Jupiter-Sonde Juice 20. Jul 2021 Von Iestyn Hartbrich Lesezeit: ca. 6 Minuten

Unter dem Eis

Jupiters Eismonde könnten tief in ihrem Innern außerirdisches Leben beherbergen. Die ESA-Mission Juice soll 2022 dorthin starten. Es wird ein Rennen gegen die Zeit und das Coronavirus.

Risse im Eis: Der Jupiter-Mond Europa wird durch die Gezeitenkräfte des Planeten durchgewalkt. Die Narben sind ihm anzusehen.
Foto: Nasa/JPL

Einen besseren Kandidaten gibt es nicht. Nicht in diesem Sonnensystem. Wenn die Menschen außerirdisches Leben finden, dann wohl am ehesten auf Europa.

Europa ist ein Jupitermond. Und auf den ersten Blick spricht alles dagegen, dass dort draußen etwas lebt. Die Sonne ist fern, die Temperaturen sind eisig. Das Magnetfeld des Jupiters ist zudem 20 000-mal so stark wie das der Erde. Und dann ist da noch die Strahlung: Um den Jupiter kreist – angetrieben durch das Magnetfeld – eine riesige Scheibe aus Plasma. Das sind geladene Teilchen von einem anderen Mond, Io, dem aktivsten vulkanischen Körper des Sonnensystems. Er wird durch die Gezeitenkräfte des Jupiters innerlich durchgewalkt und speit unaufhörlich ionisierten Schwefel und Sauerstoff in Jupiters Magnetosphäre. An der Oberfläche der Monde hätte Leben tatsächlich keine Chance.

Unter der Eiskruste

Deshalb sucht man auch nicht an der Oberfläche. „In den vergangenen 30 Jahren gab es in der Planetenforschung eine Revolution. Immer haben wir in Sonnennähe nach flüssigem Oberflächenwasser gesucht. Jetzt wissen wir, dass wir fernab der Sonne suchen müssen, in Ozeanen unter der Eiskruste“, sagt Michele Dougherty vom Imperial College in London.

Die Physikerin ist beteiligt an einer ESA-Mission, die die drei großen Jupiter-Eismonde besuchen soll: Europa, Ganymed und Callisto. Angekündigt ist ein wissenschaftliches Spektakel: Kilometerdicke Eispanzer sollen durchleuchtet, winzige Schwankungen in dreifach überlagerten Magnetfeldern detektiert werden – im Vorbeiflug.

Für den Start der Sonde Juice (Jupiter Icy Moons Explorer) peilt die europäische Raumfahrtagentur ein Zeitfenster an, das sich im Mai 2022 öffnet und Anfang Juni wieder schließt. „Noch ist das realistisch“, sagt der ESA-Projektleiter Giuseppe Sarri. Aber die Covid-19-Pandemie hat aus der Mission ein Rennen gegen die Zeit gemacht.

Dreischichtbetrieb

Der Airbus-Standort Friedrichshafen am Bodensee. Draußen peitschen die Böen eines Sommergewitters das Wasser. Drinnen in der Juice-Montage im Reinraum geht es ebenfalls stürmisch zu. Sämtliche Tische sind mit technischen Zeichnungen übersäht, über denen Teams in blauen und weißen Kitteln brüten. In den benachbarten Räumen liegen die Strukturen bereit, die als nächstes montiert werden: hier eine Außenwand, dort der Arm für eines der zehn Messinstrumente. In der Umkleide ist das Stimmengewirr babylonisch: Polnische und französische Gesprächsfetzen mischen sich mit spanischen und deutschen. Hier und da ein englischer Gruß.

