Technikgeschichtliche Tagung des VDI 26. Feb 2021 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 4 Minuten

Historiker-Kongress würdigte den einstigen VDI-Direktor Conrad Matschoß

Die Technikgeschichtliche Tagung gab Einblick in Leben und Wirken des einstigen VDI-Direktors Conrad Matschoß. Ein weiteres Thema waren die Aktivitäten der Arbeitskreise Technikgeschichte im VDI.

Eisengießerei der Maschinenfabrik R. Wolf in Magdeburg. Das Foto stammt aus einer von Conrad Matschoß im Jahr 1912 herausgegebenen Firmendarstellung.
Foto: Waldemar Franz Hermann Titzenthale/gemeinfrei

Es sei eine im doppelten Sinn geschichtsträchtige Veranstaltung, betonte Heike Weber zum Auftakt der Technikgeschichtlichen Tagung des VDI vergangene Woche. Zum einen deshalb, weil sie wegen Corona komplett digital stattfinde, so die Vorsitzende des Interdisziplinären VDI-Gremiums Technikgeschichte. Zum anderen habe sich die Tagung den ehemaligen VDI-Direktor Conrad Matschoß zum Thema erkoren, der Technikgeschichte als wissenschaftliche Disziplin im deutschsprachigen Raum begründet habe. Der Geburtstag des studierten Maschinenbauers jährt sich am 9. Juni zum 150. Mal.

Conrad Matschoß war sowohl Technikhistoriker wie „Verbandsmanager und Multifunktionär“, so Wolfgang König. Foto: gemeinfrei

Weber erinnerte an Matschoß‘ Verdienste: So gab er von 1909 an die erste technikgeschichtliche Publikationsreihe „Beiträge zur Technik und Industrie“ heraus. An der TH Charlottenburg lehrte Matschoß zur Geschichte der Maschinentechnik, er setzte sich für den Erhalt technischer Kulturdenkmale ein und war mit Unterbrechung mehr als 20 Jahre Direktor des VDI.

Laut Wolfgang König, bis 2014 Professor für Technikgeschichte an der TU Berlin, ist die zweibändige „Entwicklung der Dampfmaschine“ Matschoß‘ einziges größeres technikgeschichtliches Werk. Als Maschinengenealogie (Ahnenforschung) sei es heute noch wertvoll, was man von den wenigsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen von 1908 sagen könne.

Conrad Matschoß‘ Verhältnis zum Nationalsozialismus

Weitgehend vergessen sei dagegen, dass er als VDI-Direktor in der Zwischenkriegszeit sechs oder sieben Historiker zum Verfassen von Firmenfestschriften eingestellt habe. Insofern sei Matschoß auch Begründer der historischen Teildisziplin „Unternehmensgeschichte“. Seine Leistungen als Technikhistoriker sind König zufolge weit gründlicher erforscht als jene als „Verbandsmanager und Multifunktionär“. Bekannt sei Matschoß‘ Stellung zum Nationalsozialismus. 1934 war er als VDI-Direktor zurückgetreten, das zweite Mal begleitete er die Funktion im Jahr 1937 und war danach mehrere Jahre Vorstandsmitglied des VDI.

Matschoß‘ liberale Überzeugungen standen im Gegensatz zur NS-Ideologie, so König. Jedoch habe Matschoß kollaboriert, um seine Ziele zu erreichen. „Er wollte den VDI erhalten und die Technikgeschichte stärken“´, erläuterte König.In seinen an der TH Charlottenburg verfassten Denkschriften finde sich die NS-Ideologie wieder, etwa im Versuch, mit Technikgeschichte die Rassenbiologie zu begründen. König nannte Matschoß in Anlehnung an die Terminologie der Entnazifizierungsprozesse einen „Mitläufer“.

Corona zwingt Technikgeschichtliche Arbeitskreise des VDI zu virtuellen Treffen

Königs Vortrag nahm Heike Weber zum Anlass, weitere Forschungen zur Stellung des VDI in der NS-Zeit anzuregen. Zwar gebe es dazu Veröffentlichungen aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Doch müssten sie um Erkenntnisse ergänzt werden, die sich aus jüngeren Arbeiten etwa zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (dem Vorläufer der Max-Planck-Gesellschaft) im Dritten Reich ergeben hätten.

