Gaming-Jubiläum 23. Mrz 2024 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 4 Minuten

Mit seiner Grafik revolutionierte Far Cry die Videospiele

Der vor 20 Jahren erschienene Ego-Shooter Far Cry war ein Überraschungserfolg, dem auch die damalige Killerspiel-Debatte nichts anhaben konnte.

Die Firma Crytek legte schon bei ihrer Gründung großen Wert auf eine überzeugende Naturdarstellung. Dies war entscheidend für den großen Erfolg von Far Cry. Der Screenshot stammt aus Crysis, einem späteren Game des Unternehmens.
Foto: Crytek

Die Fangemeinde stellte aufgrund des großen Erfolgs von Far Cry viele praktische Tipps in ihren Foren: „MG auf Einzelschuss stellen, einmal auf die Tür ballern, auf Multischuss zurückstellen, hinhocken und die Tür geht auf. Immer auf den Kopf zielen, und man braucht nur 15 Schuss pro Genmutant.“ Beim Erscheinen von Far Cry im Jahr 2004 waren bereits viele Computerspiele wie Doom, Counterstrike und Half-Life auf dem Markt, in denen Spieler oder Spielerinnen sich ähnlich brachial durchsetzen mussten. Von ihnen unterschied sich Far Cry vor allen Dingen durch eine ganze Reihe anspruchsvoller technischer Features, auf die Fans bisher bei Ballerspielen verzichten mussten.

Der Spieler von Far Cry konnte die Landschaften einer Südseeinsel erforschen

An erster Stelle stand die überlegene Grafik: Während die Helden der Konkurrenz wegen der bescheidenen Prozessorleistung der PCs auf festgelegten Pfaden durch unterirdische Labyrinthe irrten, erfreute sich der Crytek-Spieler an blühenden Landschaften einer Südseeinsel, die er frei erforschen konnte. Wenn die Palmen sich in der Brise wiegten, spiegelte sich die Bewegung der Blätter auf dem mattierten Stahl der Maschinenpistole des Helden. „Die Weltwoche“ schrieb beeindruckt: „Da rauschen die Wellen über den Strand, werfen Schaumkronen und fließen kieselig zurück, unter Hinterlassung glitzernder Steine. Da peitschen die Äste und flirren die Blätter und die Deckenlampen werfen zitternde Schatten.“ Der Spieler oder die Spielerin konnte sich sogar an einen Gleitschirm hängen, um aus sicherem Abstand zu den Bösewichten den Ausblick zu genießen.

Simcity brachte den Durchbruch für Simulationsspiele

Attackierten die Gegner bei Doom & Co. mit zombiehafter Sturheit, sorgte die künstliche Intelligenz der Cryengine dafür, dass sie unberechenbarer wurden und ihr Vorgehen untereinander koordinierten. Möglich wurden diese Qualitäten durch die Game Engine von Far Cry, quasi der Motor eines jeden Computerspiels. Die Cryengine genannte Software war eine Eigenentwicklung des Herstellers. Ihre Fähigkeiten waren so innovativ, dass andere Spielehersteller entweder ihre eigenen Engines überarbeiteten oder gleich die Cryengine lizenzierten.

Far Cry wurde von einem Familienunternehmen in Coburg entwickelt

Der Erfolg von Far Cry war umso bemerkenswerter, als das Spiel nicht von einem der großen Gaming-Konzerne aus den USA oder Japan entwickelt worden war, sondern von einem kleinen Familienunternehmen in der oberfränkischen Provinz, dessen Gründer VDI nachrichten im Jahr 2006 zu den „innovativsten Spieleentwicklern in Deutschland“ zählten.

Bis heute legt Crytek Wert auf eine hochwertige Naturdarstellung, wie dieser Screenshot zur Leistungsfähigkeit der Cryengine zeigt. Foto: Crytek

Im idyllischen Coburg hatten die Gastarbeitersöhne Avni, Cevat und Faruk Yerli ihr Unternehmen Crytek im Jahr 1997 gegründet, weil sie als Brüder ein gemeinsames Projekt stemmen wollten. Cevat war der einzige, der programmieren konnte, Avni gab sein Ingenieurbüro und Faruk seine Werbeagentur für Crytek auf. Doch um mit den großen Playern des Videospielmarktes mithalten zu können, benötigen die Yerli-Brüder Spezialisten, die das Know-how nach Coburg bringen konnten. Ausgestattet mit einer Finanzspritze des französischen Spielekonzerns Ubisoft, rekrutierte Crytek eine internationale Belegschaft. 2006 hatte das Unternehmen 50 Angestellte aus 16 Nationen.

