Diese Autobahnen wurden als Notlandeplätze für Kampfflieger gebaut
Autobahnen wurden im Kalten Krieg zu Behelfsflugplätzen aufgerüstet. Die Spuren sind heute noch zu finden.
Inhaltsverzeichnis
Wenigstens über ein Klohäuschen verfügt der winzige Parkplatz Ahlhorner Heide an der A 29 in Richtung Oldenburg. Im Frühjahr 1984 war die Ausstattung erheblich anspruchsvoller. Damals drängten sich auf dem Gelände mobile Tower, Radaranlagen, Generatoren und eine Ehrentribüne für Bundeskanzler Helmut Kohl.
Mit der Nato-Übung „Highway 84“ fand dort eine Entwicklung des Kalten Krieges ihren Höhepunkt, die Ende der 1950er-Jahre begonnen hatte: neue Autobahnabschnitte so auszustatten, dass sie als Behelfsflugplätze im Kriegsfall dienen konnten. Die irreführend als „Notlandeplätze“ (NLP) bezeichneten Pisten sollten die regulären Flugplätze ergänzen, die die ersten Ziele feindlicher Bomber gewesen wären. Bis zum Ende des Kalten Krieges wurden etwa 30 NLP gebaut, davon alleine sieben in den Jahren 1966 bis 1968. Das Bundesverkehrsministerium gab die Bauarbeiten in Auftrag, das Verteidigungsministerium und die Nato finanzierten den Streckenabschnitt mit.
Mindestens drei Fahrspuren
Für geeignet hielten die Ministerialbeamten Autobahnstrecken mit mindestens drei Fahrspuren, die möglichst in der Hauptwindrichtung verliefen und deren Umfeld keine größeren Hindernisse wie Brücken oder Hochspannungsmasten zu finden waren. Die Start- und Landebahn sollte zunächst 1500 m, ab 1973 dann 2500 m lang und mindestens 23 m (ab 1973: 30 m) breit sein. An beiden Enden kam noch eine Überrollstrecke von 200 m hinzu. Die Längsneigung der Flugpiste durfte 3 % nicht überschreiten. Die Tragfähigkeit brauchte nicht erhöht werden, dafür reichte die Auslegung der Bundesfernstraßen aus. Ganz wichtig: Die NLP mussten weit genug entfernt vom Eisernen Vorhang liegen, sodass die Truppen des Warschauer Paktes sie nicht im ersten Angriff überrennen konnten. Entsprechend waren die meisten NLP an den Grenzen zu den Niederlanden und Frankreich zu finden.
Übungen vor der Eröffnung
Etwa auf jedem zweiten NLP fanden Übungen der Luftwaffe und ihrer Nato-Partner statt. Jedes Mal vor der Eröffnung des Autobahnabschnitts für den regulären Verkehr, denn eine Sperrung im laufenden Betrieb wäre zu aufwendig gewesen. Während des dreiwöchigen Manövers „Highway 84“ brachten 2400 Flugbewegungen enormen Lärm in die beschauliche Landschaft bei Oldenburg. Jagdbomber und Transportflugzeuge aus sieben Nato-Staaten starteten und landeten 400-mal auf der Autobahn, in 2000 Fällen übten sie touch-and-go, also das Durchstarten.
Nach dem Ende des Kalten Krieges betrachteten die Bundesregierungen die NLP als überflüssig. Seitdem verschwinden bei den Straßensanierungen ihre Überreste. Den Rastplätzen am ehemaligen NLP Ahlhorn hat die Erneuerung immerhin je ein Klohäuschen gebracht.
Der Notlandeplatz Ahlhorn
Start- und Landebahn
Fliegen unter erschwerten Bedingungen: Zwei Erdkampfflugzeuge A-10 Thunderbolt der US-Luftstreitkräfte stehen bereit für den Start – das Foto von der Übung „Highway 84“ zeigt deutlich, wie beengt es auf den Notlandeplätzen zuging.
Im Vordergrund sind die fest montierten Mittelleitplanken zu sehen, kurz vor den Maschinen beginnt die Startbahn mit dem befestigten Mittelstreifen. Die Leitplanken waren in diesen Abschnitten nur mit Steckverbindungen befestigt und ohne Werkzeug demontierbar. Allerdings rosteten die Verbindungen häufig ein und waren nur noch schwer zu lösen. Die Löcher wurden mit Deckeln verschlossen, die gegen das Hochwehen durch den Sog und den Abgasstrahl der Flugzeuge verriegelt waren.
Welches Risiko beim Flugbetrieb auf der relativ schmalen Piste bestand, zeigten die Zwischenfälle bei „Highway 84“: Ein Starfighter der Luftwaffe kam von der Landebahn ab, dabei riss sein Bugfahrwerk ab. Ein Jagdbomber vom Typ Phantom setzte zu früh auf und beschädigte sein Höhenleitwerk an der Mittelleitplanke. Während die Phantom repariert wurde und auf dem Luftweg die Autobahn verließ, musste der Starfighter dies auf einem Tieflader tun.
