Zeitgeschichte 07. Nov 2023 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 4 Minuten

Als Hitlers Techniker Raketen gegen Israel bauten

Ingenieure, die Vergeltungswaffen für das Dritte Reich konstruiert hatten, entwickelten danach in Ägypten Raketen zum Einsatz gegen Israel.

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Ägyptische El-Kahir-Raketen bei der Militärparade in Kairo im Jahr 1962. Die Waffen konnten jeden Punkt in Israel treffen.
Foto: Express/Archive Photos/Getty Images

(Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe 32-33/17 von VDI nachrichten)

„Flugzeugwerk in Nordafrika sucht Fachkräfte jeder Art“ lautete der unverdächtige Kleinanzeigentext, der Ende der 1950er-Jahre in deutschen Zeitungen erschien. Dahinter verbirgt sich das vermutlich unrühmlichste Kapitel bundesdeutscher Ingenieurgeschichte: Jahrzehntelang arbeiteten deutsche Spezialisten, die im Auftrag Adolf Hitlers an den sogenannten Vergeltungswaffen gearbeitet hatten, an Raketen und anderen Waffensystemen, mit denen Ägyptens Herrscher Gamal Abdel Nasser die Einwohner Israels bedrohte.

Ehemaliger SS-Offizier baute Ägyptens Rüstungsindustrie auf

Die Zusammenarbeit setzte bereits zu Beginn der 1950er-Jahre ein, als der ehemalige SS-Standartenführer Wilhelm Voß, der in der Nazizeit kriegswichtige Konzerne geleitet hatte, eine bescheidene Rüstungsindustrie am Nil aufbaute. Rolf Engel, der als SS-Offizier in Peenemünde an den sogenannten Vergeltungswaffen gearbeitet hatte, konstruierte die erste ägyptische Rakete.

Viele der in Ägypten tätigen Ingenieure waren im Dritten Reich an der Konstruktion der V-2 beteiligt. Foto: public domain

Nasser verstärkte die Bemühungen um eine nationale Rüstungsindustrie nach dem gescheiterten Versuch von Franzosen und Briten im Jahr 1956, den Suezkanal mit einer militärischen Intervention unter ihre Kontrolle zu bekommen. Zudem alarmierte ihn, dass Israel an Atomwaffen arbeitete.

Die arabische Niederlage im Sechs-Tage-Krieg bedeutete das endgültige Aus für die deutschen Raketenbauer in Ägypten. Sehen Sie in dieser Bildergalerie, mit welchen Flugzeugen und Panzern Israel der Sieg gelang

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Die Dassault Mirage III C war das wichtigste israelische Flugzeug im Sechs-Tage-Krieg. Mit ihm gelang es innerhalb der ersten Kriegsstunden, die arabischen Luftstreitkräfte zu vernichten.

Foto: Pridan Moshe/Government Press Office

Der britische Kampfpanzer Centurion war von Israel Anfang der 1960er-Jahre gekauft worden. Mit seiner robusten Bauweise und starken Panzerung konnte er auch gegen eine große Zahl arabischer Panzer bestehen.

Foto: Steinmüller

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Neben dem Centurion war der M-48 der wichtigste Kampfpanzer im israelischen Arsenal. Die ersten Exemplare stammten aus einer streng geheimen Lieferung aus der Bundesrepublik. Später wurden sie in deutschem Auftrag in den USA gefertigt und direkt nach Israel geliefert.

Foto: David Eldan/National Photo Collection

Der M-4 Sherman war der erste Standardkampfpanzer des neu gegründeten Staates Israel, zusammengekauft von den Schrottplätzen des Zweiten Weltkriegs. Der Einbau einer französischen 105-mm-Kanone ermöglichte es dem aufgerüsteten „Super Sherman“, moderne Kampfpanzer aus sowjetischere Produktion zu bekämpfen.

Foto: Steinmüller

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Die Dassault Vautour war ein leichter französischer Bomber und Nachtjäger aus französischer Produktion. Mit seiner Reichweite erreichte er auch Flugplätze weit entfernt von Israels Grenzen bis hinein in den Irak.