An der Entwicklung von Far Cry waren Programmierer aus Australien, Japan und den USA beteiligt

„Durch die Arbeitsräume ihres proper renovierten Hauses in anheimelnder Lage weht ein Hauch von Silicon Valley“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. „Es wird Englisch gesprochen zwischen den smarten Australiern, Japanern, Amerikanern – und den wenigen Deutschen (gerade mal sechs).“ Doch nicht nur Fachkompetenz trug zum hohen Anteil ausländischer Mitarbeiter bei, erzählte Faruk Yerli: „Deutsche haben einfach eine schwierige Arbeitsmoral. Wir mussten bei deutschen Programmierern leider viel öfter die Erfahrung machen, dass sie nicht gewöhnt sind, unter Druck zu arbeiten.“ Für die Entspannung angesichts dieses Drucks sorgten die wöchentlichen türkischen Grillabende mit Mutter Yerli und englischsprachige Filmabende im Coburger Kino.

Nach der Veröffentlichung wurde Far Cry bis heute fast 3-Mio.-mal verkauft, die Gaming-Zeitschriften waren voll des Lobes und die Branche überhäufte Crytek mit Preisen. Das Unternehmen galt als aufsteigender Star in der darbenden deutschen Gaming-Branche. „Heimische Entwickler und Softwarehersteller fast chancenlos gegen amerikanische Konkurrenten“, schrieb 2005 resignierend die Financial Times.

Die Crytek-Gründer wehrten sich gegen die Killerspiel-Vorwürfe

Den Erfolg von Far Cry konnte auch die hitzige Diskussion über „Killerspiele“ nicht verhindern, die Mitte der Nullerjahre in der Öffentlichkeit geführt wurde. Für die Häufung von Amokläufen an Schulen war von Politikern und Wissenschaftlern auch der Boom bei den Ego-Shootern verantwortlich gemacht worden. „Computerspiele machen dick, dumm und traurig“, behauptete etwa der Kriminologe und Talkshow-Dauergast Christian Pfeiffer. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD im Jahr 2005 wurde sogar ein Verbot von Killerspielen gefordert, wonach sich prompt die Diskussion entspannte, ob damit denn wirklich Computerspiele oder nicht vielmehr Paintball gemeint war. Die Yerli-Brüder wehrten sich mit Nachdruck gegen die Killerspiel-Vorwürfe: „Wir haben mit Far Cry keine Tötungssimulation gemacht“, erklärte Cevat Yerli. „Zerplatzende Köpfe, herumfliegendes Gehirn werden Sie in unseren Spielen nicht finden, obwohl manche Spielevertreiber das unbedingt wollten. Wenn Sie wollen, können Sie durch das Spiel kommen, ohne einen einzigen Menschen zu erschießen.“

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Und angesichts der Verbotspläne der Großen Koalition drohte Avni Yerli mit dem Umzug des Unternehmens ins Ausland: „Budapest ist eine schöne Stadt, da könnten wir ohne Weiteres Leben. Dort haben wir ja bereits eine Niederlassung.“ Doch die öffentliche „Killerspiel-Debatte“ versandete, das Verbot wurde nie von der Politik beschlossen. Zu groß war die Zahl der Fans, zu wichtig die Spielebranche. Angesichts von 150 000 erwarteten Besucherinnen und Besuchern für die Games Convention in Leipzig konstatierte der Spiegel 2008: „Computerspiele scheinen plötzlich kein Problem mehr hierzulande.“ Auch Crytek zog nicht nach Budapest, sondern nur nach Frankfurt. Mit ihrem zweiten Game, „Crysis“, gelang der Firma eines der weltweit erfolgreichsten Computerspiele, das über die Jahre mehrere Weiterentwicklungen erlebte.

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