Als Israels Marine ihre Schnellboote aus Cherbourg entführte
In der Christnacht vor 50 Jahren entführte die israelische Marine fünf Schnellboote aus dem Hafen von Cherbourg. Frankreichs Regierung tobte, die Welt schaute amüsiert zu.
(Dieser Beitrag erschien erstmals in VDI nachrichten 51-52/2019)
Mitten in der Christnacht des Jahres 1969 war es im Hafen von Cherbourg mit der weihnachtlichen Stille vorbei. Auf einen Schlag sprangen 20 Dieselmotoren in fünf Booten mit zusammen fast 50 000 kW an. Die Schiffe ließen die Hafenausfahrt hinter sich und stemmten sich gegen den Sturm im Ärmelkanal. Es war der Wendepunkt einer spektakulären Aktion, die die moderne israelische Marine mitbegründete und Frankreich vor der Weltöffentlichkeit blamierte.
Ägypten erhielt Schnellboote mit Marschflugkörpern aus Ägypten
Israels Marine besaß nach der Staatsgründung 1949 nur eine kleine Flotte veralteter Schiffe aus dem Zweiten Weltkrieg. Besorgt beobachteten Politiker und Offiziere die Lieferung sowjetischer Schnellboote an Ägypten und Syrien. Selbst die Nato hatte diesen mit Marschflugkörpern ausgerüsteten Waffensystemen nichts entgegenzusetzen. Anders Israel, das seit Anfang der 1960er-Jahre den Lenkflugkörper Gabriel entwickelte.
Er flog nur wenige Meter über dem Wasser fast mit Schallgeschwindigkeit auf sein Ziel zu und lenkte sich über sein Radar automatisch ins Ziel. Mit dieser Technik war Israel den Nato-Marinen um rund zehn Jahre voraus.
Die israelischen Schnellboote wurden von der Lürssen-Werft entworfen
Die Waffenplattform für Gabriel entstand auf der CMN-Werft in Cherbourg: zwölf Schnellboote, genannt „Sa‘ar-Klasse“ (Sa‘ar bedeutet Sturm auf hebräisch), entworfen von der der Lürssen-Werft in Bremen und finanziert von der Bundesrepublik im Rahmen der Wiedergutmachung. Sie erwiesen sich als schnell, beweglich und als stabile Waffenplattformen. Der französische Präsident Charles de Gaulle gefährdete die Modernisierungspläne der israelischen Marine, als er Ende 1968 alle Waffenlieferungen an das Land stoppte. Von den Booten waren sieben bereits nach Haifa ausgelaufen. Doch fünf lagen noch zur Ausrüstung in Cherbourg.
Weihnachtliches Geheimgeschäft mit Israel
Für sie begann eine Hängepartie: Formal waren sie Besitz Israels und wurden mit Billigung der Behörden von den Werftarbeitern und israelischen Soldaten fertig gebaut, doch eine Überführung war verboten. In Israel machten sich Politiker und Sicherheitsbehörden rasch Gedanken, wie sie die Boote doch noch für ihre Marine gewinnen konnten.
Der Geheimdienst Mossad und die Eliteeinheiten der Armee waren für ihre spektakulären Einsätze bekannt, doch Ministerpräsidentin Golda Meir verbot jede illegale Aktion. Trotzdem waren die Verantwortlichen der Meinung, dass der „Unterschied zwischen etwas Legalem und etwas nicht Illegalem vielleicht nicht breiter ist als ein von einem Anwalt gesetztes Komma. Aber im Zweifelsfall immer noch breit genug, um eine Flotille von Raketenschnellbooten durchzulassen“, so der Journalist Abraham Rabinovich in seinem Buch „The Boats of Cherbourg“.