Foto: Eldan David/Government Press Office

Dassault Super Mystère war der erste Überschalljäger Israels. Im Sechs-Tage-Krieg diente er noch als Jagdbomber, der die fliehenden ägyptischen Kolonnen auf der Sinai-Halbinsel angriff. Dieses Exemplar der französischen Luftwaffe ist im Museum Le Bourget bei Paris ausgestellt.

Foto: Steinmüller

Die Dassault Ouragan war ein Unterschall-Jagdflugzeug, das Israel Mitte der 1950er-Jahre angeschafft hatte, zum Bekämpfen von Bodenzielen aber 1967 noch Dienst tat. Das Foto zeigt eine Maschine im Flugzeugmuseum in Le Bourget bei Paris.

Foto: Steinmüller

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Die Fouga Magister war ein Strahltrainer, der unter anderem bei der deutschen Luftwaffe flog. Es war das erste Flugzeug, das in Israel gefertigt wurde und so wesentlich zum Aufbau der heimischen Luftfahrtindustrie beitrug. Im Sechs-Tage-Krieg fingen mit ungelenkten Raketen ausgerüstete Magister Gegenangriffe jordanische Panzer ab. Das Foto zeigt die erste in Israel gefertigte Magister im Jahr 1958.

Foto: Cohen Fritz/Government Press Office

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Die Noratlas war ein Transportflugzeug aus französischer Produktion, von dem im Rahmen der geheimen deutschen Waffenlieferungen etliche Exemplare an Israel geliefert wurden. Entgegen der israelischen Planung fanden damit keine Luftlandungen im Sechs-Tage-Krieg statt, die Maschinen versorgten stattdessen die Bodentruppen mit Nachschub.

Foto: Hadani Dan/Public Domain

Die Transporthubschrauber Sikorsky CH-34 waren ebenfalls Teil des geheimen Waffengeschäfts. Aus deutschen Bestellungen wurden Exemplare nach Israel durchgereicht. Die Sache flog auf, als ein Sikorsky-Vertreter die in Europa angelandeten Exemplare nachzählte. Im Sechs-Tage-Krieg transportierten die CH-34 israelische Fallschirmjäger hinter die syrischen Stellungen auf den Golanhöhen.

Foto: US Army/Public Domain

Dass Nassers Werben Zulauf fand, lag vor allem an der schlechten Arbeitsmarktlage der Flugzeug- und Raketenspezialisten. Viele waren von ihrer teils erzwungenen Arbeit für die Alliierten zurückgekehrt und fanden keine Angebote in ihren Fachgebieten. Allerdings empfahl sich zumeist nur die zweite Garde für die Jobs am Nil – die erste arbeitete längst mit Wernher von Braun im Weltraumprogramm der USA.

Eugen Sänger war der prominenteste Raketenbauer in Israel

Der prominenteste Wissenschaftler in Nassers Diensten war Eugen Sänger. Der österreichische Ingenieur hatte im Dritten Reich bahnbrechende Arbeiten an Flugzeug- und Raketentriebwerken geleistet. Seit 1954 leitete er das Forschungsinstitut für die Physik der Strahlantriebe in Stuttgart. In Kairo unterstützten ihn seine Institutsmitarbeiter Wolfgang Pilz und Paul Goercke, die beide schon in Peenemünde an der Rakete V-2 gearbeitet hatten. Goercke scheiterte damit, das dringend benötigte Steuerungssystem für die arabischen Waffensysteme zu konstruieren.

