TECHNIKGESCHICHTE 09. Jul 2019 Hans W. Mayer Lesezeit: ca. 3 Minuten

Die Schwalbe beflügelte einst die Mobilität in der DDR

Roller aus dem Simson Werk in Suhl, darunter die legendäre Schwalbe, genossen Kult-Status zwischen Ostsee und Erzgebirge. Im Sinsheimer Auto- und Technikmuseum sind sie jetzt zu besichtigen.

Das Sinsheimer Auto- und Technikmuseum zeigt rund 50 Krafträder aus DDR-Produktion.
Foto: Auto- und Technikmuseum Sinsheim

So manches Zwei- oder Vierradfahrzeug dient seinem Besitzer jahrelang als anspruchsloses Fortbewegungsmittel, das vor allem zuverlässig und preiswert zu sein hat. Zu Kultvehikeln avancierten Käfer, Trabbi oder Kreidler Florett, um nur einige zu nennen, erst dann, wenn Rost und vernachlässigte Wartung den größten Teil des Bestands dahingerafft hatten.

Ein klassisches Beispiel solcher Nostalgiegefährte ist der legendäre Roller Simson Schwalbe aus der DDR, den nach der Wende auch etliche Liebhaber im Westen in ihr Herz geschlossen haben. Gemeinsam mit weiteren Krafträdern aus der Vogelfamilie wie Spatz, Star, Sperber oder Habicht haben sich etliche Schwalben zu einer Sonderausstellung mit rund fünfzig Exemplaren im Auto- und Technik-Museum Sinsheim eingefunden.

Der Name Simson steht für eine der ältesten deutschen Waffen- und Fahrzeugfabriken. Bereits 1911 begann im thüringischen Suhl die Herstellung von Kleinserien hochwertiger Limousinen, Cabriolets und Sportwagen mit Vier-, Sechs- und Achtzylindermotoren. Den Bekanntheitsgrad steigerte nicht zuletzt eine abenteuerliche Fahrt des Aerodynamik-Pioniers Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld, der im Februar 1929 in seinem offenen Simson Supra Typ S den zugefrorenen Bodensee 7 km weit von der Insel Reichenau bis nach Gaienhofen am Westufer überquerte. Im September 1934 ging die Automobilproduktion in Suhl zu Ende. Wenig später enteigneten die Nationalsozialisten die Gründerfamilie und ließen in ihrem Werk ausschließlich Waffen, darunter das legendäre Maschinengewehr MG 42, produzieren.

Mobilität macht attraktiv: Der Schwalbe-Roller war begehrt, es wurden mehr als 1 Mio. Stück produziert. Foto: Auto- und Technikmuseum Sinsheim

Nach dem Krieg entstanden in der jetzt als „VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Ernst Thälmann“ firmierenden Fabrik ab 1950 unter dem Namen AWO Einzylinder-Motorräder mit 248 cm³ Hubraum und Kardanwellenantrieb. Um den auch im Arbeiter- und Bauernstaat steigenden Mobilitätsbedarf zu decken, ordneten die Funktionäre kurze Zeit später die Herstellung von Mopeds und Kleinkrafträdern an. Im Februar 1964 erschien dann mit dem Typ Schwalbe KR 51 (KR stand für Kleinroller) das erste zweisitzige Kleinkraftrad aus DDR-Produktion.

Im Laufe seiner mehr als zwanzigjährigen Bauzeit ermöglichte es Generationen von DDR-Bürgern eine bescheidene individuelle Mobilität zu erträglichen Preisen. So kostete zum Beispiel das von 1974 bis 1980 produzierte, besser ausgestattete Nachfolgemodell Schwalbe KR 51/1 K (K = Komfort) mit verlängerter Sitzbank und hydraulisch gedämpften Federbeinen 1350 Ostmark.

Angetrieben wurde die erste Schwalbe mit ihren für diese Fahrzeugart atypisch großen 16-Zoll-Rädern von einem 49 cm³-Einzylinder-Zweitakter mit Gebläsekühlung, der 3,4 PS (2,5 kW) bei 6500/min leistete. Er verhalf dem vollgetankt nur 79 kg wiegenden Kleinroller zu einer für diese Klasse respektablen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Die drei Gänge wurden per Drehgriff geschaltet, später gab es die Schwalbe auch als KR 51 F mit Fußschaltung. Private Schrauber freuten sich über das per Steckachse leicht ausbaubare Vorder- und Hinterrad, das wechselseitig ausgetauscht werden konnte.

Der Tank fasste 6,8 l Zweitaktgemisch (1:33), was bei einem Durchschnittsverbrauch von 2,8 l auf 100 km gut für 250 km Reichweite langte. Kein Wunder, dass die Schwalbe vor allem bei jungen Leuten ganz weit oben auf der Wunschliste rangierte. Schließlich ermöglichte sie Ausfahrten mit der ersten großen Liebe zum Baggersee oder in den dörflichen Tanzschuppen. Reparieren ließ sich die simple Technik von jedem, der nicht gerade zwei linke Hände hatte. Und passionierte Schrauber konnten die Schwalbe nach Herzenslust frisieren.

Ein weiterer Pluspunkt war das niedrige Einstiegsalter: Ab 16 Jahre durfte man den Kickstarter der Schwalbe niedertreten. Dank einer Ausnahmeregelung im Einigungsvertrag darf man das sogar heute noch, obwohl die Schwalbe wegen ihrer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h kein Moped mehr ist. So dürfen sich Nostalgiker in Ost und West darüber freuen, dass sie ihren betagten Kleinroller zulassungsfrei mit einfachem Versicherungskennzeichen und Führerscheinklasse AM lenken dürfen.

In der Sinsheimer Sonderausstellung, an der als Kooperationspartner das Fahrzeugmuseum Suhl und der Teilelieferant MZA beteiligt sind, finden sich neben etlichen Schwalben zahlreiche weitere Simson-Modelle mit den eingangs erwähnten Vogelnamen ebenso wie seltene Prototypen, Sondermodelle und Rennmaschinen. Dazu zählen beispielsweise ein Simson-Lastendreirad SD 50 K „Albatros“ mit Einachsanhänger, ein Dreirad Simson Duo 4/1 für Körperbehinderte oder das winzige Mikro-Bike Simson MSA 50 „Spatz“ als Nahverkehrsmittel für Bootseigner oder Camper.

Mit der Wende zeichnete sich für die Herstellung von Mopeds, Mokicks, Leichtkrafträdern und Kleinrollern in Suhl das Aus ab. Die Produktion der Schwalbe war nach 1,058 Mio. Exemplaren schon im April 1986 ausgelaufen. Im Dezember 1990 wurde das traditionsreiche Unternehmen von der Treuhand abgewickelt. Es folgten Versuche, die Marke Simson mit Elektrozweirädern zu reanimieren – ohne großen Erfolg.

Seit 2003 produziert im Suhler Werk die Firma MZA, die neben Lagerbeständen und Fertigungswerkzeugen auch die Markenrechte erworben hat, weiterhin Ersatzteile und Nachfertigungen für die rund 150 000 Schwalben und andere Simson-Zweiräder, die Insider-Schätzungen zufolge noch immer auf deutschen Straßen rollen.

www.technik-museum.de

Auto- und Technik-Museum Sinsheim, bis 10. Januar 2016

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