Interview mit Gerhard Wiechmann 09. Nov 2022 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 6 Minuten

Reichsflugscheiben: Historiker entzaubert den Mythos der Nazi-Ufos

Bei der Legende von den Reichsflugscheiben spielen Ingenieure, Scharlatane und Nazis unerfreuliche Rollen. Wie die versponnene Erzählung von im Dritten Reich erfundenen Ufos zustande kam, hat der Historiker Gerhard Wiechmann erforscht.

Der Film Iron Sky von 2012 gab dem Flugscheibenmythos Auftrieb. Doch Gerhard Wiechmann brach das Ansehen nach einer Dreiviertelstunde ab. Zu schlecht war ihm die Dramaturgie.
Foto: picture alliance / dpa/polyband Medien GmbH

VDI nachrichten: Woher kommt diese öffentliche Faszination für das Thema „Die Flugscheiben der Nazis“?

Gerhard Wiechmann: Der Hype hat in den 1990er-Jahren eingesetzt. Damals wurden die ersten Berichte über die Flugscheibenentwicklung im Dritten Reich, die bereits in den 1950er-Jahren veröffentlicht worden waren, mit einem esoterischen Neonazismus vermischt. 1992 erschien das Video „UFO – Geheimnisse des Dritten Reichs“. Die dubiose, angebliche Doku war aufwendig produziert. Die Botschaften wurden besonders in den USA begierig aufgesogen und führten zu weiteren Pseudodokumentationen, die auch gerne im deutschen Fernsehen auf Nachrichtenkanälen wie N24 und n-tv gezeigt wurden. Letzten Endes hob die Bild-Zeitung die Flugscheiben im Jahr 2004 auf ihre Titelseite. Es ist einfach unglaublich, wie aus den blödesten Gerüchten der 1950er- und 1960er-Jahre immer wieder die tollsten Sachen fabriziert werden.

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Was waren die Hintergründe dafür, dass dieses arg exotische Thema Ende des 20. Jahrhunderts so an Aufmerksamkeit gewann?

Das ist eine gute Frage, die ich Ihnen so nicht beantworten kann. Wir kennen das Narrativ vom Vierten Reich, das in der angloamerikanischen Popkultur in den 1960er-Jahren populär wurde. Einer der wichtigsten Aktivisten dabei war der Holocaustleugner und Neonazi Ernst Zündel. Dieser Erzählung zufolge flohen wichtige Nazifunktionäre bei Kriegsende wahlweise nach Südamerika oder zum Südpol. Dort entwickelten diese Widerstandsgruppen eine überlegene Waffentechnik auf Basis der deutschen Forschungen im Zweiten Weltkrieg. Auch in US-Fernseh- und Kinofilmen traten immer wieder fanatische Nazis auf, die auf abgelegenen Südseeinseln an Superwaffen werkelten, um damit die Welt zu beherrschen.

„Der Tag, an dem die Erde stillstand“ von 1951 hat Gerhard Wiechmann als Jugendlicher fasziniert, weil dort die Außerirdischen nicht als Bedrohung, sondern als Überbringer einer Friedensbotschaft dargestellt wurden. Foto: Ventura Oldenburg

Und was stand am Anfang dieser Erzählungen von Flugscheiben?

Der Mythos von den Flugscheiben wäre sicher nicht ohne den Mythos von den Wunderwaffen möglich gewesen. Der Marschflugkörper V1, die Rakete V2 und der Düsenjäger Me 262 wurden ja tatsächlich in Serie gebaut. Aber keiner der namhaften Flugzeugkonstrukteure des Dritten Reiches wie Kurt Tank oder Henrich Focke hat Flugscheiben jemals erwähnt. Los geht es erst nach den ersten Berichten über Ufos im Jahr 1947 und dem weltweiten Boom von Sichtungen in den folgenden Jahren. 1950 erscheinen in Deutschland Artikel über den Physiker Giuseppe Belluzzo, der angeblich die erste fliegende Untertasse für Hitler und Mussolini entworfen haben soll. Von da an greifen Zeitungen und Zeitschriften immer wieder die Behauptung auf, Ufos seien eine deutsche Erfindung.