Eugen Sänger war der prominenteste deutsche Raketenexperte in Ägypten. Nach seiner Rückkehr leitete er das Institut für Raumfahrtantriebe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Foto: DLR/DVL

Während Nasser in flammenden Reden mit der Vernichtung Israels drohte und ankündigte, „wenn wir Palästina betreten, wird sein Boden mit Blut getränkt sein“, genossen die Raketentechniker das komfortable Leben in Kairo. Die Kinder gingen auf eine deutsche Schule, abends traf man sich in den ehemaligen Kolonialclubs. Dort verkehrte auch Hans Eisele, der die Exilanten und ihre Familien medizinisch betreute. Der KZ-Arzt war in den Lagern Dachau, Buchenwald und Mauthausen an Häftlingsmorden und Menschenversuchen beteiligt. „Der Spiegel“ schrieb über die Spezialisten in Arabien: „Eine Minderheit erblickt in Nasser den Mann, der Hitlers Kampf gegen die Juden fortsetzt.“

Die größte ägyptische Rakete konnte das ganze Staatsgebiet Israels erreichen

Am 21. Juli 1962 starteten vor den Augen der eingeladenen Weltpresse die Prototypen von „El-Safir“ und „El-Kahir“. El-Safir transportierte einen Sprengkopf von 1 t über 280 km. El-Kahir hatte die doppelte Reichweite und konnte damit das komplette Gebiet des jüdischen Staates abdecken. Zwar betrug die Nutzlast nur 100 kg, doch zeigte Ägypten wenig später mit dem Giftgaseinsatz im jemenitischen Bürgerkrieg, dass es vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht zurückschreckte.

Wie die DDR mit Jagdflugzeugen den Krieg gegen Israel befeuerte

In Israel, in das unmittelbar nach dem Krieg 140 000 Holocaustüberlebende ausgewandert waren, löste das ägyptische Raketenprogramm nahezu Panik in der Politik und bei den Sicherheitskräften aus. Die Regierung appellierte an Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, die Arbeit der deutschen Spezialisten in Ägypten zu unterbinden.

Doch die Israelis beließen es nicht bei Worten: Fast gleichzeitig mit den ersten Raketenstarts begann der Auslandsgeheimdienst Mossad eine Serie von Anschlägen in Europa und Ägypten mit mehreren Toten und Schwerverletzten. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Sänger verschwand spurlos, eine Sekretärin verlor Gehör und Augenlicht durch eine Briefbombe. Als Anfang des Jahres 1963 ein Mossadkommando in der Schweiz aufflog, gerieten die Ingenieure in Arabien in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit, und es hagelte Kritik an den „Raketensöldnern“. So verurteilte Bundeskanzler Ludwig Erhard öffentlich ihr Engagement für Nasser.

Bundesregierung übte Druck auf die Raketenbauer in Ägypten aus

Bereits zuvor hatte die Bundesregierung geprüft, wie sie juristisch gegen die Technikerkolonie in Kairo vorgehen konnte. Doch weder ein Pass­entzug noch Anklagen wegen Landesverrats kamen infrage. Schnelle Wirkung zeigte der Druck bei Eugen Sänger, der zum Rückzug als Institutsleiter in Stuttgart gezwungen wurde und daraufhin nach kurzem Aufenthalt Ägypten verließ und beteuerte, an „nichts anderem als friedlichen Raketen“ gearbeitet zu haben. Er wurde im Januar 1963 auf den Lehrstuhl für Raumfahrttechnik an der TU Berlin berufen.

Auch andere Experten kehrten aus dem ägyptischen Exil zurück, weil die expandierende deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie mittlerweile attraktive Aufgaben bot. Das ägyptische Abenteuer endete damit schleichend.

Als Israel seine Schnellboote aus Cherbourg entführte

Schätzungen gehen von bis zu 350 deutschen Fachkräften in Nassers Rüstungsfabriken aus, wobei aufgrund des zunehmenden Engagements der DDR am Nil ein großer Teil aus Ostdeutschland stammte. Als die Sowjetunion Ägypten mit Panzern, Bombern und Marschflugkörpern hochrüstete, verloren die einheimischen Waffenschmieden ihre Bedeutung. Doch die sozialistische Waffenhilfe verhinderte nicht die vernichtende arabische Niederlage im Sechstagekrieg 1967, zu der die bundesdeutsche Militärhilfe für Israel beitrug. Danach kehrten die letzten Raketenbauer vom Nil in die Bundesrepublik zurück.

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