Fiat G.91
Gina gegen die Panzer: Die Fiat G.91 war mit ihrer geringen Größe und Reichweite die ideale Nutzerin von Notlandeplätzen. Im Kriegsfall hätte der wendige Jagdbomber die Panzermassen des Warschauer Paktes dezimieren sollen. Rund 450 Maschinen des mit dem Spitznamen „Gina“ bedachten Typs wurden an die Luftwaffe ausgeliefert, mehr als die Hälfte davon wurden in der Bundesrepublik in Lizenz gefertigt. Bereits bei den Truppenversuchen des Typs im Jahr 1961 übte ein Dutzend Ginas den Einsatz von Autobahnen aus. Die Luftwaffe sammelte dabei auch Erfahrungen mit den Abläufen beim Warten und Betanken der Flugzeuge ohne die Infrastruktur eines Fliegerhorstes. Kein Flugzeugtyp der Luftwaffe nutzte intensiver die Autobahnen: An neun der zwölf Übungen auf NLP waren mit Fiat G.91 ausgestattete Einheiten beteiligt.
Mobile Wartungsarbeiten
Eine halbe Stunde Zeit: Das Transportflugzeug Transall C-160 war dafür ausgelegt worden, auf kurzen Pisten in schwierigem Gelände starten und landen zu können. Es war deshalb ebenfalls sehr gut für den Einsatz auf Notlandeplätzen geeignet. Bei der Übung „Highway 84“ spielte die Transall eine wichtige Rolle beim anspruchsvollsten Teil, einem sogenannten Quick Turn Around von vier Alpha Jets, dem Nachfolger der Fiat G.91. Eine Transportmaschine landete mit dem Bodenpersonal, Munition und Bomben sowie den zugehörigen Gerätschaften auf der Autobahn. Unmittelbar danach landeten die Alpha Jets und parkten neben der Transall. Nach dem Ausladen ihrer Ausrüstung warteten und betankten die Soldaten die Jagbomber und munitionierten sie mit vier 227-kg-Bomben und Granaten für die Bordkanonen auf. Sobald die Alpha Jets einsatzbereit waren, verstaute das Bodenpersonal sein Gerät wieder in der Transall. Kaum hatten die Jagbomber abgehoben, folgte ihnen die Transportmaschine mit Mensch und Material. Das ganze Manöver dauerte weniger als 30 Minuten.
Der mobile Tower
Emma mit Glasturm: Die rund 20 000 Exemplare des MAN 630 wurden bei der Bundeswehr liebevoll „Emma“ genannt. Eine exotische Version des Fünftonners war der mobile Tower für den Einsatz an Notlandeplätzen. Die Kontrolloffiziere im einziehbaren Glasturm hatten eine Reihe elektronischer Mittel zum Steuern der Flugbewegungen zur Verfügung. Dazu zählten ein Rundumsuch- und ein Endanflug-Radargerät sowie eine Funkpeilanlage im UHF-Frequenzbereich. Ein Tacan-Funkfeuer wies den Flugzeugen den Weg zum Behelfsflugplatz. Das Rollen auf dem Flugfeld war den Piloten nur gemäß den Handsignalen der sogenannten Marshaller, der Einweiser, erlaubt.
Für die Telefonverbindung sorgte ein zehnpaariges Niederfrequenzkabel zur nächstgelegenen Autobahnmeisterei oder Tankstelle. Anschaltkästen an den Abstellplätzen ermöglichten den Anschluss von Fernschreibern und Telefonen.
Die Versorgung mit Kerosin erfolgte über Tankwagen und mobile Tanklager aus großen Kunststoffsäcken, die getarnt in der Umgebung angelegt wurden.
Sauberkeit auf dem Flugfeld
Jedes Körnchen zählt: Die Kehrmaschine gehörte sicher zu den unspektakulärsten Elementen eines Notlandeplatzes (NLP). Doch für den sicheren Flugbetrieb war sie unabdingbar. Da die Übungen vor der Inbetriebnahme der Autobahnabschnitte abgehalten wurden, waren die umliegenden Flächen häufig noch Baustelle. Entsprechend groß war die Gefahr, dass vom Wind verwehter Sand oder Erde die Landebahn verschmutzen und deshalb landende Flugzeuge von der Piste abkommen könnten.
Für die Instandhaltung der NLP waren die jeweiligen Autobahnmeistereien zuständig, die auch im Kriegsfall die Reparaturen vornehmen sollten. Für die Inbetriebnahme eines NLP war eine Frist von 24 Stunden vorgeschrieben.