Mit Matschoß‘ Ansichten zu Museen beschäftigte sich Frank Dittmann, Kurator am Deutschen Museum in München. Dem VDI-Direktor zufolge war es Aufgabe der Schulen, aus der Technikgeschichte die „zahllosen Märtyrer und vielen großen Helden dem ganzen Volke zu vermitteln“. Von den Museen verlangte Matschoß, dass ihre Exponate nicht nur Besucherinnen und Besucher in Erstaunen versetzen, sondern sie Technik verstehen lassen sollten. Das Zeigen der kulturellen und sozialen Folgen sei ihm besonders wichtig gewesen.

Technikgeschichtler im VDI wollen sich stärker vernetzen

Welche vielfältige historische und pädagogische Arbeit aktuell im VDI geleistet wird, belegte Tagungsorganisator Fritz Neußer mit Zahlen: In 23 von 45 Bezirksvereinen gibt es einen Arbeitskreis (AK) Technikgeschichte. 2019 hatten die AK 146 Veranstaltungen mit rund 3000 Teilnehmenden abgehalten. Die Tagung bot den AK ein Forum zum Austausch. Ulrich Fligge vom Bezirksverein (BV) München, Ober- und Niederbayern berichtete vom notgedrungenen Umstieg auf virtuelle Treffen. Fuhren die Mitglieder 2019 noch auf Exkursionen zur Zugspitzbahn und besichtigten die aufwendige Technik in der Venusgrotte von Ludwig II., trafen sie sich in diesem Jahr nur noch ein- oder zweimal monatlich zu Videokonferenzen mit 40 bis 100 Teilnehmern.

Von einem ähnlichen „virtuellen Neuanfang“ in der Bezirksgruppe Nürnberg erzählte Siggi Bloß. An den Videokonferenzen nehmen allerdings nur fünf bis acht Mitglieder teil. Mit der Leitung des im Herbst in der Frankenmetropole zu eröffnenden Zukunftsmuseum steht die BG im Austausch, etwa für die Entwicklung von Audioguides. Das Durchschnittsalter der AK-Mitglieder liegt bei mehr als 70 Jahren, die Gruppe plagen Nachwuchssorgen.

Vor Überalterung schützt den AK im Westsächsischen BV die Zusammenarbeit mit der TU Bergakademie Freiberg, erklärte Norman Pohl. Der VDI helfe dabei, Referenten für ein dortiges Kolloquium zu gewinnen. Nachwuchswissenschaftler nutzten die Veranstaltungen, um ihre Themen populär zu machen.

Wunsch nach stärkerer Vernetzung

Weil die AK-Aktivitäten per Videokonferenzen ohne Rücksicht auf Entfernungen prinzipiell allen Interessierten zugänglich sind, ließ das in der lebhaften Diskussion den Wunsch nach stärkerer Vernetzung der AK aufkommen. Fritz Neußer dachte im Chat sogar über eine Art „UN der Technikgeschichte“ als Dachorganisation nach, verwies aber auf die beschränkten Ressourcen, während Heike Weber die unterschiedlichen Bedarfe und Interessen von Hochschulen, Museen, Privatinitiativen und anderen Akteuren betonte. Dass das digitale Format nicht nur bei den AK, sondern auch bei der Technikgeschichtlichen Tagung die Vernetzung fördern kann, zeigten die fast 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ein Zuwachs um fast ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr.

Die nächste Tagung wird am 3. und 4. März 2022 an der TU und am Deutschen Technikmuseum in Berlin stattfinden, mutmaßlich als Hybridveranstaltung. Das Thema lautet: „Pflegen, Reparieren, Improvisieren, Gestalten – eine Technikgeschichte des Unfertigen.“ Dass der VDI der Technikgeschichte eine wichtigere Rolle zuweist, hatte Heike Weber bereits am Tagungsbeginn betont. Aus dem entsprechenden Ausschuss sei Ende vergangenen Jahres ein Gremium geworden. „Das wird die Sichtbarkeit der Technikgeschichte im VDI stärken.“

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