Während des ersten Corona-Lockdowns hat Airbus den Zweischichtbetrieb aufrecht erhalten. Das reicht jetzt nicht mehr, der Satellitenbauer bietet alles auf, was er hat. „Wir arbeiten hier rund um die Uhr“, sagt Projektleiter Markus Faust. Oder in den Worten von Thilo Nacke, verantwortlich für den Zusammenbau und die Tests: „So etwas hatten wir hier noch nicht.“

„Wir arbeiten hier rund um die Uhr“: Markus Faust ist Juice-Projektleiter am Airbus-Standort Friedrichshafen. Foto: Airbus Defence & Space

Zusätzliche Millionen

Die ESA pumpt zusätzliche Millionen in Juice, um den Zeitplan einzuhalten. Rutscht man ins nächste Startfenster im Herbst 2022, dauert die Reise nicht sieben Jahre, sondern neun. Dann fallen 50 Mio. € Zusatzkosten an, etwa am Kontrollzentrum in Darmstadt, dessen Dienste länger benötigt werden. Viel schwerer wiegt: Ein späterer Start würde die Forschung beeinträchtigen. Juice ist ein Flaggschiff der ESA, eine so große Mission kann die Agentur nur alle paar Jahre stemmen. 970 Mio. € beträgt allein das ESA-Budget. Mitsamt den Messinstrumenten kostet Juice 1,5 Mrd. €. Bahnbrechende Erkenntnisse sind der Anspruch. Die ESA will wissen, ob Europa und vielleicht sogar Ganymed Leben beherbergen können. Beide haben Ozeane. „Auf dem Mars suchen wir nach Spuren von Leben, das es nicht mehr gibt. Am Jupiter charakterisieren wir Monde, auf denen es noch immer Leben geben könnte“, sagt ESA-Projektleiter Sarri.

In der Astrobiologie gibt es Kriterien dafür, ob auf einem Himmelskörper Leben entstehen kann. Die wichtigsten sind: flüssiges Wasser, eine interne Energiequelle, Mineralien in der Kruste und Schutz vor Strahlung. Europa erfüllt sie alle mit seinem Untergrundmeer. Die Eiskruste schirmt die Strahlung ab. Gleichzeitig ist der Mond nah genug am Jupiter, um durch dessen Gezeitenkräfte durchgeknetet zu werden. Im Innern ist er deshalb glühend heiß, Vulkane spülen lebensnotwendige Mineralien aus dem Kern ins Wasser. Geysire schießen bisweilen sogar Wasser durch Risse in der Eiskruste Hunderte Kilometer in die Höhe.

1,5 Mrd. € Gesamtkosten: Juice zählt zu den großen ESA-Missionen. Ziel sind die Jupiter-Eismonde Callisto, Ganymed und Europa. Foto: Airbus Defence & Space

Warme Dusche

Womöglich fliegt Juice durch einen Sprühnebel aus Europa-Wasser – so unwahrscheinlich das auch sein mag. Dann schlägt die Stunde des Weltraumplasmaspezialisten Stas Barabash, Direktor des Schwedischen Instituts für Raumfahrtphysik und verantwortlich für das Instrument Pep. Pep soll sämtliche Teilchen untersuchen, deren Weg Juice kreuzt. Es wäre in der Lage, das Wasser aufzufangen und im Flug zu untersuchen. „Mit viel Glück haben wir direkten Kontakt zum Ozeanmaterial. Das wäre das Traumszenario, aber Träumen muss erlaubt sein“, sagt Barabash.

Was auch immer über dem Mond zu messen ist, die Teams haben nur wenige Stunden Zeit dafür. Europa hat kein Magnetfeld, das die Sonde von Jupiters gigantischem Strahlengürtel abschirmen könnte. Juice kann nicht in einen Europa-Orbit einbremsen.

Blick ins Innere

Während der zwei kurzen Vorbeiflüge in 400 km Höhe ist auch das Instrument Rime gefragt. Das Radar sendet niederfrequente Strahlung von 9 MHz zum Mond. Die Strahlen passieren den Eispanzer und werden – so die Hoffnung – am Phasenübergang zwischen Eis und Ozean reflektiert. Auch unterwegs gibt es Reflexionen, zum Beispiel, wenn zwei Schichten mit unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften aufeinandertreffen. Auf diese Weise entsteht ein Radargramm: ein Abbild der Krustenzusammensetzung. „Zum ersten Mal messen wir Menschen unter der Oberfläche eines Himmelskörpers im äußeren Sonnensystem“, sagt Lorenzo Bruzzone, der für Rime verantwortliche Wissenschaftler.