Eine Briefkastenfirma kaufte die Schnellboote von Frankreich
Völlig legal war die über einen norwegischen Reeder gegründete Briefkastenfirma, die die Schnellboote vom französischen Staat erwarb, um sie angeblich für die Versorgung von Ölförderanlagen einzusetzen. Israel hatte dafür auf seine Besitzansprüche verzichtet. Und völlig legal war auch die Einreise von 80 Marinesoldaten in Zivil, die von einem Grenzbeamten zu hören bekamen: „Seid ihr vom Militär? Eure Pässe haben fortlaufende Nummern, ihr habt alle frisch geschnittene Haare und tragt die gleichen Windjacken.“ Auf der Werft in Cherbourg durfte ihre Anwesenheit keinesfalls auffallen. Israels „Marine konnte wegen eines hartnäckigen Gendarmen ihre halbe Lenkwaffenflotille verlieren“, beschrieb Rabinovich die angespannte Stimmung.
In der Christnacht, wenn die Aufmerksamkeit der Behörden am niedrigsten war, sollte der Ausbruch erfolgen. Aber dazu musste das Wetter mitspielen. Im Ärmelkanal tobte ein Sturm mit Windgeschwindigkeiten von 70 km/h und 14 m hohen Wellen. Doch um 2:30 Uhr wagte die Flotille die Ausfahrt in den abflauenden Sturm.
Ein Frachter tankte die israelischen Schnellboote auf
Nach zwei Tagen erreichten die Boote ihre erste Zwischenstation, den Frachter Lea. Die Schiffe konnten mit ihrem Treibstoffvorrat nicht die lange Strecke von 6000 km bewältigen. Aber ein Anlaufen von Häfen kam nicht in Frage, das Risiko einer Beschlagnahme war zu groß. Deshalb waren die Balllasttanks der Lea zu Treibstofftanks umgebaut worden. Eine Pumpenstation an Deck ermöglichte das gleichzeitige Betanken aller fünf Boote. Für den zweiten Tankstopp wartete vor Malta eine Autofähre, die den Treibstoff in Tankanhängern lagerte.
Dieses Filmmaterial der Nachrichtenagentur AP entstand 1971 auf einem Schnellboot der Sa‘ar-Klasse. Bei 0:13 sind die Lenkwaffencontainer zu sehen, bei 0:35 der Feuerleitstand
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Mittlerweile hatten die Flüchtigen jede Menge Begleiter. Das US-Nachrichtenmagazin Time zählte auf: „Die Boote wurden verfolgt von französischen und britischen Aufklärungsflugzeugen, sowjetischen Tankern, dem Radarwald der 6. US-Flotte, Kameraleuten und italienischen Fischern. Aus der Entfernung schaute die Welt mit einer Mischung aus Wut und Freude zu.“ In der Silvesternacht kamen die Boote mit ihren erschöpften Besatzungen in Haifa an, begeistert empfangen von Offiziellen und Angehörigen. Die Schiffe waren nur für drei oder vier Tage dauernde Einsätze ausgelegt, die Israelis hatten eine Woche fast ohne Schlaf hinter sich.
Frankreichs Verteidigungsminister wollte die Schnellboote bombardieren lassen
Ganz anders war die Stimmung in Frankreich. Außer sich vor Wut wollte Verteidigungsminister Michel Debré die Boote von der Luftwaffe bombardieren lassen, doch der Chef des Stabes weigerte sich. Auf der Suche nach Sündenböcken mussten zwei Generäle ihre Posten räumen. 50 für Israel produzierte Mirage-Jadbomber, die ebenfalls unter das Embargo fielen, wurden zur Vorsicht streng bewacht. Mittlerweile traute Frankreichs Militär den Israelis sogar zu, heimlich mit 50 Jets davonzufliegen.
Die heimliche Flucht irakischer Juden nach Palästina
Indirekte Folgen hatte die Affäre in der Bundesrepublik. Beunruhigt von den neuen Fähigkeiten der Marinen des Warschauer Paktes, bestellte Verteidigungsminister Helmut Schmidt eine Klasse neuartiger Lenkwaffenschnellboote in Frankreich, weil ihm die Auslieferung der bei Lürssen bereits bestellten Schiffe zu lange dauerte. Die Ironie der Geschichte: Die Baupläne dafür beruhten auf denen der Sa‘ar-Klasse.