Die Berichterstattung über deutsche „Wunderwaffen“ wie den Marschflugkörper V1 beflügelte Spekulationen über den Bau der Reichsflugscheiben, argumentiert Gerhard Wiechmann. Das Foto zeigt den Nachbau einer V1 im Imperial War Museum Duxford. Foto: Steinmüller

Die Spekulationen in den 1950er-Jahren gingen munter durcheinander: Einerseits sollten über den USA gesichtete Ufos eigene Geheimwaffen sein, andererseits kamen als Urheber auch die Sowjets infrage. Und dahinter sollte zudem deutsche Technik stecken. Wie erklären Sie diese widersprüchlichen Thesen?

Da sind wir mitten in den Konstellationen des Kalten Krieges. Sie dürfen eines nicht vergessen: Bei Kriegsende wurden sämtliche deutsche Akten beschlagnahmt, die für die Siegermächte von irgendeinem Interesse waren. Erst nach der Rückgabe in den 1960er-Jahren konnten sie in den deutschen Archiven aufgearbeitet werden. In der Zwischenzeit war Raum für unendliche Spekulationen, weil niemand genau wusste, welche Waffen erfunden worden, aber im Projektstadium hängen geblieben waren. Stattdessen fingen in den 1950er-Jahren einige der Beteiligten an, darüber in Fachzeitschriften zu berichten. Zur gleichen Zeit beteiligten sich deutsche Wissenschaftler in den USA und der Sowjetunion an der Entwicklung hochmoderner Waffen, was die Flugscheibenentwicklung plausibler machte.

Paywall

Für diese Veröffentlichungen waren technisch qualifizierte Männer verantwortlich. Warum entwickelten ausgerechnet Menschen mit einer solchen Vorbildung diese Hirngespinste?

Darüber staune ich selbst. „Der Spiegel“ veröffentlichte im Jahr 1950 den wohl bekanntesten Artikel am Anfang des Flugscheibenmythos. Der dort zitierte Luftfahrtingenieur Rudolf Schriever war gar keiner, sondern ein Techniker, der immerhin ein Patent für einen Durchlauferhitzer für das Badezimmer erhalten hatte. Er behauptete, 1942 die Idee zu einem sogenannten Flugkreisel entwickelt zu haben, der von einer rotierenden Schaufelradscheibe mit drei Düsen angetrieben werden und 4200 km/h erreichen sollte. Sein Konzept sei bei Kriegsende in tschechischen Besitz und von da aus in die Sowjetunion gelangt. Andreas Epp, ebenfalls ein Techniker, der sich Ende der 1950er-Jahre als angeblicher Flugscheibenkonstrukteur präsentierte, war schlichtweg ein Scharlatan, der seine ganzen Erzählungen frei erfunden hatte. Der einzige Ingenieur in diesem Kontext ist Rudolf Lusar, der 1956 in einem Buch die deutschen Waffen des Zweiten Weltkriegs vom Sturmgewehr bis zur V2 systematisch darstellte. Dabei beschrieb er auch angeblich entwickelte fliegende Untertassen, die es von dort in ein Taschenbuch der Bundeswehr schafften. Damit war die Entwicklung von Flugscheiben im Nationalsozialismus quasi amtlich bestätigt worden. Möglicherweise hatte Lusar vom beim Flugzeugbauer Focke-Wulf entworfenen sogenannten Triebflügeljäger erfahren, der senkrecht starten und landen können sollte, und dies mit Berichten über Ufo-Sichtungen vermischt.

Gab es jemals eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Flugscheibentechnik?

