Team. Je durchmischter das Team ist, desto kreativer ist es.

Ich glaube deshalb, die Zukunft gehört allen. Sie brauchen immer noch den normalen Maschinenbauer, aber auch den ITler, den Wirtschaftsingenieur, der das Paket schnürt. Wichtig ist, dass alle zusammen bauen wollen.

Und welche Technologien haben Zukunft?

Der ganze Bereich Robotik ist hoch spannend. Die Robotik wird uns keine Arbeitsplätze wegnehmen und auch sonst keine Gefahr darstellen. Ein anderes heißes Thema ist Quantenkryptografie: Ich übertrage nur eins von zwei Photonen, und sende meinen Verschlüsselungscode. Und dann der ganze Bereich der Erdbeobachtung: Wenn Sie heute schwimmen gehen, kann ich Ihnen sagen, wie die Wassertemperatur ist und wie die Wasserqualität, dazu noch die Windgeschwindigkeit. Ich rate Ihnen, was für eine Sonnencreme Sie brauchen. Wir können sogar feststellen, ob das Gras, auf dem Sie liegen, mehr Dünger braucht oder nicht. Es lässt sich feststellen, welches Haus in Deutschland eine Baugenehmigung hat und welches nicht. Alle diese Querthemen, wo Technik in Bereiche vorstößt, wo sie vorher noch nicht war, sind relativ spannend. Nein, es ist superfaszinierend.

Apropos Räume, in denen die Technik noch nicht war. Die erste Mondfahrt liegt 50 Jahre zurück. Wenn man den Leuten damals gesagt hätte, „Im Jahre 2018 werden wir uns immer noch nicht auf dem Mond angesiedelt haben“, dann fragen die Menschen: Warum dann die aufwendige Forschung?

Da gebe ich Ihnen absolut recht. Irgendwie sind wir da alle ein wenig betrogen worden. Statt Mondbasis „Alpha One“ und Raumflüge haben wir Facebook und Google bekommen. Das ist ein schlechter Tausch.

Man müsste ein Business-Konzept nach dem Vorbild einer Stadtplanung und eines Betreibermodells schaffen, an dem sich große Technologieunternehmen beteiligen. Das erste Grundstück auf dem Mond kostet nichts, das zweite bis zehnte Grundstück kostet die Hälfte usw. Ich glaube, man muss einfach neue Wege finden. Über kurz oder lang werden wir dahinkommen und auch den Mars kolonisieren. Die Technik ist nicht das Problem, sondern meist das Business-Modell. Und da kommt gerne wieder der Wirtschaftsingenieur und sagt: „Lass uns das doch anders verkaufen. Lass uns das verleasen.“

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