Noch ist unbekannt, wie dick die Eiskruste ist. 10 km, 20 km, oder sogar 100 km? Die Spekulationen gehen auseinander. Rime ist nur für eine Eisdicke von 9 km ausgelegt, aber Bruzzone ist zuversichtlich, dass das reicht. Und das hat mit der Glätte des Monds zu tun. Europa hat kaum Krater, was dafür spricht, dass er geologisch aktiv ist, dass es etwas gibt, das die Oberfläche wieder herstellt. Jupiters Kräfte lassen die Eiskruste bersten und Wasser austreten. Unter den frisch zugefrorenen Spalten könnten Eislinsen liegen – so wie im Grönländischen Eisschild.

Messtricks

Juice wird eine Art Festival der Messtechnik; die Instrumente sind zu allerhand Tricks in der Lage. Rime zum Beispiel. Das Radar soll nicht nur die eigene, sondern auch die Radiostrahlung des Jupiters nutzen, um die Eiskrusten zu vermessen. Dazu vergleicht das Instrument das Jupitersignal mit der Reflexion dieses Signals, das von der Mondoberfläche aufsteigt, und erstellt daraus ein Radargramm.

Oder das Magnetometer J-Mag, für das Michele Dougherty verantwortlich ist. Ziel ist es, die Induktionssignatur des Ganymedozeans zu messen. Die im Wasser gelösten Mineralien erzeugen durch die Mondrotation einen Strom, der wiederum ein Magnetfeld erzeugt. Dieses ist im überlagerten Magnetfeld von Jupiter und dem Ganymed-Dynamo allerdings nur als winzige Fluktuation messbar. „Wir suchen die Nadel im Heuhaufen, aber die Nadel ändert ständig Form und Farbe“, sagt Dougherty. Diese Messung soll den entscheidenden Hinweis auf den Salzgehalt des Ozeans liefern. Immerhin ist dafür genug Zeit: Juice soll am Missions­ende nach drei Jahren in einen Ganymed-Orbit einbremsen. Damit die Messung gelingt, muss vermieden werden, dass sie von der elektromagnetischen Strahlung der Juice-Sonde beeinträchtigt wird. Airbus spricht von „Electromagnetic Cleanliness“.

Nicht die einzige Schwierigkeit für Europas größten Raumfahrtkonzern. Die harte Strahlung am Jupiter würde jede Elektronik innerhalb kurzer Zeit grillen. Airbus hat die Leistungselektronik der Sonde sowie die Elektronikboxen sämtlicher Instrumente in zwei dick mit Blei verkleideten Hohlräumen unterbringen müssen.

Kurvenreiche Anfahrt

Auch die verworrene Route zum Jupiter hat ihre Tücken. Um Schwung zu holen, fliegt Juice zunächst ins Innere des Sonnensystems: zur Venus. Je weiter innen ein Planet kreist desto schneller ist er und desto mehr Geschwindigkeit lässt sich in seinem Gravitationsfeld aufbauen. Die Außenhülle muss an der Venus Temperaturen um 110 °C ertragen – gegenüber -220 °C im Jupitersystem. Für die nötigen Manöver braucht es zudem eine Menge Treibstoff. Dem Strukturgewicht von 2,2 t stehen bis zu 3,6 t Treibstoffmasse gegenüber – je nach Startfenster. Insgesamt kann Juice damit bis zu 6,7 t wiegen, was die europäische Schwerlastrakete Ariane 5 an ihre Leistungsgrenze bringt.

Kaum Puffer

Bei der ESA gilt für Großprojekte eine Faustregel: ein Monat Puffer pro Jahr bis zum Start. Demnach müssten es für Juice noch zwei Monate sein, aktuell sind es nur vier Wochen. Die Sonde muss noch mehrmals umziehen: ins niederländische Noordwijk, nach Toulouse und schließlich zum Weltraumbahnhof in Kourou. Ob sie pünktlich startklar ist, hängt nun vor allem am Verlauf der Covid-19-Pandemie. Giuseppe Sarri von der ESA: „Ich glaube, eine zweite Corona-Welle könnten wir verkraften – wenn sie bloß nicht so schlimm ausfällt wie die erste.“

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