Mir ist lediglich der Versuch an der Universität Stuttgart bekannt, eine Art Ringkreisel zu basteln, der genauso gescheitert ist wie alle anderen Experimente weltweit, weil die zugrunde liegende Technik einfach nicht funktionieren kann. Mit den aerodynamischen Grundlagen hat sich seriös als einziger der Archivar Hans Justus Meier auseinandergesetzt. Mit seinen privaten Forschungen ab den 1970er-Jahren wies er nach, dass sowohl Design wie die projektierten Leistungen der Flugscheiben Unsinn waren. Interessant ist übrigens, dass bundesdeutsche Behörden Akten zu Ufo-Sichtungen angelegt haben.

Was ist dazu bekannt?

Ein Ausschnittdienst hat von der Mitte der 1950er- bis Mitte der 1970er-Jahre für eine Bundeswehr-Dienststelle in Hannover Presseartikel über Ufo-Sichtungen gesammelt. Der Militärische Abschirmdienst und das Bundesverkehrsministerium haben sich auch damit beschäftigt, aber vor allem der BND. Dabei ging es besonders um eine Art von Drohnen, die angeblich an der DDR-Grenze gesichtet wurden.

Außerirdische, Sowjets oder geniale Nazis? Über den Ursprung der Ufos gehen die Spekulationen weit auseinander. Dieses Foto wurde 1966 in Australien aufgenommen. Foto: imago images / Photo12/Ann Ronan Picture Library

Sie nennen die „Nazi-Ufos“ einen Mythos. Aber handelt es sich dabei nicht um etwas wesentlich Gefährlicheres, nämlich eine Verschwörungstheorie?

Ich bin mit dieser Einordnung sehr vorsichtig. Schließlich kam diese Erzählung vor fast 70 Jahren auf. Bestimmte Technologien wie der Hubschrauber, der in der Luft stehen und senkrecht starten und landen kann, waren Anfang der 1950er-Jahre noch gar nicht so selbstverständlich, sondern galten für viele als schräge Idee. In die gleiche Kategorie fiel für manche Menschen eine Flugscheibe, die angeblich ähnliche Flugeigenschaften aufweist. Und die Erzählungen der 1960er- und 1970er-Jahre über das Vierte Reich sind eher Science-Fiction-Märchen, die dann erst Zündel für seine Nazipropaganda mit überschaubarem Erfolg instrumentalisierte.

Populärstes Beispiel für den Flugscheibenmythos dürfte der Spielfilm Iron Sky ein. In der Komödie greifen Nazis die Erde mit Flugscheiben an. Der Historiker Richard Evans sagte, er habe bei dem Film viel gelacht, aber vor allem deshalb, weil er so schlecht sei. Wie war Ihre Reaktion?

Ich habe mich 20 Jahre lang mit Filmanalyse beschäftigt und es nicht geschafft, den Film länger als eine Dreiviertelstunde durchzuhalten. Die Tricktechnik ist toll, aber die Dramaturgie unglaublich schlecht. Ich weiß nicht, was sich die Filmemacher dabei gedacht hatten. Vielleicht wollten sie ihre Tricktechnik demonstrieren und hatten sich überlegt, dass die Finanzierung schneller gelingt, wenn sie an den Ufo-Mythos anknüpfen, der damals dank Fernsehserien wie Akte X populär war. Dass der zweite Film von 2019 ein Flop war, deutet darauf hin, dass die Nazi-Ufo-Welle wieder vorbei ist.

Als das Senkrechtstarterprogramm von Franz Josef Strauß abstürzte

Nach Ihrer Warnung vor Iron Sky: Was ist für Sie der beste Ufo-Film?

„Der Tag, an dem die Erde stillstand“ von 1951 hat mich als Jugendlicher fasziniert. Da sind die Außerirdischen keine Bedrohung, sondern Überbringer einer Friedensbotschaft. Erst viel später bin ich auf „The Flying Saucer“ von 1950 gestoßen. Es ist der erste Film, in dem die Ufos nicht aus dem Weltall kommen, sondern eine geheime US-Erfindung sind, die die Sowjets mit deutscher Unterstützung entführen wollen.

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